IOC und Russland:Und jetzt: Chaos

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Russlands Rückkehr in den Weltsport rückt immer näher. (Foto: Hannibal Hanschke/dpa)

500 Tage vor Beginn der Olympischen Spiele in Paris zeichnet sich ein weiterer Meilenstein ab: Athleten aus Russland und Belarus könnten dort wieder dabei sein. Der Weltsport steht vor einer gewaltigen Zerreißprobe.

Von Johannes Knuth

Vor Kurzem war Oleg Lawritschew offenbar mal wieder an der Front. Das Belegfoto dazu spülte er dem Anschein nach selbst in die sozialen Netzwerke: Im Hintergrund schweres Kriegsgerät, davor sind Lawritschew und Soldaten hinter einer russischen Flagge mit dem "Z" versammelt, dem Symbol für Russlands Angriffskrieg in der Ukraine. Lawritschew sitzt der Stadtduma von Nischni Nowgorod vor. Nebenbei, und da wird es sportlich, ist er Vizepräsident des russischen Fechtverbandes. So lässt sich der Zwiespalt natürlich auch bündeln, der den Weltsport seit Beginn des russischen Überfalls begleitet: dass Russland den Sport weiter als Abspielfläche nutzt, wo es nur kann. Und dass es viele auch deshalb für hochproblematisch erachten, wenn die zumeist staatsgeförderten Athleten aus dem Land jetzt wieder in die Sportfamilie zurückkehren, unter neutraler Flagge.

Genau das treibt das Internationale Olympische Komitee (IOC) seit Wochen voran - obwohl Russlands Krieg kein bisschen weniger heftig tobt, im Gegenteil. Und just der Weltverband der Fechter, der lange Jahre vom russischen Oligarchen Alischer Usmanow und dessen Geldbörse abhing und der sein Präsidentenamt nur vorübergehend niedergelegt hat, dieser Verband ist nun also zufällig vorgeprescht (auch wenn Usmanow ausdrücklich betont, dass er die Fie derzeit nicht finanziert).

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Seine Delegierten votierten dafür, Athleten, Teams und - Achtung - Funktionäre aus Russland und Belarus wieder bei Wettkämpfen einzugliedern - gerade rechtzeitig, bevor nun die Qualifikationen für die Sommerspiele 2024 in Paris anbrechen. Ein Präzedenzfall, hinter dem sich weitere Fachverbände versammeln könnten. Denen überträgt das IOC ja wieder die Aufgabe, in der Russland-Frage zu entscheiden, wie beim Staatsdopingskandal vor den Rio-Spielen. Und so dürfte gerade das nächste Chaos auf den Weltsport zurollen, genau 500 Tage, bevor sich in Paris die olympischen Pforten öffnen.

Sollten Athleten aus Russland und Belarus in Paris willkommen sein, könnte die Ukraine die Spiele boykottieren

Zumindest aus der Politik schwappt ihnen im Olymp gerade beachtlicher Widerstand entgegen. Lucy Frazer, die in Großbritannien für den Sport zuständige Ministerin, setzte zuletzt die wichtigsten Sponsoren des IOC in einem Brief unter Druck, und mit ihnen die zumeist in Großbritannien ansässigen Generaldirektoren: Man möge, so Frazer, doch einen Bann der Athleten aus Russland und Belarus unterstützen. Frazer hatte zuletzt einen Gipfel von Ministern aus 35 Nationen geleitet, darunter auch Deutschland und der kommende Olympia-Gastgeber. In der - letztlich abgeschwächten - Resolution bemängelten die Politiker, das IOC lasse "substanziell" offen, wie es sich eine neutrale Mannschaft aus Russland und Belarus vorstelle.

Die britische Ministerin Lucy Frazer setzt Sponsoren des IOC unter Druck - auf den Brief kommt prompt ein Konter im bekannten Refrain. (Foto: Justin Tallis/AFP)

Das IOC konterte Frazers Brief prompt, im bekannten Refrain: Es sei nicht Sache von Regierungen, welche Athleten an welchen internationalen Wettkämpfen teilnehmen dürften. Ein netter Schenkelklopfer: Wie war das noch mal mit Athleten aus Iran und Belarus, die sich zuletzt gegen ihre Regimes stellten, zum Teil von diesen ermordet wurden? Oder mit der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai, die von der Bildfläche verschwand, nachdem sie einem hochrangigen Politiker sexualisierte Gewalt vorgeworfen hatte?

