Deutsche Sportförderung:Flugzeuge auf dem Trikot

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Gewann in Budapest zwei WM-Titel - und damit mehr Medaillen als das gesamte deutsche Team: 400-Meter-Hürdenläuferin Femke Bol. (Foto: Zheng Huansong/Xinhua/Imago)

Mehr Geld und Wertschätzung für Trainer, bessere Verzahnung von Studium und Höchstleistungen, die Firma als Sponsor: Was der deutsche Sport erst jetzt anpacken will, praktizieren andere Länder längst gewinnbringend - ein Rundgang von Texas bis Tokio.

Von Thomas Hahn und Johannes Knuth

Ein bisschen unverschämt war das ja schon, aber Thomas Berlemann hat den Affront mit einem Lächeln ertragen. Der Chef der Deutschen Sporthilfe - jener Stiftung, die pro Jahr 4000 Athleten in 50 olympischen und paralympischen Disziplinen stützt mit rund 23 Millionen Euro -, hatte zuletzt eine Art Krisengipfel mit Athleten und Reportern anberaumt. Zehnkampf-Europameister Niklas Kaul war, unter anderem, als Sachverständiger geladen, nachdem die Leichtathleten zuletzt ohne Medaillen von ihren Weltmeisterschaften zurückgekehrt waren. Und dann: WM-Gold für die Basketballer! Welche Krise? Wobei Berlemann prompt stolz darauf verwies, dass die Sporthilfe sieben der zwölf Weltmeister schon im Nachwuchs gefördert hatte.

Das alles, das räumte auch Berlemann ein, ändert wenig am grundlegenden Abschwung im deutschen Sport. Nicht nur der Leichtathletik drohen bei den Olympischen Spielen im kommenden Jahr neue Tiefstände im Medaillenranking. Sportstätten, Trainerentlohnung, Mittelvergabe, vieles bewege sich "nicht auf internationalem Niveau", sagte Berlemann. Und je länger der 60-Jährige die Defizite erörterte, entstand im Vorbeigehen ein Mosaik an Ideen, die andere Länder längst umgesetzt haben - und die bald, jetzt dann aber wirklich, auch Politik und Deutscher Olympischer Sportbund angehen wollen. Ein SZ-Blick in drei Sportsysteme, von Texas bis Tokio.

Professioneller als die Profis

Man kann wohl einen Hörsaal füllen mit Athleten, denen in der Vergangenheit, nicht nur in der Leichtathletik, erzählt wurde, wie an den Colleges in den USA die Studentenathleten verpulvert würden: Weil der Erfolg in Duellen mit anderen Unis über das Wohl des Einzelnen rücke; weil die Saison früher beginne und ende als im internationalen Betrieb, weil längst nicht alle Programme so gut seien wie jenes in Texas, wo Leo Neugebauer zu einem nationalen Rekordhalter und WM-Fünften im Zehnkampf reifte. Neugebauer hat zuletzt auch eine Gewinnwarnung an potenzielle US-Auswanderer ausgesprochen ("Es gibt so viele Beispiele, bei denen es nicht funktioniert hat"), andererseits: Entsprechende Belege lassen sich zuhauf von Athleten auftreiben, die zu einem Umzug an einen deutschen Stützpunkt bewegt wurden.

Zur Wahrheit gehört eben auch: Zumindest an den besten Colleges, sagte Neugebauer zuletzt, seien die Bedingungen "eigentlich schon fast besser" als bei den Profis. Die Sportabteilung in Texas verwaltet dank millionenschwer vermarkteter Football- und Basketballspiele ein Budget von rund 200 Millionen Euro, pro Jahr. Hörsaal, Kraftraum, Stadion, Massagen, akademische Betreuer, alles liege in einem Radius von wenigen Gehminuten. Und das Niveau der College-Wettkämpfe hat oft internationales Format ( was man von den Dopingtests allerdings weniger sagen kann).

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Kaum vorstellbar, dass Neugebauer so rasch in die Weltspitze geschossen wäre, hätte er sich in Deutschland die Zuwendungen auf der steilen Förderleiter verdienen müssen. "Ich glaube, sie sollten schon offen sein für Mittel, die Deutschland nicht bietet", sagte er zuletzt. Frei übersetzt: Interessierte könnte man noch proaktiver an gute US-Standorte vermitteln. Andere Nationen haben die Colleges längst als Drehkreuz entdeckt. Bei der jüngsten WM schickte Texas neben Neugebauer sechs weitere Studentenathleten ins Rennen: aus Barbados, Jamaika, St. Lucia und Irland. Allein 33 Medaillengewinner in Budapest, errechnete das Portal RunBlogRun, waren einstige oder aktive College-Besucher, darunter Weltmeister Mondo Duplantis (Schweden/Stabhochsprung), Josh Kerr (Großbritannien/1500 Meter) und Camryn Rogers (Kanada/Hammerwurf).

