Freiburg gegen Juventus Turin:Das Große berührt das Kleine

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Freiburgs Vincenzo Grifo spielte bereits für Italiens Nationalteam - dabei wurde er in Pforzheim groß. (Foto: Thomas Kienzle/AFP)

Er wollte so sein wie Pirlo und stammt aus einer italienischen Familie: Vincenzo Grifo verkörpert alles, was Freiburg in der Europa League gegen die Berühmtheiten aus Turin hoffen lässt.

Von Sebastian Leisgang

Vincenzo Grifo hat die Geschichten schon ein paar Mal erzählt: wie er, der kleine Junge aus Pforzheim, Sommerferien für Sommerferien bei seiner Oma in Italien verbrachte. Über zwanzig Stunden im Auto nach Sizilien, Grifo und seine beiden Brüder auf der Rückbank, auf dem Beifahrersitz die Mutter, die Mortadellabrötchen schmiert - und in Italien dann der Urlaub. Frühs ans Meer, mittags Cannelloni an einer großen Tafel bei Oma, dann zurück an den Strand, abends grillen und dann ein Spaziergang über die Piazza.

Es sind Kindheitserinnerungen eines Mannes, der in dieser Woche wieder in Italien aufschlägt. Dieses Mal allerdings nicht im Süden, in Naro oder in Lecce, wo seine Eltern herkommen, sondern in der Industriestadt Turin. Dort, wo der große und stolze Klub Juventus zu Hause ist, Freiburgs Gegner im Achtelfinale der Europa League.

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Das letzte Mal, als der SC Freiburg in der Europa League dabei war, stieg er bald darauf aus der Bundesliga ab. Diesmal ist alles anders - auch, weil dem Sportclub gleich vier Königstransfers gelungen sind.

Von Sebastian Leisgang und Philipp Selldorf

Juventus Turin gegen den SC Freiburg, klingt das nicht irgendwie surreal? Es sind zwei Welten, die da zusammenkommen. Das Große berührt das Kleine. Hier Juve, der Weltverein, 36 Mal italienischer Meister, Champions-League-Sieger, Weltpokalgewinner - und dort der Sportclub, der Anfang Februar für ein DFB-Pokalspiel mit dem Bus nach Sandhausen tingelte und nun zu einer Europapokalnacht nach Turin fliegt.

Seit der Auslosung sind alleine für Grifo mehr als zwei Dutzend Interviewanfragen auf der Freiburger Pressestelle eingegangen. Eine Zahl, die auch damit zu tun hat, dass es das Normale ist, was Grifos Geschichte so besonders macht.

Vincenzo Grifo, 29, Sohn italienischer Einwanderer, aufgewachsen im Nordwesten Baden-Württembergs, sozialisiert in einem italienischen Elternhaus. Die Serie A im Fernsehen, Inter Mailand im Herzen, Italienisch am Küchentisch. Auf dem Bolzplatz eiferte Grifo Andrea Pirlo nach und übte Freistöße, bis die Sonne hinter den Hausdächern verschwand - im Urlaub lief er mit gefälschten Trikots über die Marktplätze von Sizilien, auf dem Rücken der Schriftzug von Pirlo.

Grifos Geschichte ist gerade deshalb greifbar, weil sie so gewöhnlich ist. Er war der Junge von gegenüber, wahnsinnig talentiert zwar und vom Ehrgeiz beinahe zerfressen, aber eben einer, in dem man sich selbst wiedersieht, wenn man heute an die eigene Kindheit denkt. Oder wer, den der Fußball ergriffen hat, wollte den Ball früher nicht wenigstens ein Mal so aufs Tor zirkeln wie Pirlo? Ihn ein Mal so streicheln wie Zinedine Zidane, der auch für Juve gespielt hat? Oder, das wäre doch das Mindeste auf dem Bolzplatz, die Eisteeflaschen treffen, die am anderen Ende des Spielfelds als Torpfosten herhielten?

Andrea Pirlo (hier gegen den damaligen Lazio-Stürmer Miroslav Klose 2013) ist eine Ikone bei Juventus - Vincenzo Grifo eiferte ihm nach. (Foto: Di Marco/dpa)

So groß wie Pirlo war, wird Grifo zwar nicht mehr werden; der Weg von Grifo zu Pirlo ist einfach zu weit, doch mittlerweile spielt der Freiburger selbst für die italienische Nationalmannschaft. Der Junge, der früher Omas Cannelloni verdrückte, ist groß geworden - er hat sich aber das bewahrt, was schon das Bolzplatzkind aus Pforzheim ausgemacht hat, dieses Freigeistige, dieses Ungezwungene. Man merkt das hin und wieder, wenn man sich nach Spielen mit Grifo unterhält. Sandhausen, ein kalter Dienstagabend, das Achtelfinale im DFB-Pokal, etwas mehr als vier Wochen ist es her.

Freiburg müht sich ab, doch am Ende ist es mal wieder eine Ecke von Grifo, die dem Sportclub kurz vor Schluss das 1:0 bringt. Nach dem Spiel steht er in einer dicken Winterjacke auf den Pflastersteinen der Interviewzone und wird zu Noah Atubolu befragt, der das Freiburger Tor anstelle von Mark Flekken gehütet hat. Atubolu hat seine Sache gut gemacht, gibt es also überhaupt einen Unterschied zu Flekken? Grifo müsste jetzt nur in jene Kiste mit den Satzbausteinen greifen, in die Fußballer oft greifen. Er könnte Atubolu mit den üblichen Sätzen loben oder auf Flekkens grundsätzliche Bedeutung hinweisen, doch Grifo überlegt keine Sekunde und sagt auf die Frage nach dem Unterschied: "Das Alter vielleicht."

Grifo umgibt etwas Formloses, Anarchisches - das hilft dem SC Freiburg

Dass Grifo nicht nur den gängigen Mustern folgt, zeigt sich auch auf dem Platz. Dieses Anarchische, dieses Formlose ist immer noch da, losgelöst von alledem, was im Nachwuchs mittlerweile im Vordergrund steht: dass die Spieler als Rädchen in einem laufenden System definiert werden.

Auch Freiburg spielt einen geordneten Fußball, der auf taktischer Disziplin beruht und nur dann erfolgreich sein kann, wenn jeder Einzelne seine Aufgaben erfüllt. Auch Grifo muss sich da fügen, er ist aber, und so fällt er auf, ein Mann für die besonderen Momente im Freiburger Spiel. Alleine in der Bundesliga hat der Standardspezialist zwölf Tore geschossen, sechs davon per Elfmeter.

Auch in Turin wird es auf Grifo ankommen. Für die Freiburger ist das Spiel Auszeichnung und Ansporn zugleich. Dass sie es mit Juve zu tun haben, verstehen sie im Breisgau in erster Linie als Lohn für die Arbeit der vergangenen Jahre. Sie werden aber, und das sollte nicht zu kurz kommen, nicht bloß den Vereinswimpel bei der Platzwahl überreichen und dann einfach hoffen, möglichst unfallfrei davonzukommen.

Juve muss gewinnen, Freiburg kann gewinnen. Vielleicht liegt gerade darin die Chance für den Sportclub. Worin sie mit Sicherheit liegt, sind die Ecken und Freistöße jenes Mannes, der früher in Pforzheim so sein wollte wie Andrea Pirlo.

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