Apropos Tennis: Dort segeln Athleten aus Russland und Belarus weiter unter neutraler Flagge durch die Turnierserien, was das IOC gerne als Beispiel heranzieht: Klappt doch wunderbar! Tatsächlich zeigt es, was bald wohl in vielen Sportarenen Alltag werden dürfte. Bei den Australian Open zeigten Putin-nahe Zuschauer ihre Sympathien für Russland, unverhohlen.

Die Ukrainerin Marta Kostjuk weigerte sich zuletzt, die Hand ihrer russischen Gegnerin Warwara Gratschewa zu schütteln, nachdem Kostjuk in Texas ihr erstes Turnier auf der Profitour WTA gewonnen hatte. Landsfrau Lessja Zurenko zog sich jetzt in Indian Wells vor ihrem Drittrundenmatch gegen die Belarussin Aryna Sabalenka zurück. Grund sei eine "Panikattacke", so Zurenko, die sie nach einem Gespräch mit WTA-Chef Steve Simon erlitten habe. "Er sagte mir, dass er selbst den Krieg nicht unterstützt, aber wenn Spielerinnen und Spieler aus Russland und Belarus dafür seien, dann sei dies nur ihre eigene Meinung", sagte Zurenko. "Über die Meinung anderer Leute solle ich mich nicht ärgern." Die WTA schrieb in einer Reaktion sinngemäß, man verurteile den Krieg, weigere sich aber, Athleten für die Taten ihrer Regierung zu verurteilen.

Das deutet schon ein Szenario an, das Ukraines Außenminister Dmytro Kuleba im Februar so beschrieben hatte: Sollten Athleten aus Russland und Belarus in Paris willkommen sein, auch unter neutraler Flagge, könnte die Ukraine die Spiele boykottieren. Wie Oleg Lawritschew, der Fan des Fechtens oder des militärischen Gefechts, das wohl ausschlachten würde?

Und die deutsche Sportpolitik?

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Der Deutsche Fechter-Bund etwa kommentierte den jüngsten Schritt des Welt-Fechtverbands zuletzt, als sei er ein paralysierter Zeuge eines Verkehrsunfalls. DFB-Präsidentin Claudia Bokel fragte sich, wie man künftig mit "internationalen Fechthighlights" in Deutschland umgehe - die würde der Weltverband den Deutschen ja bald wohl entziehen - es sei denn, die Bundesregierung lockere ihre Einreisereglungen für Athleten aus Russland und Belarus.

Was Bokel irgendwie vergaß im Kommuniqué ihres Verbandes: Wie sie in der Russland-Frage abgestimmt hatte, als eine von mehr als 100 Delegierten des Weltverbands. Etwa dafür, zumindest Athleten aus Russland und Belarus wieder zuzulassen? Das legte ein Bericht des Spiegel nahe. Der DFB wich Nachfragen aus, betonte zugleich, daraus könne man keinesfalls ableiten, dass Bokel für eine Zulassung votiert habe. Und wenn doch? Das Bundesinnenministerium hatte den Schritt immerhin als "falschen Weg" etikettiert, den deutschen Verband aber nicht explizit in die Pflicht genommen. Konkrete SZ-Nachfragen dazu ließ das BMI unkommentiert - auch jene, ob sich das Abstimmungsverhalten des DFB darauf auswirken könnte, wie der Verband künftig vom Bund gefördert wird.

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Viele Athleten dürften mittlerweile ahnen, wie sehr sie diesen Konflikt bald ausbaden dürfen. Zwar bekräftige das BMI, dass man Athletenreisen zu Wettkämpfen mit russischen Athleten künftig wieder fördern könnte, in Ausnahmefällen- Athleten dürften ja nicht unter fragwürdigen Entscheidungen von Funktionären leiden. Doch die Probleme wurzeln auch so tief.

Der (vom IOC suspendierte) Amateurbox-Weltverband und sein russischer Präsident Umar Kremlew lassen ab Mittwoch, bei der WM der Frauen, sogar wieder Russinnen und Belarussinnen mit Flagge und Hymne zu. Rund ein Dutzend Nationen boykottiert deshalb die Wettkämpfe, darunter die Deutschen - auch wenn es offiziell heißt, man bereite sich auf ein anderes Qualifikationsturnier vor. Amateurbox-Europameisterin Stefanie von Berge sagte der Welt am Sonntag aber offen, sie könne den Verzicht verstehen. Wäre sie angereist, hätte sie trotzdem gegen eine Russin geboxt.

Ob das alle Athleten künftig so pragmatisch handhaben werden?

Hinweis der Redaktion: In einer vorherigen Version des Artikels wurde erwähnt, dass Alischer Usmanow den Fecht-Weltverband nach wie vor finanziert. Die entsprechende Passage wurde angepasst.

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