Harte Kritik an Philipp Lahm:Der Fußball erregt sich über den Tabubruch

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Die Veröffentlichung von Team-Interna durch Philipp Lahm führt in der Fußballszene zu heftiger Kritik. Selbst Bundestrainer Löw ist missgestimmt, bestellt Lahm zum Rapport, will ihn aber nicht als DFB-Kapitän absetzen. Der Bayern-Profi entschuldigt sich öffentlich.

Thomas Hummel

Die Motive, die Philipp Lahm dazu trieben, mit 27 Jahren eine Autobiographie zu schreiben, liegen noch im Dunkeln. Ums Geld geht es mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht, der Profifußballer des FC Bayern dürfte genug davon auf dem Bankkonto haben. Will er sich einen Namen als Literat machen, um bald das Literarische Quartett als Quintett wiederzubeleben? Ebenfalls unwahrscheinlich. Und so raunt die Szene, dass Lahms Berater Roman Grill mal wieder seinen Einfluss ausgeübt habe.

Verschluckt? Philipp Lahm erntet heftige Reaktionen auf sein Buch. (Foto: dpa)

Grill versteht seinen Beruf als Spielerberater derart, dass er seine Profis in der Öffentlichkeit als selbständige, scharfzüngige Denker positionieren möchte. So fielen seine Spieler Lahm oder Piotr Trochowski bereits mit kritischen Interviews auf. Philipp Lahms Buch Der feine Unterschied lässt sich durchaus so lesen, dass sich da jemand als spielende Fußballinstanz inszenieren möchte. In etwa so: Aus dem braven Gutmenschen aus München-Gern wird ein Kritiker, der vor unangenehmen Wahrheiten nicht zurückschreckt.

Lahm äußert mehr oder minder negative Einschätzungen zu seinen Ex-Trainern Rudi Völler (DFB), Felix Magath, Jürgen Klinsmann und Louis van Gaal (FC Bayern), lobt hingegen Joachim Löw (DFB). Das alleine ist für einen aktuellen Nationalspieler ungewöhnlich. Als Tabubruch gilt indes, teaminterne Stimmungen und Vorgänge preiszugeben, zum Beispiel hadert Lahm mit der deutschen Nationalmannschaft von der EM 2008. Die Reaktionen darauf hätte sich der intelligente Profi vorher ausmalen können.

Die Angegriffenen wehren sich heftig. Zuerst Rudi Völler ("erbärmlich, schäbig, Frechheit, null Charakter"), am Donnerstag folgte Felix Magath: "Jeder, der ein Buch schreibt, will dieses Buch ja auch verkaufen; sprich: Geld damit verdienen", sagte er der Welt: "Darum muss halt etwas drinstehen, was die Leute interessiert. Ich kann dazu nur eines sagen: So wird man keine Persönlichkeit!"

Auch nicht direkt Betroffene sanktionieren Lahms Tabubruch des Kabinenflüsterns mit öffentlicher Ablehnung: Thomas Helmer, ehemaliger Bayern-Profi, sagte: "Er ist Kapitän bei den Bayern und in der Nationalmannschaft, und er braucht das Geld nicht. Ich verstehe das nicht." Dessen früherer Mitspieler Mario Basler sieht "ein schwerwiegendes Vergehen, dass Philipp Lahm zum Beispiel Rudi Völler derart attackiert hat". Zum Generationenkonflikt lässt sich die Debatte aber nicht reduzieren, denn selbst der hochmoderne Trainer von Bayer Leverkusen, Robin Dutt, wetterte: "Das ist ein absolutes Tabuthema. Man kann nur froh sein, dass man nicht Teammitglied von Philipp Lahm ist, weil man nicht weiß, was in den nächsten fünf Jahren veröffentlicht wird. Am Ende des Tages sollte man sich nicht bei zu vielen Menschen entschuldigen müssen", meinte Dutt: "Ich schätze Spieler, die ihre Meinung sagen, aber das macht man intern. Doch interne Kritik steigert keine Auflagen."

