Gespräch mit Eishockey-Hallensprecher Schneider:"Es gibt nichts zu bereuen!"

Lesezeit: 7 min

Arbeitsplatz Nordkurve: Stefan Schneider nach dem Spiel zwischen Red Bull München und dem ERC Ingolstadt am 23. Februar. (Foto: Bruno Dietrich/City-Press / RBM Media / oh)

Stefan Schneider, "Münchens große Stimme" von 1860 und seit 34 Jahren Hallensprecher beim Münchner Eishockey, korrigiert vor dem Umzug in die neue Arena einen berühmten Versprecher und klärt auf, warum es kein Spiel ohne Gummibärchen für ihn gibt.

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Ein Gasthaus an der Münchner Großmarkthalle, bekannt für seine ausgezeichneten Weißwürste. Es ist 11 Uhr, das Lokal bereits gut gefüllt. Am Abend zuvor war Stefan Schneider beim Starkbieranstich auf dem Nockherberg, was man ihm aber nicht ansieht. Locker in den Knien federnd, steuert er Tisch Nummer 100 an, "das ist der ruhigste". Schneider ist Stammgast, die Bedienungen und Kellner begrüßen mit Namen.

In den nächsten 90 Minuten geht es aber nicht um Münchens beste Weißwurst. Sondern um den Abschied von der Olympia-Eishalle, wo der EHC Red Bull München an diesem Freitag den Tabellenletzten Augsburg empfängt. Es ist das letzte Punktspiel vor den Playoffs der Deutschen Eishockey Liga und damit auch vor dem Umzug im Herbst in den SAP Garden - 57 Jahre nachdem hier das erste Eishockeyspiel ausgetragen wurde, zwischen dem FC Bayern und dem SC Riessersee übrigens.

Seit 34 Jahren sitzt Schneider, 61, am Stadionmikro seiner "geliebten Bruchbude am Oberwiesenfeld". Ein nostalgischer Plausch bei Kalbsbrust mit Semmelteigfüllung über Münchens wahre Liebe, Straubingen (mit -en!) und Künstliche Intelligenz am Sprechertisch.

SZ: Herr Schneider, 2019, in der längsten Playoff-Serie der DEL-Geschichte zwischen München und Augsburg, besangen die Fans des Augsburger EV irgendwann "Münchens wahre Liebe: AEV". Eine hübsch ironische Hommage an Ihren Spruch von "Münchens großer Liebe", den Löwen.

Stefan Schneider: Das hätte ich mich nicht getraut zu sagen, aber ich dachte mir damals: Ein gewisses Plagiat ist hörbar (schmunzelt). Man sagt ja im Leben nicht so arg viele ganz gute Sachen. Aber dieser Spruch war wahrscheinlich einer der besten, die ich so losgelassen habe. Zusammen mit dem, als ich mal in der SZ gesagt habe, dass manche zur Domina gehen und ich eben zu 1860.

Sie waren von 1993 bis 2021 Stadionsprecher beim TSV 1860 München. Angefangen - und bis jetzt nicht aufgehört - haben Sie aber als Hallensprecher 1990 beim Münchner Eishockey, erst bei Hedos München, dann beim ESC, den Barons, und aktuell beim EHC Red Bull. Wie kamen Sie dazu?

Zu meiner Zeit bei Radio C in Südtirol war ich oft bei Spielen des HC Ritten und des HC Bozen. Aber die Liebe kam dann in München mit Hedos. Zu meiner Zeit bei Radio Xanadu hat mich Hedos-Manager Franz Hofherr angerufen und gesagt: Ich höre Sie immer im Radio, Sie sind sportaffin, möchten Sie nicht mal? Ich habe ihm gesagt: Ich habe keine Ahnung, ob ich das kann, komme aber gerne vorbei und schaue es mir an. Mein Vorgänger Robert Larasser hat mir dann alles erklärt - und dann bin ich relativ schnell da unten gesessen, wo ich jetzt seit 34 Jahren am gleichen Platz sitze.

Stadionsprecher bei den Löwen und beim EHC, dazu Moderator auf der Wiesn: Der Titel "Münchens große Stimme" geht an Sie, einverstanden?

