Roberto Mancini:Ein unentschuldbarer Rücktritt

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Mag nicht mehr: Roberto Mancini tritt als italienischer Nationalcoach zurück. (Foto: Marco Alpozzi/LaPresse/Imago)

Roberto Mancini wirft überraschend als Nationaltrainer Italiens hin - und das Land ruft ihm Verwünschungen hinterher. Denn der Grund dürfte ein Fabelangebot aus Saudi-Arabien sein.

Von Thomas Hürner

Der Fußball ist ein Auf und Ab, ein permanenter Ausschlag von Emotionen. Im Calcio gilt das umso mehr. Zwar lässt sich nicht behaupten, dass es gerade toll laufen würde im italienischen Fußball, von einem Höhenrausch ganz zu schweigen - doch der Calcio bleibt die Liturgie des Alltags, die Gefühle sind weiterhin da. Und damit auch die Werturteile über jene Personen, die in der leicht zu emotionalisierenden Fußballöffentlichkeit stehen.

Was das anbelangt, haben wohl wenige mehr Turbulenzen hinter sich als Roberto Mancini, 58: Verführer und Heilsbringer, Gentleman und Stimme der Vernunft, Triumphator bei der EM 2021 - fünf Jahre lang bezirzte Mancini als Nationalcoach das Volk, auf ihn konnten sich in diesem so gespaltenen Land die meisten einigen.

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Doch das ist vorbei: Mancini hat am Sonntag seinen Job hingeworfen, Italien steht ohne Commissario Tecnico da. Ein Paukenschlag, aus dem Nichts. Vorausgegangen war ein Telefonat mit dem Verbandspräsidenten Gabriele Gravina, das dieser, wie zu hören ist, mit einem kühlen "Grazie" beendet haben soll.

Und auch anderswo ist die Stimmung gekippt: "Senza scuse", kommentierte etwa die Gazetta dello Sport, Mancinis plötzlicher Rücktritt sei unentschuldbar. In diesem Job gehe es schließlich nicht nur um Fußball, sondern um Werte, um Verantwortung für die Nation. Kleiner geht's nicht.

Mancini bekam vom Verband etliche Vollmachten ausgestellt

Es gibt allerdings schon Argumente dafür, dass der Coach nun als überführter Verräter seiner eigenen Versprechungen dasteht. Obwohl für den Rücktritt offiziell "persönliche Gründe" angeführt wurden, steht Mancini offenbar vor einem Engagement als Nationaltrainer Saudi-Arabiens, wo ihm ein Dreijahresvertrag mit einem Salär in Höhe von, Achtung: 120 Millionen Euro winkt. Bei der Nazionale bekommt er vier Millionen netto pro Jahr. Eine rein ökonomische Entscheidung also? Alternative Lesarten gibt es kaum, auch wenn sich Mancini in einem Interview gegen die Kritik verteidigte: Er habe "niemanden umgebracht", er verdiene "Respekt". Ein Angebot aus Saudi-Arabien sei nicht ausschlaggebend gewesen, sondern Differenzen mit Gravina.

Abnehmen tut ihm das kaum jemand, und vielen anderen hätte man diesen Entschluss verziehen. Mancini aber hatte sich gefallen in der Rolle als Vertrauenslehrer der Nation, als einer, der das Land über den Fußball aufpäppelt und aufmuntert. Einen Zyklus, eine ganze Ära wolle er prägen, so lautete seine Behauptung.

Und Mancini bekam dafür Vollmachten ausgestellt: Vorige Woche erst wurde er zu einer Art Generaldirektor der U21- und U20-Teams ernannt, eine Stelle, die extra für ihn geschaffen wurde. Sämtliche Nominierungen wären über seinen Schreibtisch gegangen, die Trainer der Nachwuchsteams wären lediglich ausführende Organe gewesen. Die Squadra Azzurra sollte eine überwölbende Philosophie erhalten: Mancinis Philosophie. Nie zuvor hatte der Verband einem Trainer derartigen Einfluss eingeräumt, nie hat ein Trainer dieses Vertrauen so enttäuscht. Dabei passt der Rückzug in ein Muster, das Mancini fast seine gesamte Karriere lang aufführt.