Bayern in der Einzelkritik
:Rammböcke und Spritsparer

Manuel Neuer darf endlich sein Hemdchen dreckig machen, Daniel Van Buyten schickt seinen Doppelgänger auf den Platz, Mario Gomez gibt den Spielverderber für alle Schweizer. Und Philipp Lahm? Der denkt nur an die Verkaufszahlen seines neuen Buchs. Die Bayern beim 1:0 in Zürich in der Einzelkritik.

Carsten Eberts, Zürich

Dutts Einlassungen lassen sich freilich so deuten, dass er seinem Sportchef Völler beispringen will. Mit Spannung wartete die Fußball-Öffentlichkeit indes auf die Reaktion des Deutschen Fußball-Bundes. Die kam dann auch am Donnerstag: Philipp Lahm darf zwar Kapitän der Nationalmannschaft bleiben, wird sich aber noch Fragen stellen lassen müssen. Auf Fußballdeutsch: Er wird vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich am 2. September zum Rapport bestellt.

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Carsten Eberts, Zürich

"Es gibt einige Passagen in dem Buch, die mir nicht gefallen, weil hier ein junger Spieler einige Trainer, die lange und erfolgreich gearbeitet haben, öffentlich kritisiert. Auch darüber werden wir in der kommenden Woche sprechen", sagte Bundestrainer Joachim Löw. Manager Oliver Bierhoff ergänzte: "Wir wollen zwar mündige Spieler, die auch mal klar ihre Meinung sagen. Im konkreten Fall ist Philipp allerdings an Grenzen gestoßen. Es war aber nach Bewertung des gesamten Buches für uns zu keinem Zeitpunkt ein Thema, Philipp als Kapitän abzusetzen, wie das schon von einigen spekuliert wurde."

DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach verteidigte die Arbeit der früheren Bundestrainer Völler und Klinsmann. Beide hätten ihr Amt in schwierigen Zeiten übernommen und für den DFB gut gearbeitet. "Als Nationalspieler und Weltmeister, aber auch in ihrem ganzen Auftreten für den deutschen Fußball, können die Verdienste von Rudi Völler und Jürgen Klinsmann nicht hoch genug bewertet werden. Das sollte auch Philipp wissen", erklärte Niersbach.

DFB-Präsident Theo Zwanziger, Niersbach, Löw und Bierhoff haben sich darauf verständigt, dass es in der kommenden Woche vor dem Länderspiel in Düsseldorf ein Gespräch der sportlichen Leitung mit Kapitän Lahm und dem Spielerrat geben soll. Dabei soll unter anderem die Sensibilität im Umgang mit Interna aus dem Mannschaftskreis thematisiert werden.

Beachtet der DFB die Kommentare auf Philipp Lahms Facebook-Seite, dürften sich allerdings die Hardliner bestätigt fühlen. Neben groben Beschimpfungen und einigen Unterstützern lassen die meisten Leser Lahm freundlich wissen, dass er nun aber wirklich einen Fehler gemacht habe. Einige mutmaßen, dass er falsch beraten sei, was an die Adresse von Roman Grill geht.

Zunächst glaubte Lahm noch, dass der richtige "Zeitpunkt, über mein Buch zu reden", noch nicht gekommen sei. Doch am Donnerstagnachmittag wurde der Druck auf ihn offenbar schon so groß, dass er in einer von seinem Berater Grill versendeten Pressemitteilung erklärte. "Ich wollte Rudi Völler, Jürgen Klinsmann und andere Personen selbstverständlich nicht persönlich treffen oder gar beleidigen. Vielmehr wollte ich, wie aus der Lektüre meines Buches zweifelsfrei hervorgeht, ehrlich meine Meinung über die Arbeit unter unterschiedlichen Trainern und zu verschiedenen Zeiten schildern und einige Hintergründe dieser Entwicklung beleuchten. Dies erscheint mir in der derzeitigen Diskussion verkürzt und überzogen rübergekommen zu sein. Das tut mir leid. Für Missverständnisse, die auf diese Weise entstanden sind, entschuldige ich mich hiermit bei allen Beteiligten."

Am Montag erscheint das Werk im Buchhandel, vielleicht hat er sich bis dahin auch zu seinen Motiven geäußert.

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