Ähm. (Pause) Man ist ja selber eher bescheiden. Aber es freut mich natürlich, dass ich im Laufe der Jahre vielen Leuten ein sehr positives Stadionerlebnis habe geben können. Beim Derblecken am Nockherberg kam eine sehr nette ältere Dame zu mir und sagte: Mei, Herr Schneider, schade, dass Sie nicht mehr bei 1860 sind, aber mein Sohn und ich haben uns jetzt Karten fürs Eishockey gekauft, um Sie zu hören. Und wissen Sie was? Wir kommen jetzt öfter.

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Sie sind als einer der ersten Stadionsprecher raus aufs Eis und auf den Rasen, um mit den Fans zu interagieren. Auf Sie geht auch der Brauch zurück, nur den Vornamen eines Torschützen zu nennen, und das Publikum antwortet mit dem Nachnamen.

Meine Vorgänger sagten einfach: Guten Tag, ich verlese ihnen nun die Aufstellung des TSV 1860 München. Ich habe gesagt: Freunde, da oben setze ich mich nicht rein, ich bin vom Radio Bühnenarbeit gewohnt, ich geh' runter, da habe ich einen besseren Draht zu den Leuten. Nach einem der ersten Spiele, in denen ich das gemacht habe, hat der Wildmoser (der ehemalige Löwen-Präsident Karl-Heinz Wildmoser, Anm. d. Red.) zu mir gesagt: Meinen Sie, dass man das wirklich so ansagt? Ich habe ihm geantwortet: Sie haben gesehen, es haben alle im Grünwalder Stadion mitgemacht. Da ich viele 1860-Fans von Hedos München kannte, habe ich, ohne groß zu überlegen, den Torschützen Bernhard Winkler genau so angesagt wie beim Eishockey. Die spontanen Sachen sind ja oft die besten. So ähnlich ist auch "Münchens große Liebe" entstanden.

Wie das?

Ich habe vor einem Spiel unten am Spielfeldrand mit Bernd Schmelzer vom BR geratscht, als hinter mir schon die Mannschaft kam und ich das Kommando bekam: Schneider, Mannschaft hinter dir. Ich war unkonzentriert und habe einfach so gesagt: Meine Damen und Herren, hier kommt Münchens große Liebe. An dem Nachmittag haben dann viele Leute zu mir gesagt, noch nie habe jemand besser das Gefühl beschrieben, das sie zu diesem Klub haben.

Wie viel Animateur muss ein Stadionsprecher sein?

Der Stadionbesuch hat sich verändert. Die Zuschauer wollen kulinarisch was haben, am Fanshop stöbern und sie wollen unterhalten werden. Aus der reinen Sprechertätigkeit ist Infotainment geworden. Es ist aber ein schmaler Grat, es wird auch ganz genau geschaut, was der Schneider so erzählt. Also manche Sachen ...

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Jaaa ...?

Ich habe Gott sei Dank (klopft dreimal auf den Tisch) nicht so viele Böcke geschossen. Aber in über 30 Jahren geht halt mal was schief.

Zum Beispiel?

Mein berühmtester Versprecher war an der Deponie draußen, in der Allianz Arena. Ich war am selben Tag erst beim Eishockey und dann beim Fußball. Es war stressig, ich hatte im einen Ohr die Regie, dann redet noch einer mit dir, und dann kommt auch noch der Schiri und sagt: Die schmeißen Sachen aufs Spielfeld, mach mal eine Durchsage. Ich habe dann also durchgesagt: "Bitte werfen Sie keine Gegenstände auf die Eisfläche" - bei 28 Grad und gleißendem Sonnenschein.

Wenn das ein Versprecher war - was war dann "Straubingen"? Eine gezielte Provokation des niederbayerischen Rivalen Straubing Tigers?

Ich bin gerne bereit, der Süddeutschen Zeitung einen Air-Check zur Verfügung zu stellen. Bei mir läuft nämlich eine Dokumentation mit, damit niemand behaupten kann, der Schneider hat dies und das gesagt. Ich habe definitiv nicht Straubingen gesagt. Ich traue mich schon, einen Spruch loszulassen, aber das ist zu klein, den Joke mache nicht.

Es muss aber danach geklungen haben. Das kleine "-en" wurde zum Politikum und hatte sogar ein juristisches Nachspiel.

Straubinger Verantwortliche haben es so wahrgenommen, die Hochdeutsch sprechende DEL-Zentrale hat es auch so gehört. Es war danach eine Geschichte unter Rechtsanwälten. In Bayern hat es keiner so gehört. Aber mir war es dann zu müßig, da nachzutarocken. Diese Mannschaft ist für mich die Mannschaft vom Pulverturm oder "unsere Gäste aus Niederbayern".

