Skifahrerin Kira Weidle:Hochseilartistin sucht die richtige Spur

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Ist das hier die schnellste Spur? Kira Weidle wird im Super-G am Freitag in Zauchensee 14. (Foto: Johann Groder/AFP)

Mal ein Sturz im Training, mal fehlt die Gnadenlosigkeit: Kira Weidle und die deutschen Abfahrer tun sich in diesem Winter noch schwer - aber die 27-Jährige kennt immerhin den Weg zurück zu alter Stärke.

Von Johannes Knuth, Zauchensee

Man musste Kira Weidle ein wenig länger zuschauen, ehe man bemerkte, dass etwas anders war. Die 27-Jährige schritt bisweilen durch den Zielraum, als habe ihr jemand einen unsichtbaren Umhang aus Blei übergeworfen, Kopf und Nacken wirkten wie eingefroren. Es waren allerdings keine Zauberkräfte im Spiel, sondern die Nachwehen des Abfahrtstrainings am Tag zuvor. Nach dem Startschuss, der die Athletinnen in Zauchensee binnen Sekunden auf 120 km/h beschleunigt, war Weidles Außenski in die stumpfere Nebenspur geraten - kurz darauf lag die Athletin im Fangnetz.

"Der Ski ist kaputt, der Helm ist kaputt, alles ist kaputt", bilanzierte Weidle am Freitag, lächelte, sagte dann, dass sie selbst immerhin in einem Stück in den ersten von zwei Super-G des Wochenendes gezogen sei. Dort steuerte sie, betäubt von Schmerzhemmern und Adrenalin, auf Platz 14, 1,30 Sekunden hinter der Siegerin Cornelia Hütter aus Österreich. Das, befand Weidle, sei angesichts der Schadenshistorie "auf jeden Fall okay". In der Abfahrt am Samstag landete sie sogar auf Platz fünf, nur 0,12 Sekunden hinter dem Podest. Im Ziel sei ihr "ein ganz schöner Stein vom Herzen gefallen", sagte Weidle dem ZDF.

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So wohl gestimmt hat man die 27-Jährige vom SC Starnberg noch nicht allzu oft erlebt in diesem Winter, und so steht Weidle auch ein wenig für die komplizierte Saison, die die Alpinen des Deutschen Skiverbands bislang erleben. Slalomfahrerin Lena Dürr strahlt mit vier Podestplätzen - den einzigen bislang für die Deutschen im Weltcup - wie ein recht einsamer Stern am Firmament. Aber sonst?

Linus Straßer wurde zuletzt immerhin Vierter im Slalom von Adelboden. Alexander Schmid und Stefan Luitz finden im Riesenslalom nach Verletzungen langsam zurück. Die Abfahrer, in den vergangenen Jahren prämiert mit diversen Podien bei Weltmeisterschaften und im Weltcup, dürfen froh sein, wenn ihnen derzeit Einlass unter die besten Zehn gewährt wird - Romed Baumanns neunter Platz im Super-G von Gröden sowie Weidles neunte Ränge in Super-G (Val d'Isère) und Abfahrt (St. Moritz) waren bis zuletzt die beste Beute. Und Emma Aicher, 20, die derzeit Beste der Jüngeren, bündelte am Freitag ihre bisherige Saison in einem Lauf: Sie steuerte grandios durch die Achterbahn aus Eis, kurz vor dem Ziel war sie Sechstschnellste - dann schied sie aus.

Es ist immer wieder beachtlich, wie selbst den Besten des Gewerbes, den Hochseilartisten des Spitzensports, ab und an ihre Kunst entgleitet. Dann verweigern Stabhochspringer den Absprung wie aufgescheuchte Rennpferde, werden medaillenbehangene Abfahrer zurückversetzt in die Schule der Niederlage. Auch Weidle hat in dieser schon ein paar Lektionen absolviert: Nach ersten Erfolgen wollte sie weitere "ums Verrecken" erzwingen, hat sie einmal erzählt. Bis sie erfuhr, dass es dafür gar nicht etwas Besonderes braucht, sondern bloß das Gewöhnliche, das man besonders verlässlich abrufen sollte. So gewann sie vor drei Jahren WM-Silber in der Abfahrt, wurde dreimal Dritte im Weltcup, einmal Zweite. Das Training vor dieser Saison sei wieder "perfekt" gelaufen, bekräftigte sie nun, sie wähnte sich gerüstet für den ersten Sieg. Und jetzt?

Weidle fehle noch die Überzeugung, "dass es auf einer noch frecheren Linie geht", sagt ihr Trainer

Sei das "ein rein mentales Thema", sagte Weidle, es könne ja gar nicht anders sein. Im Training, selbst beim Einfahren eine halbe Stunde vor dem sportiven Ernstfall, da presse sie die Kanten so ins Eis, dass es sie rasant gen Tal ziehe. Und im Rennen: sei das Gefühl plötzlich verpufft. Wie das so ist, "wenn man sich selber vielleicht ein bisschen viel Druck macht", wenn man auch spüre, wie der Tross der Begleiter allmählich nervös wird, weil selbst den Athleten, die sonst immer Grip finden, plötzlich der Halt entgleitet. "Das", sagte Weidle, "macht es alles nicht einfacher."

Aber letztlich, sagt Andreas Puelacher, im zweiten Jahr Cheftrainer der DSV-Frauen, sei es in solchen Fällen der Athlet oder die Athletin, die sich in Kalamitäten manövriere - "also muss man da auch selbst wieder raus". An Fleiß und Konzentration mangele es Weidle keinesfalls, an Mut ohnehin nicht - wie auch, wenn man schon mit elf Jahren den Hang einer Skisprungschanze runterrauscht. Er vermisse derzeit nur "die letzte Konsequenz", und auch: "diese Überzeugung zu haben, dass es auf einer noch engeren, frecheren Linie geht". Dass man also nicht zu sehr jener Spur folgt, die man bei der Besichtigung ersonnen hat, weil es einem im Rennen oft einen Meter nach links oder rechts treibt, wenn man besonders schnell ist. Weidle fahre "es manchmal zu präzise", sagt Puelacher, "und das Präzise nicht ganz überzeugt".

Sie weiß immerhin um die größte Falle, in die sie nun tappen könnte. Nicht wenige würden in ihrer Lage Dinge hinterfragen, die sie nicht hinterfragen müssten, würden Bindungsplatten verschieben oder Kanten schärfer schleifen, bis noch weniger zusammenfließt. Die beste Veränderung ist oft, so wenig wie möglich zu verändern: "Ich glaube, es reicht ein Erfolgserlebnis", sagte Weidle, ob bei ihr oder den Kollegen, "dann läuft es wieder." In der Abfahrt am Samstag ließ sich davon zumindest schon wieder einiges erahnen.

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