Italiens Nationalmannschaft:Vom Himmel ins Bodenlose

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Konsternierte Europameister: Italiens Spieler nach dem 0:3 im "Finalissima" gegen Argentinien. (Foto: Peter Cziborra/Reuters)

Den Europameistern aus Italien, im Vorjahr noch in den Himmel gebeamt, wird das Licht ausgeknipst. Im Nations-League-Spiel gegen Deutschland hoffen sie erst einmal, nicht völlig einzubrechen. Und die Zukunft der Mancini-Elf? Ein Mantra, sonst nichts.

Von Oliver Meiler, Rom

In jedem Neuanfang soll ja ein Zauber wohnen, doch gerade fühlt sich das nicht so zauberhaft an. Wenn Italien nun in der Nations League auf Deutschland trifft (Samstag, 20.45 Uhr, Bologna), hofft man im Land des Europameisters erst mal nur, dass die Squadra nicht völlig und womöglich memorabel einbrechen wird. Die Deutschen, schreiben italienische Zeitungen, würden Italien wie einen Sparringspartner für ihre Vorbereitung auf die WM in Katar behandeln, für die man sich selbst weltbekannterweise nicht hat qualifizieren können. Wenn daraus mal kein Punchingball wird.

Das Licht der Azzurri ist weg, wie ausgeknipst. Und das wiegt irgendwie doppelt schwer, weil diese fast schon fatalistisch erwartete Lichtausschaltung am Mittwochabend im Londoner Wembley passierte - bei der "Finalissima" der Nationalmannschafts-Meister Europas gegen die Meister Südamerikas, Italien gegen Argentinien, in Form eines dramatischen 0:3 .

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Vor elf Monaten noch gewannen die Italiener im Wembley-Stadion die EM - ansteckend fröhlich und unbeschwert. Die Mannschaft von Roberto Mancini begeisterte sogar Leute, die ihr sonst nicht gewogen sind. "Von den Löwen der Europameisterschaft ist nichts mehr übrig geblieben: weder das Spiel, noch der Spirit, noch der Frohmut", schreibt jetzt die Gazzetta dello Sport. Einfach weg. Der Corriere della Sera benutzt das Bild eines verrückt gewordenen Aufzugs, der Italien zuerst raufgebeamt habe in den Himmel Europas und es nun mit sich ins Bodenlose zerre: "unauffindbar, hässlich, verloren".

Eine Kerbe im Selbstverständnis - die geht so schnell nicht weg

GGegen Argentinien war der Unterschied so groß, in allem, dass es wehtat. Wäre Torwart Gianluigi "Gigio" Donnarumma diesmal nicht einigermaßen auf der Höhe seines oft herbeigelobten, aber nicht immer eingelösten Talents gewesen, dann hätten die Argentinier noch viel höher gewonnen. Dazu muss man sagen, dass Leo Messi mal wieder außergewöhnlich inspiriert und lauffreudig war, was fast immer und für jeden Gegner unweigerlich in eine mittlere Katastrophe mündet. Auch die Argentinier Angel Di María und Lautaro Martinez: überall und überall gleichzeitig.

Und dennoch, heißt es Italien, dürfe ein Europameister nicht dermaßen implodieren. Eine solche Niederlage reißt eine Kerbe ins Selbstverständnis, die dann nicht mehr so schnell weggeht.

"Ich stelle mich auf eine schwierige Phase ein. Wir müssen uns aufrichten", sagte Trainer Mancini nach dem 0:3 in seinem passend grauen, neuen Anzug gleich mehrmals. Und obwohl ihn niemand fragte, fügte er an, er selbst sei voller Enthusiasmus, er habe fast zu viel davon. Echt?

Das passende Grau zum Verlierer-Silber: Italiens Trainer Roberto Mancini nach dem 0:3 bei der "Finalissima" gegen Argentinien. (Foto: Maurizio Borsari/Imago)

Als Italien im Playoff zur WM an Nordmazedonien gescheitert war, da bekniete das Land quasi kollektiv den Commissario tecnico aus Jesi in den Marken, er möge das Team bitte, bitte jetzt nicht verlassen. Zunächst sah es ja so aus, als würde Mancini hinwerfen, trotz seines Vertrages bis 2026. Der Mann hat schließlich einen Markt, und Vereine würden ihn noch besser bezahlen als Italiens Fußballverband, der allerdings auch schon gut bezahlt: vier Millionen Euro Jahresgehalt. Paris Saint-Germain? Ein Klub der Premier League? Roberto Mancini blieb, als spürte er eine nationale Verpflichtung. Den Enthusiasmus, von dem er fast zu viel haben will, muss er sich aber wohl ein bisschen einreden. Mancini sagte auch noch, er würde am liebsten jeden Tag trainieren, was dann wieder wie ein Lapsus anmutete.