Straubing sagen Sie nicht?

Wenig, ganz wenig. Weil ich niemanden provozieren möchte. Mit einem Grinsen weiß ich ja: Das Fass habe nicht ich aufgemacht. Das lief eher unter der Rubrik Eigentor, denn es hat sich ja dann etabliert. In Köln zum Beispiel stand auf einem Plakat, dass die Haie gegen Straubingen spielen. Im ZDF-Teletext war von Berlin gegen Straubingen zu lesen. Also ich bin sehr fein damit, ich habe überhaupt nichts gegen die niederbayerische Mannschaft.

Ist der Profisport humorloser geworden?

Es wird genauer hingehört, so wie in der Gesellschaft. Da denke ich mir manchmal, jetzt lass einfach mal stecken. Ich habe bei 1860 das Verlieren gelernt, das ist gut, wenn man das im Leben kann. Ich kann auch relativ gut einstecken. Aber ich fühle mich nicht kontrolliert, ich kann schon noch sagen, was ich möchte.

Was hat sich in den 34 Jahren noch verändert?

Alles ist professioneller geworden. Spieler, die nach dem Spiel noch schnell eine rauchen, oder Spieler, die zu Hedos-Zeiten während der Wiesn am Abend vor einem Spiel sehr gesellig waren, das gibt es heute nicht mehr. Heute hat jeder ein Handy, das bleibt nicht mehr in der kleinen Runde.

"Münchens große Liebe": Stefan Schneider im April 2019 an einem seiner Lieblingsorte - beim Spiel der Sechziger gegen Preußen Münster im Grünwalder Stadion. (Foto: Wagner/Fotostand/Imago)

Pflegen Sie noch Rituale?

Auch wenn es nicht nötig wäre, ich wechsle vor jedem Spiel die Batterien von meinem Mikro und Sender. Und es gibt eine bezaubernde Dame, sie sitzt seit 25 Jahren hinter mir, in der Reihe vier in der alten Eishalle, die bringt mir zu jedem Spiel eine Tüte Gummibärchen mit. Die steht dann neben mir, und das wissen die Spieler und Schiedsrichter. Bei den Trainern ist das zwar nicht gerne gesehen, aber so kann man beim Schneider im Vorbeigehen schnell mal ein paar Gummibärli mitnehmen.

Irgendetwas zu bereuen?

Geile Frage, habe ich mir letztens erst gedacht: Es gibt nichts zu bereuen!

Sie haben gesagt, Sie haben bei Sechzig das Verlieren gelernt. Beim EHC Red Bull sind Sie nun quasi beim FC Bayern des deutschen Eishockeys, der in den vergangenen acht Jahren viermal den Titel geholt hat. Wie geht das zusammen?

Ach, es ist schön! Es ist schön! Ich muss mich nicht mittags um 12 Uhr schon verabreden, wo wir um 18 Uhr den nächsten Sieg feiern, weil ich Bayern-Fan bin. Das ist nicht so meins. Ein Sieg muss etwas Besonderes bleiben. Aber: Wir waren in der Oberliga, wir waren in der zweiten Liga, wo wir überall waren. Und wenn du dann plötzlich weißt, wir sind die beste Mannschaft in Deutschland - das ist schon großer Sport! Dafür bin ich sehr dankbar.

Sie sind Jahrgang '62, im April werden Sie 62 - wie lange wollen Sie Stadionsprecher bleiben?

Ich habe noch drei Jahre Vertrag. Viele Jahre habe ich in der alten Eishalle Tradition mit Zukunft gelebt, jetzt wartet ab dem Herbst im SAP Garden Zukunft mit Tradition auf mich.

Auch kein schlechter Spruch. Und nach den drei Jahren übernimmt dann eine KI?

Sie werden lachen, darüber habe ich auch schon nachgedacht. Bei Abba läuft es ja mittlerweile auch so. Vielleicht bin ich zu alt dafür, aber ich denke mir: Ja spinnt ihr, ich zahle doch keine 80 Euro, um einen Avatar zu sehen. Vielleicht geht es irgendwann mal ohne Stadionsprecher - ich glaube es nicht. Was mich betrifft: Wenn die Leute nach den drei Jahren noch wollen, dass ich komme, dann hänge ich vielleicht noch ein Jahr dran. Falls es noch geht. Ich war ja noch nie 65.

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