Auch in Deutschland planen offenbar immer mehr Begabungen ihre US-Karriere; in der Leichtathletik sind es derzeit dem Vernehmen nach mindestens 150 Athleten. Chiara Sistermann, 19, die WM-Zweite bei den Junioren von 2022 und eines der wenigen deutschen Stabhochsprungtalente, zieht es etwa nach Virginia. "Der Trainer hat mich gefragt, ob ich mir das vorstellen kann", erzählte sie zuletzt der Münchner tz, sie meinte: Quasi-Profisport und Medizinstudium: "Ich war auch schon vor Ort, das Team ist supernett. Und die Trainingsmöglichkeiten sind extrem gut."

Nester und Adlerhorste

Nicht nur Athleten, auch immer mehr deutsche Trainer, hat der Sporthilfe-Chef Thomas Berlemann beobachtet, zieht es an Colleges oder zu anderen externen Arbeitgebern. Dort verdienen sie schon mal doppelt so viel wie ihre bundesdeutschen Kollegen ( mit geschätzt 60 000 Euro im Schnitt); sie müssen auch nicht darum bibbern, ob ihr befristeter Vertrag ausläuft - und damit ihre Trainingsgruppe bald ohne Trainer dastehen könnte.

Patrick Saile halten nicht wenige für einen der besten jungen Trainer im deutschen Sprint, ausgebildet unter anderem im Bayerischen Leichtathletik-Verband. Er habe sich in München schon wohlgefühlt, sagt der 36-Jährige betont freundlich, aber man hört schon raus, dass das nicht immer wahnsinnig prickelnd war: als Landestrainer bei Verein A die Fahrtkosten für die Hinfahrt zu Nachwuchsmeisterschaften zu beantragen, bei Verein B die Rückfahrt, und für das Wunschtrainingslager war von A bis Z dann doch kein Geld da. Vor drei Jahren zog es Saile jedenfalls nicht zum nationalen Leichtathletikverband (dem viele Trainer nicht minder starre Strukturen attestiert haben), sondern in die Schweiz, als Nationalcoach für die Sprints und die Sprintstaffeln.

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Der Schlüssel sei gar nicht zwingend das - zweifellos höhere - Gehalt, sagt Saile: "Ich kann mir aussuchen, was ich mache, wohin ich gehe, wen ich mitnehme an Physios, wen ich fördere und wen nicht." Wenn er mit 80 Sprintern aus den Nachwuchskadern nach Belek fährt, lernen die dort von einer Läuferin wie Mujinga Kambundji, der Speerspitze der jüngeren Schweizer Leichtathletikerfolge; sie lernen aber auch von der Deutschen Alexandra Burghardt und dem österreichischen 100-Meter-Rekordhalter Markus Fuchs, die Saile weiter betreuen darf. In Deutschland ist solch grenzübergreifender Wissens- und Warenhandel bislang ausgeschlossen, hier dürfen Bundesmittel bislang nur deutschen Athleten zufließen - auch wenn viele Athleten gar nicht (mehr) die Mitbewerber im Land haben, die es bräuchte, um noch besser zu werden.

Es gibt auch hochrangige Trainer, die das Schweizer System verließen, weil sie es anderswo besser fanden. Laurent Meuwly etwa, der Hürdenläuferin Femke Bol jüngst zum WM-Titel führte, mithilfe der Leistungsfabrik des niederländischen Sports in Papendal. Dort leben und trainieren allein rund 95 Prozent der Leichtathletik-Nationalmannschaft, ihnen fließen alle Ressourcen an einem Fleck zu, Training, Physiotherapie, Biomechanik. Andererseits hätte eine derartige Zentralisierung im großen Deutschland wohl den Effekt, den Zehnkämpfer Niklaus Kaul zuletzt so beschrieb: "Je weniger Standorte, desto weniger Nachwuchsathleten kommen zum Sport."

