Debatte um Philipp Lahms Buch:Mini-Capitano klagt an, Völler tobt

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"Schäbig" nennt Rudi Völler das Buch des Bayern-Kapitäns Philipp Lahm. In den Augen seiner Gegner ist es eine Abrechnung mit ehemaligen Trainern und Mitspielern. Für andere offenbart Lahm nur Dinge, die ohnehin offensichtlich waren. Die Kritik einiger konservativer Fußball-Fachvertreter dürfte ihm egal sein - auch weil sie ihm wohl beträchtlich nützt.

Jonas Beckenkamp

Eigentlich sieht er auf dem Platz oft aus wie ein braver Junge. Wie einer, mit dem man gerne zusammenspielt - einer, der nicht herumbrüllt und trotzdem vorangeht. Philipp Lahm ist längst ein Führungsspieler, auch wenn er sich selbst zuletzt gegen Kritik an seiner Ausübung dieser Rolle wehren musste.

Rudi Völler (li.) ärgert sich über Philipp Lahms Kritik an seinen ehemaligen Trainern und Mitspielern - er findet die Ausführungen des Bayern-Kapitäns "schäbig und erbärmlich". Unter Völler bestritt Lahm im Februar 2004 gegen Kroatien sein erstes A-Länderspiel. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Mitten rein in die ständigen Diskussionen um Autorität, mangelnde Führungsqualitäten und sein vermeintlich fehlendes Vorkämpfertum bricht jetzt eine neue Welle der Empörung: Es geht um Lahms Buch Der feine Unterschied, das am kommenden Montag im Handel erscheinen wird.

In Auszügen, die vorab in der Bild-Zeitung erschienen, heißt es dort beispielsweise über den ehemaligen Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann: "Bei Klinsmann trainierten wir fast nur Fitness. Taktische Belange kamen zu kurz. Wir Spieler mussten uns selbständig zusammentun, um vor dem Spiel zu besprechen, wie wir überhaupt spielen wollten." Bereits nach sechs Wochen hätten die Spieler gewusst, dass es mit dem früheren DFB-Teamchef nicht klappen würde.

Für manche gehen solch klare Aussagen zu weit. Sie verstehen Lahms Erklärungen als Abrechnung mit ehemaligen Trainern und Weggefährten und damit per se als empörenswert. Rudi Völler ist so einer, dem Lahms offene Worte gehörig gegen den Strich gehen. "Ich empfinde das als Frechheit ohnegleichen, was er da beispielsweise über seinen ehemaligen Trainer Jürgen Klinsmann geschrieben hat", sagte der frühere Nationalmannschafts-Teamchef der Nachrichtenagentur dpa am Mittwoch. Vorab zu lesen sind in Bild vor allem jene Stellen aus Lahms Werk, in denen es um Probleme beim FC Bayern und den mangelnden Teamgeist der Nationalelf bei der EM 2008 ging.

Teilweise sei das "erbärmlich und schäbig", ergänzte Völler. Der heutige Sportchef von Bayer Leverkusen bescheinigte Lahm darüber hinaus "null Charakter" und rief den DFB indirekt zu Konsequenzen auf: "Ich bin mal gespannt, wie da jetzt reagiert wird und wie man dort mit den Veröffentlichungen umgeht." Beim Verband selbst wollen allerdings die "Entscheidungsträger erst einmal das Gesamtwerk" lesen, wie Mediendirektor Ralf Köttker mitteilte. Wegen seiner Kritik an den Trainings- und Taktikmethoden von Klinsmann und auch von Louis van Gaal ("Er hat sich während seiner zweiten Saison schlicht geweigert, die Mängel seiner Philosophie zur Kenntnis zu nehmen und zu beseitigen.") bekommt der Bayern-Kapitän auch von Ottmar Hitzfeld ordentlich Gegenwind zu spüren.

"Ich finde das eigentlich nicht günstig, denn als aktueller Nationalspieler sollte man sich ein wenig zurückhalten. Das ist ja ein Buch, das Kritik übt an seinen Vorgesetzten. Und da fragt man sich, warum hat er das nicht früher angebracht?", monierte der Schweizer Nationalcoach bei Sky und fügte ebenso kritisch an: "Als Klinsmann da war, als van Gaal da war, hat er sich ja auch immer zurückgehalten. Und das finde ich eigentlich schade. Da ist Philipp Lahm, der eigentlich einen guten Charakter hat, nie negativ auffällt und immer moderate Interviews gibt, ein bisschen falsch beraten."

