Ein Lebemann geht viel zu früh, mit 58 Jahren. Gianluca Vialli, den alle nur Luca nannten, einst ein moderner Mittelstürmer mit den Stulpen knapp über Knöchelhöhe, hatte fast alles erlebt, was man sich als Fußballer wünschen konnte. Auch ganz große Erfolge mit dem eher kleinen Verein Sampdoria aus Genua. Und einen Europameistertitel beinahe aus dem Nichts als "Capo Delegazione" der italienischen Nationalmannschaft vor eineinhalb Jahren. Am Ende aber, als die Krankheit plötzlich zurück war, dieser Tumor an der Bauchspeicheldrüse, und er für die Behandlung in sein geliebtes London flog, da ahnten die Italiener, dass er sich gerade von ihnen verabschiedete. "Capitano per sempre", titelte der Corriere della Sera über seine ganze Homepage, kaum war die Nachricht des Todes bekannt geworden: "Kapitän für immer".
Vialli war in eine reiche Familie aus dem norditalienischen Cremona geboren worden, der Geburtsstadt des Geigenbauers Antonio Stradivari. Er wuchs in einem Schloss auf, sehr begütert. Mit 16 debütierte er beim Heimverein Cremonese, er war so gut, dass ihn einige Jahre später Sampdoria zu sich holte. Und da begann, was man in Italien die Zeit der "Samp d'Oro" nennen sollte, die goldene Ära der Samp. 1991 wurden sie Meister, ein seltener Einbruch in die Phalanx der üblichen Granden. 1992 stand die Samp dann sogar im Finale der europäischen Königsklasse, gegen den FC Barcelona.
2019 holte ihn Mancini zum Nationalteam, da war Vialli schon seit zwei Jahren krank
Der Calcio stand für einmal auf dem Kopf, dank den "Zwillingen des Tors". Vialli bildete ein ungleiches, aber wunderbar komplementäres Offensivduo mit Roberto Mancini, dem heutigen Trainer der Azzurri. Vialli war eine Naturgewalt, schnell und kräftig und bei alledem auch technisch versiert. "Mancio" gab den Feingeist knapp dahinter, den Stradivari gewissermaßen, er servierte Bälle in die Spitze, fast jeder Einsatz stimmte. Vialli war laut, auch mal vorlaut. Mancini dagegen ist scheu, ein Introvertierter. Die zwei wurden Freunde und blieben es auch, als Vialli weiterzog: zunächst zu Juventus Turin, dann zum FC Chelsea, wo er zuletzt Spielertrainer sein sollte. Überhaupt: Er war immer auch Trainer auf dem Platz, schon jung.
2019 holte ihn Mancini zum Nationalteam, da war Vialli schon seit zwei Jahren krank. Er sollte die Jungen motivieren, ihnen das Kämpfen beibringen. Vialli versprühte Hoffnung mit seinem Beispiel, mit seinem Lachen, mit seinem Buch über das Leiden. Nichts an der EM 2021 berührte die Italiener mehr als seine Umarmungen mit Mancini. Über den Krebs sagte Vialli einmal: "Er ist wie ein ungewünschter Reisebegleiter, der sich zu mir in den Zug gesetzt hat. Ich muss einfach weitermachen, ohne je aufzugeben, und hoffen, dass er müde wird und mich noch viele Jahre leben lässt."