Goldmedaillen für Deutschland, Training in der Schweiz: Alexandra Burghardt (rechts) ist ihrem Trainer Patrick Saile ins Nachbarland gefolgt. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty)

Versteht man Kaul richtig, fordert er das, was die deutsche Leichtathletik vor Jahren schon einmal unter ihrer alten Führung um Sportdirektor Jürgen Mallow und Vizepräsident Eike Emrich lebte: eine Mischung aus Stützpunkten und lokalen Zellen, die quer durch die Republik als lokale Hochleistungsbotschafter dienen. Patrick Saile hat etwa beobachtet, dass die Schweizer Leichtathletik viele Talente in solchen Zellen nach Kräften fördere, dass Trainer immer wieder zum kollegialen Austausch geladen werden, Kritik vorbringen dürfen, auch jene, die nicht dem innersten Zirkel angehören: "Wir können als Verband nicht einfach über die Köpfe dieser vielen Frauen und Männer hinweg entscheiden, die mit ihrer Arbeit wesentlich am Erfolg der Leichtathletik mitwirken," sagte Philipp Bandi, der Leistungssportchef von Swiss Athletics, vor einem Jahr der Aargauer Zeitung.

Unterhält man sich mit deutschen Trainern an der Basis, berichten die von deutlich sparsamerem Austausch, von gelegentlichen Dankschreiben - und einem Kugelschreiber als Präsent.

Speerwerfen für die Firma

Wirbt mittlerweile als Speerwurf-Weltmeisterin für ihre Firma: Haruka Kitaguchi gewann in Budapest unlängst WM-Gold. (Foto: Chai von der Laage/Imago)

Die Speerwurf-Weltmeisterin Haruka Kitaguchi trägt bei Meetings immer ein Trikot mit Flugzeug im Muster. Ob sie das schön findet, weiß nur sie selbst; Tatsache ist, dass dieses Flugzeugmuster für einen Teil ihrer Erfolgsgeschichte steht. Haruka Kitaguchi ist nämlich weder Sportsoldatin noch selbstständige Profi-Leichtathletin, wie viele deutsche Kollegen. Sie ist Angestellte der zweitgrößten japanischen Fluggesellschaft JAL. Für diese arbeitet sie als Speerwerferin mit Zuständigkeit für PR durch Medaillengewinne.

Die Nähe von Staat und Unternehmen ist in Japan immer noch so eng, dass Kenner gerne von der Japan AG sprechen. Diese Nähe spiegelt sich in der Sportförderung, in die sich Japans Firmen einbringen, indem sie nationale Olympiasportler anstellen. Das hochdekorierte Judo-Geschwisterpaar Uta und Hifumi Abe kämpft zum Beispiel für den Parkplatz-Anbieter Park24. Schwimmerin Rikako Ikee, die nach überstandener Leukämie bei der WM in Fukuoka im vergangenen Juli ins Finale über 50 Meter Schmetterling kam, ist beim Reifenhersteller Yokohama Rubber. Und Kitaguchi wirft für JAL. Sie alle können sich aufs Training konzentrieren, weil sie ein Gehalt sowie die sichere Aussicht auf Weiterbeschäftigung haben.

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Kommentar von Johannes Knuth

Talente werden in Japan meist bei Schulwettkämpfen entdeckt. Haruka Kitaguchi, die aus Asahikawa auf der Nordinsel Hokkaido stammt, hatte als Kind Einsätze im Schwimmen und Badminton, bis ein Trainer sie in der Oberschule zur Leichtathletik einlud. Von der Präfektur-Ebene schaffen es dann die Besten in die Nationalteams und gehen normalerweise auf eine Universität mit Sportbezug. Bei Haruka Kitaguchi war das die Nippon-Universität in Tokio.

In Japans Auswahlmannschaften wirken die Pläne, die Verbände mit dem Olympischen und dem Paralympischen Komitee Japans sowie mit den Fachleuten des Japan Sport Council entwickelt haben. Sie sind langfristig angelegt und lassen den Sportlern viel Freiheit. Letztlich entscheiden sie, wo das beste Umfeld für sie ist. Haruka Kitaguchi fand es in Tschechien. Seit 2019 lebt sie die meiste Zeit des Jahres in Domazlice, um dort bei Coach David Sekerak zu trainieren. Auf ihrer Instagram-Seite grüßt sie auf Tschechisch. Trotzdem ist Haruka Kitaguchi die Vertreterin eines japanischen Systems, in dem Sport nicht nur von Verbandsarbeit, Schulen und staatlichen Institutionen profitiert, sondern auch vom Arbeitsmarkt.

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