Dabei lässt der ehemalige Trainer des FCB außer Acht, dass Lahm auch schon zu Beginn der Ära van Gaal bei den Bayern in einem vielbeachteten SZ-Interview deutliche Worte für die Probleme im Spiel der Münchner gefunden hatte - und damit den Verein in helle Aufruhr versetzte.

Dennoch spricht Hitzfeld vielleicht sogar den Kern der Sache an: Dass Lahms Buch ausgerechnet in die von Oliver Kahn angestoßene Debatte um Führungskräfte im modernen Fußball hineinplatzt, mag Zufall sein - um sich weiter als meinungsstarker Profi zu positionieren, dürfte Lahm aber freilich von der derzeitigen Gemengelage profitieren. Es wäre nicht das erste Mal, dass der mündige Außenverteidiger der Bayern durch geschickt lancierte PR seines Beraters Roman Grill als hemdsärmeliger Mini-Capitano inszeniert wird.

Nun dürfte es Lahm und seinem Management gelegen kommen, dass er mit seiner Generalkritik an seinen Coaches und ausgeplauderten Details über Streitigkeiten in der Nationalelf bei der EM 2008 die erwartbare Aufgebrachtheit hervorruft. In den betreffenden Stellen seines Werkes bezeichnet er das damalige Team als "zerstrittenen Haufen".

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Es habe zu viel Egoismus gegeben. Der Bruch innerhalb der Mannschaft habe sich bei der 1:2-Niederlage gegen Kroatien im zweiten Gruppenspiel offenbart. "Ältere Spieler scheißen junge Spieler auf dem Platz zusammen. Statt füreinander in die Bresche zu springen, zieht einer den anderen runter", schreibt Lahm.

Lahm selbst empfindet seine Kritik nicht als "Abrechnung".  (Foto: dpa)

Spieler hätten mit "demonstrativer Körpersprache" gezeigt, dass sie nicht mehr können und schlimmer noch, dass sie nicht 100 Prozent geben wollten. Es sei "ein Durcheinander und Gemecker" auf dem Platz gewesen, "aber keine ordnende Energie, die den Spielern etwas zum Anhalten gibt", führt der 27-Jährige weiter aus. Für Lahm war nach diesem Turnier absehbar, "dass diese Mannschaft frische Energien braucht". Das habe aber Bundestrainer Joachim Löw noch viel besser erkannt als er.

Für die einen sind das entweder nachvollziehbare Anmerkungen - oder einfach nur olle Kamellen. Schließlich zeigte sich der mangelnde Zusammenhalt der Elf spätestens in dem Moment auch fußballfremden Beobachtern, als damals nach dem Finale Teammanager Oliver Bierhoff und Kapitän Michael Ballack noch auf dem Platz aneinandergerieten. Doch für andere, unter ihnen eher konservative Fachvertreter wie Völler, haben diese öffentlich getätigten Äußerungen den Geruch von unkollegialem "Ausplaudern". Die Führungsspieler-Debatte scheint also vielleicht doch tiefer zu greifen, als zunächst angenommen. Längst geht es nicht mehr nur ums Führen auf dem Feld, sondern auch um Ansprüche, Werte und im extremsten Fall sogar um einen Generationenkonflikt.

Die reflexartige Aufgeregtheit der Antworten auf Lahms Ausführungen dürften jedenfalls am Ende nur einem nutzen: dem Verlag des Neu-Autoren Philipp Lahm. Denn solange weiter kontrovers über die Offenbarungen des auskunftsfreudigen Münchners gestritten wird, dürfte sein Werk im Gespräch bleiben - ein klarer Punktsieg für PR-Profi Lahm und seine Beraterschaft.

Der Nationalspieler selbst wollte am Rande des Champions-League-Rückspiels der Bayern in Zürich (1:0) nichts preisgeben. "Es ist nicht der richtige Ort, sich darüber zu äußern. Wer das Buch richtig liest, merkt, dass es keine Abrechnung ist", sagte Lahm. Was sollte er auch anderes sagen? Für ihn läuft seine erste Veröffentlichung in Buchform ohnehin prächtig an.

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