Zweitliga-Aufstiegskampf:Es quietscht und knarzt

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Dieses Wochenende war ein wichtiger Schritt für Victor Palsson und Schalke 04. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Schalke, Bremen, Darmstadt, St. Pauli - oder doch der HSV? Die Entscheidung in der zweiten Liga spitzt sich zu. Wie es um die Aufstiegskandidaten bestellt ist - mit SZ-Prognose.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Mitglieder der Fußballbranche sind häufig versierte Nichtssager, wenn sie reden. Nur in der zweiten Liga hält sich mal wieder keiner ans Protokoll. Denn dieser Wettbewerb, der, mit Verlaub, auch locker unter dem Rufnamen "Fußball, du geiles Stück Fleisch!" (Copyright: Kommentator Marco Hagemann) firmieren könnte, bietet nicht nur einen hitzigen Aufstiegskampf. Hier werden manchmal sogar Pressekonferenzen und sogenannte Field-Interviews zu Ereignissen, die man keinesfalls verpassen sollte.

Immerhin: Für alle, die sich dieser Nachlässigkeit schuldig gemacht haben, liefert die SZ noch mal eine sportliche und rhetorische Interpretation des Wochenendes.

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SV Sandhausen - Simon Terodde 1:2

Als erstes trat am Freitagabend der Stürmer des FC Schalke 04 vor die Kameras, der, nun ja, in dieser Spielzeit auch so etwas Ähnliches wie der FC Schalke 04 ist. "Heute ... boah", begann Terodde und klang dabei wie eine rostige Kettensäge, die ein paar Winter unbenutzt im Gartenschuppen lag. "Das muss man erstmal realisieren", fuhr er fort. Es knatterte, quietschte und knirschte jetzt so schlimm in der Kehle, dass Terodde feststellen musste, "überhaupt keine Stimme mehr" zu haben. Freilich brachte er das Interview trotz Stimmlosigkeit zu Ende, denn Terodde folgt da demselben Prinzip, mit dem er aus Halbchancen die Maximalausbeute erwirtschaftet.

Der Stürmer hatte kurz zuvor seine Saisontreffer Nummer 27 und 28 erzielt, es waren beides echte Terodde-Prachtexemplare, in denen dem Ball nichts anderes übrig blieb, als über die Torlinie geschoben zu werden. Vor allem Teroddes Über-die-Linie-Schieber Nummer 28 war dabei von immenser Bedeutung. Denn die Schalker gewannen in Sandhausen wieder eines dieser ekligen Kampfspiele, das die Konkurrenten meistens nicht gewinnen, allein schon, weil ihnen kein Terodde diesen Sieg in der Nachspielzeit herbeischießen kann. Nicht auszuschließen also, dass Königsblau auch am 34. Spieltag wieder "Spitzenreiter!-Spitzenreiter!"-Gesänge trällern darf und die Schalker Tormaschine hernach quietscht und knarzt.

SZ-Prognose: Lädierte Stimmbänder können die Schalker gut verkraften. Aber Teroddes Außen-, Innen-und alle anderen Bänder sollten besser heil bleiben, wenn es mit dem Aufstieg klappen soll.

FC St. Pauli - 1. FC Nürnberg 1:1

Fällt bis zum Saisonende aus: Stürmer Guido Burgstaller. (Foto: Susanne Hübner/Imago)

Der St.-Pauli-Trainer Timo Schultz ist eigentlich eine Art lebensfroher Zen-Meister. Er ist meistens gut drauf, nur schwer aus der Ruhe zu bringen und immer auf der Suche nach pragmatischen Lösungen. Am Freitag, kurz nach Teroddes TV-Auftritt, konnte Schultz aber offenbar nicht anders, als seinen Frust, seine Wut und seine Trauer in ein paar einprägsame Sätze zu packen. "Wir haben 1:1 verloren", sagte Schultz, und in der Tat war dieses widersprüchliche Fazit von realen Ereignissen gedeckt. St. Pauli macht seit ein paar Wochen nämlich das exakte Gegenteil vom FC Schalke: Spiele, die andere gewinnen, werden kurz vor Schluss doch nicht gewonnen. Gegen den Mitverfolger Nürnberg fingen sich die Kiezkicker den Ausgleichstreffer in der Nachspielzeit, selbiges passierte zum Beispiel auch vor zwei Wochen in Sandhausen.

Aber das ist nicht der einzige Grund, dass Schultz noch sagte, er müsse sich "erst mal selbst wieder aufbauen", ehe er sich um sein Team kümmern könne. Es kommt gerade alles zusammen auf dem Kiez: Seit vier Spielen nicht gewonnen, einige Spieler sind hinter den Kulissen eigenmächtig in vorgezogene Aufstiegsprämien-Verhandlungen eingetreten, der unersetzliche Stürmer Guido Burgstaller fällt bis Saisonende aus - und am Samstag wurden auch noch neun (!) Profis positiv auf Corona getestet.