"Rifondazione"! Aber mit wem soll die Neugründung gelingen?

Es ist nun also Zeit für eine Zäsur, für eine rifondazione, eine Neugründung - der Begriff avanciert in Italien gerade zum Mantra. Nur fehlt es am passenden Personal, das diesen Übergang mit etwas Hoffnung füllen würde. Von den Spielern der Serie A ist nicht einmal jeder dritte ein Italiener, das dünnt das Angebot aus. Und das EM-Siegerteam war schon auf mehreren Positionen etwas verbraucht. Giorgio Chiellini, der Kapitän, gab nun in London mit 37 seinen Abschied. Leonardo Bonucci, sein Freund und Abwehrpartner während zehn langer Jahre, muss noch beweisen, dass er auch Chef sein kann - und viel Zeit hat er nicht, er ist auch schon 35. Bonucci muss jetzt mit Alessandro Bastoni harmonieren, "Chiellos" Nachfolger.

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Für seinen 23er-Nations-League-Kader hat Mancini zudem schon mal drei Granden ausgeladen: den gerade mal wieder etwas unpässlichen Marco Verratti, der irgendwann sicher wiederkehrt; den nach Kanada auswandernden Lorenzo Insigne - und den zuletzt stetig enttäuschenden Mittelfeldlenker Jorginho. Von allen Europameistern ist der eingebürgerte Brasilianer vielleicht der spektakulärste Post-EM-Flop. Im vergangen Jahr wurde Jorginho noch als möglicher Weltfußballer gehandelt, so magistral simpel führte er Regie bei den Italienern und beim FC Chelsea. Nach zwei verschossenen, entscheidenden Elfmetern in der WM-Qualifikation war er nicht wieder zu erkennen. Der verunsicherte Jorginho ist der Spiegel der Azzurri.

Im Mittelfeld wird wohl bald die Zeit von Sandro Tonali beginnen, 22 Jahre alt, soeben Meister mit Milan. Tonali gilt in Itallien als Mix aus Andrea Pirlo, Gennaro Gattuso und Daniele De Rossi, das muss man auch erst mal aushalten. In ihm, Nicolò Barella (Inter Mailand), Manuel Locatelli (Juventus) und Lorenzo Pellegrini (Roma) wächst da eine neues Mittelfeld heran, ohne feste Garantie.

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Die Sorgenabteilung bleibt der Sturm. In den vergangenen neun offiziellen Spielen, das Freundschaftsspiel gegen die Türkei ausgenommen, haben die Italiener bloß zehn Tore erzielt - fünf davon gegen Litauen. Wo man auch hinschaut: Nirgends keimt Hoffnung, dass sich an dieser Torarmut bald etwas ändern wird. Andrea Belotti von Torino Calcio, zuletzt Start-Neuner gegen Argentinien, trifft in der Nationalmannschaft schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr. Ciro Immobile ist ein Vereinsphänomen, mit Lazio Rom reiht der Routinier Rekorde an Rekorde - nur für Italien gelingt ihm fast gar nie etwas.

Dann wären da noch Gianluca Scamacca und Giacomo Raspadori von US Sassuolo Calcio: Aber wer hat außerhalb Italiens schon mal von Scamacca und Raspadori gehört, außer den Eingeweihten? Nicolò Zaniolo vom AS Rom müsste sich persönlich etwas besser in den Griff bekommen, um sein immenses Talent nicht nachhaltig zu verspielen, dasselbe gilt für den ewig verschwenderischen Mario Balotelli. Und von Federico Chiesa darf das Land einiges erwarten - sobald er wieder ganz genesen sein wird von seinem Kreuzbandriss am linken Knie.

Zurück ist Leonardo Spinazzola, und das ist vielleicht die beste Nachricht der jüngeren Vergangenheit. "Spina" brach der halben Welt das Herz, als ihm während der EM, die er mit seinen Läufen über den linken Flügel illuminierte, die Achillessehne riss. Nun ist er wieder da, noch nicht ganz der Alte, aber immerhin: Für ein bisschen Zauber sollte seine Form schon ausreichen.

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