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Hingeschmissen hat er schon öfter, allein zwei Mal als Trainer von Inter Mailand. Eine Episode aus dem Jahr 2008 hat Klassikerstatus: Inter war gerade aus der Champions League geflogen, chancenlos gegen Liverpool, als Mancini auf der Pressekonferenz seinen Rücktritt verkündete - trotz eines Vertrags, den er kurz zuvor vier Jahre verlängert hatte. Weil dann Angebote aus dem Ausland ausblieben, vollzog der Coach seinen Rücktritt vom Rücktritt; Inter nahm ihn jedoch beim Wort, Mancini wurde vor die Tür gesetzt. Lange haftete ihm das Image des Claqueurs an, des Opportunisten, der weiterzieht, wenn ihm das in die Lebensplanung passt.

Als Mancini sein Amt antrat, war er nicht erste Wahl

So gesehen hat Mancini eine erstaunliche Wandlung durchlebt, seine Beliebtheitswerte waren hoch. Das hatte auch mit dem Defätismus zu tun, der über dem Calcio lag, als er zum Nationalcoach ernannt wurde: Die Squadra Azzurra hatte die Qualifikation zur WM 2018 verpasst, zum ersten Mal, eine Schmach war das. Verbandsoffizielle sprachen von der "Apokalypse", der Weltuntergang erschien nicht weit entfernt. Mancini war zwar nicht erste Wahl, doch er wurde zum idealen Mann für den Job, weil er einen starken Veränderungsdrang verspürte.

Auch bei sich selbst: Als Klubcoach war er ein Verfechter des schnellen Erfolgs, die Squadra Azzurra brauchte aber einen Radikalumbruch. Mancini startete eine wilde Experimentierphase, Dutzende neue Spieler wurden getestet - und der eingeschlagene Weg wurde schließlich, weitaus früher als erwartet, seinem Ursprungszweck zugeführt: "Mancio" führte die gedemütigte und gebeutelte Nation zum EM-Triumph 2021 gegen England, errungen im Jahr nach der Hochphase der Pandemie. Der Sieg gilt im Land als Beleg dafür, dass Sport mehr kann, als man ihm oft zutraut. Oder wie es Mancini formulierte: "Wir spielen mit Spaß, damit die Italiener Spaß haben. Sie haben es verdient, nach all dem Leid."

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Ein Erfolg für die Ewigkeit - und einer, der ihm eine Menge Kredit einbrachte. Doch kein Jahr drauf war's vorbei mit dem Himmelsturm, die Nazionale durfte erneut nicht zur WM; unterlegen im Playoff gegen Nordmazedonien. Eine Schmach, schon wieder. Unter Mancini ging es hoch hinauf und zurück ins Bodenlose. Bleiben durfte er trotzdem, er hatte ja schon mal einen Aufschwung geschafft, warum nicht erneut? Mancini nahm den Auftrag mit einer Selbstverständlichkeit an, die an Selbstverherrlichung grenzte: Wer erschiene dafür geeigneter als er?

Dann kam offenbar das Fabelangebot aus Saudi-Arabien.

Anders als bei Mancinis Amtsantritt mangelt es nun aber nicht an Alternativen: Luciano Spalletti, jüngst Meistertrainer in Neapel, steht bei Verbandspräsident Gravina ganz oben auf der Liste, erste Kontakte soll es bereits gegeben haben. Der guruhafte Offensivlehrer hat sich nach dem Titel zwar in ein Sabbatjahr verabschiedet, sein Vertrag ist aber noch gültig, es würde daher eine Ablösezahlung fällig. Die Rede ist von drei Millionen Euro. Ein Klacks für die Saudis, ein Obstakel für Italiens Verbandspräsident Gravina. Er hält Spalletti dennoch für die ideale Wahl: Auch der ist ein schwieriger Charakter, aber mit revolutionärem Geist. Den brauche es jetzt. Mal wieder.

Der Coach sieht sich derweil Kritik und Häme ausgesetzt, sogar in der Gazzetta dello Sport, sonst stets bemüht um einen sachlichen Ton, ist eine Glosse erschienen, in der eruiert wird, wie der Autoliebhaber Mancini seinen Fuhrpark mit den neuen Petrodollars ausweiten könnte. Die Pointe: Sportflitzer könne er sich eine Menge leisten. Was sein Ansehen im Land anbelangt, nicht mehr ganz so viel.

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