SZ-Prognose: Die Kiezromantik ist weg. Und ohne Kiezromantik funktioniert nichts auf St. Pauli, nicht einmal die Songs des Rappers Gzuz.

SV Werder Bremen - Holstein Kiel 2:3

Werder-Trainer Ole Werner. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Die Bewohner der Hansestadt Bremen sind auf zwei Sachen besonders stolz: auf ihren SV Werder - sowie auf alle Partys, die im weitesten Sinne ihren SV Werder zum Anlass haben. Insofern wirkt es im Nachhinein jetzt doch ein bisschen voreilig, dass der Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte in der vergangenen Woche bereits den Rathausbalkon für die Aufstiegsfeier in Aussicht stellte und der Mannschaftsbus vor dem Heimspiel gegen Kiel mit einem Spalier der Fans empfangen wurde. Es war alles schon angerichtet für eine Riesenfete, die zwar rechnerisch noch gar nicht hätte stattfinden können, aber hey, was sollte schon schiefgehen nach dem kolossalen 4:1-Triumph in der Vorwoche auf Schalke?

Und dann das: Aus einer souveränen 2:0-Führung fabrizierte Werder noch ein 2:3 - und verpasste sich damit einen selbstverschuldeten "Nackenschlag", wie das der Trainer Ole Werner formulierte. Und der muss es wissen: Werner kennt das Gefühl des Kurz-vor-Schluss-Scheiterns aus der vergangenen Saison, damals noch als Trainer des Freitags-Gegners Kiel, mit dem er kurz vor Saisonende von den direkten Aufstiegsrängen rutschte und auch in der Relegation unterlag. Schuld daran waren zwar, wie Werner gerne betont, seinerzeit auch Corona-Sonderbedingungen mit zwei Teamquarantänen. Derlei Umstände lassen sich aber auch unter dem Sammelbegriff "Pech" verallgemeinern.

SZ-Prognose: Glück hatten in den vergangenen Jahren weder Werder noch Werner. Es lässt sich aber nicht leugnen, dass am Bremer Rathausbalkon schon knallige Partys stattgefunden haben.

FC Ingolstadt - Hamburger SV 0:4

Der erste von vier Treffern gegen Ingolstadt: Hamburgs Sonny Kittel (rechts). (Foto: Wolfgang Zink/Imago)

Sprachlich weiterhin nichts Neues beim Hamburger SV. Der Trainer Tim Walter freute sich wie Schmidts Katze über die tolle Entwicklung seiner Mannschaft, also wie bereits in der Vorwoche, in der Vor-Vorwoche, in der Vor-Vor-Woche, ... und so weiter. Und auch der HSV-Sportvorstand Jonas Boldt lobte die Entwicklung des jungen Teams, also wie in der Vorwoche, in der Vor-Woche, in der Vor-Vor-Woche, ... und so weiter.

Neu ist aber: Der HSV hat am Samstag, allen Ernstes, souverän gegen einen bereits abgestiegenen Zweitliga-Tabellenletzten gewonnen, und wenn der Eindruck aus der jüngeren Vergangenheit nicht täuscht, dann müssen da mystische Kräfte aus dem Himmelreich im Spiel gewesen sein. So ganz darf man der Sache ohnehin nicht trauen. Für die in einem medialen Konsens bereits beerdigten Hamburger geht es noch gegen Hannover und Rostock, das sind zwei weitere Gegner aus der Kategorie "machbar". Außerdem sind Wiederauferstehungen nach Ostern äußerst selten.

Prognose: Die SZ bereitet vorsorglich schon mal ein Entschuldigungsschreiben an den HSV vor...

SV Darmstadt 98 - FC Erzgebirge Aue 6:0

Darmstadts Braydon Manu (links) im Duell mit Soufiane Messeguem von Erzgebirge Aue. (Foto: Julien Christ/Beautiful Sports/Imago)

Luca Pfeiffer, Tim Starke, Braydon Manu, Mathias Honsak, Tobias Kempe. Fünf Namen, sechs Tore - und vielleicht ein gutes Omen? Denn wenn Sie, liebe Leser, diese Namen zum ersten Mal hören, hat Darmstadt die besten Aussichten auf den Aufstieg. Das liegt an einem alten Zweitliga-Gesetz: Am Ende schafft es immer mindestens ein Team, das sich über klassischen Zweitliga-Fußball definiert und das zu Saisonbeginn keiner auf der Rechnung hatte.

SZ-Prognose: Der 98-Trainer Torsten Lieberknecht behält Recht mit seiner Ankündigung, dass die Darmstädter "keinen Firlefanz anfangen" werden.

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