Fußballnationalteam der Frauen:"Es war nicht alles supidupi"

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Wieder positiv aufgefallen: Jule Brand (rechts) zählt zu den Entdeckungen des Jahres im deutschen Fußball-Nationalteam. (Foto: Ricardo Nascimento/Getty Images)

Neun Siege in zwölf Spielen, aber kaum herausfordernde Gegner und die ein oder andere Baustelle: Auf dem Weg zur EM fragen sich die DFB-Frauen auch nach diesem Jahr, wo sie im Vergleich mit der Weltspitze stehen.

Von Anna Dreher, Faro/München

Jule Brand war drauf und dran, mal wieder eine dieser Szenen zu liefern, die die Bundestrainerin später als Exempel hätte heranziehen können. Brand stand im WM-Qualifikationsspiel gegen Portugal am Dienstagabend erst wenige Minuten auf dem Platz, da rannte sie mit großen Schritten die Seite entlang und hatte prompt ihre erste vielversprechende Offensivaktion. Und wenn dabei auch nicht das nächste Tor beim 3:1-Sieg heraussprang, so trug die 19-Jährige trotzdem zur Zufriedenheit von Martina Voss-Tecklenburg bei: Brand hatte mit ihrem Angriffswirbel die Erwartungen erfüllt und fügte sich ins Gesamtbild ein.

Dieses letzte Länderspiel des Jahres wurde ja zu einer Art Zusammenfassung der Aufgaben, die sich das deutsche Fußball-Nationalteam der Frauen für 2021 gestellt und teils erledigt hat, der Fortschritte sowie der gewonnenen Erkenntnisse. Und es zeigte zugleich manche Baustelle, von der nicht klar ist, wie lange und intensiv sie die Mannschaft auf dem Weg zur Europameisterschaft in England (6. bis 31. Juli) noch beschäftigen wird.

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Auf der Suche nach Herausforderungen war Portugal jener Gruppengegner, von dem sich die DFB-Frauen einiges erwartet hatten. Und die Portugiesinnen stellten sich ihnen vehement in den Weg. Melanie Leupolz sprach später von vielen Fouls, "das Spiel war sehr zerfahren, es ist viel Blut geflossen, jede hat irgendeine Schürfwunde". Nach einem 8:0 gegen die Türkei vergangene Woche und zuvor Siegen in Höhe von 7:0 und 1:0 gegen Israel, 5:1 gegen Serbien sowie 7:0 gegen Bulgarien leisteten die Gastgeberinnen deutlich mehr Gegenwehr. Bisweilen verfielen die Deutschen in Hektik, unter Druck machte sich Unruhe breit. Womit eine Baustelle zutage kam, von der zuletzt angenommen werden konnte, sie sei bereits so gut wie geschlossen worden. Und mehr Tore hätten es auch sein dürfen, die nächste ab und an wiederkehrende Baustelle: fehlende Konzentration und Effizienz beim Abschluss.

Wie gut die deutsche Defensive ist, bleibt eine Unbekannte - bis die entsprechenden Gegner auf dem Platz stehen

Inwieweit gibt dieses Jahr also Aufschluss darüber, wo die deutschen Fußballerinnen im Vergleich mit der Weltspitze stehen? Wie gut können sie sich gewappnet fühlen für die EM 2022 und auch für die WM 2023 in Australien und Neuseeland - zwei Turniere, in denen wieder Titel gewonnen werden sollen und Erfolge angesichts des eigenen Anspruchs auch erzielt werden müssen?

2021 war ein Jahr, das mit neun Siegen, einem Remis und zwei Niederlagen ein erfolgreiches gewesen ist. Und in dem die Zahlen der WM-Qualifikation mit 18 Punkten bei einer Torbilanz von 31:2 hell strahlen. Es war aber auch ein Jahr, in dem in Frankreich (0:1) und Europameister Niederlande (1:2) nur zwei ihrer Gegner zu den aktuell weltbesten Nationen gezählt werden konnten. Und in dem es bei den Auftritten trotz manchem Offensivfeuerwerk bisweilen an Ideen fehlte. "Es war nicht alles supidupi, aber es ist wichtig, dass wir ein sehr gutes Niveau im Team haben", sagte Voss-Tecklenburg in Portugal. "Wir haben als Mannschaft richtig gute Schritte gemacht. Bei jeder Spielerin gibt es noch Potenzial, aber ich kann bei jeder einzelnen auch sagen, da und da hat sie Schritte gemacht."

Zufriedenstellender Jahresabschluss: Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg (links) hat beim 3:1 gegen Portugal wie auch über das ganze Jahr gesehen, was sie sehen wollte. (Foto: Karsten Lauer/dpa)

Ohne wahre Höhepunkte - die Qualifikation für die Olympischen Spiele im Sommer wurde verpasst - ging es weniger um eine fixe Einordnung im internationalen fußballerischen Gefüge. Dazu fehlten eben schlicht die schlagkräftigen Gegner. Der Fokus wurde vor allem auf die eigene Weiterentwicklung gerichtet, das Übergangsjahr als Chance begriffen. "Wir wissen als Mannschaft jetzt wirklich gut, wie wir spielen wollen", sagte die Bundestrainerin. "Die Spielerinnen kennen alle ihre Aufgaben. Wir sind offensiv in viele gute Momente gekommen - und das Defensivthema wird automatisch auf uns zukommen."

Diese Baustelle bleibt in ihrem Ausmaß gewissermaßen eine Unbekannte, da die Abwehr weder 2020 noch 2021 wirklich herausgefordert wurde. 2022 dürfte es schon früh dazu kommen: Im Februar nimmt die Auswahl an einem Turnier in England teil, bei dem neben dem EM-Gastgeber noch Olympiasieger Kanada und EM-Gruppengegner Spanien um Ballon d'Or-Gewinnerin Alexia Putellas vom Triple-Sieger FC Barcelona antreten. Jene Kaliber, die es für eine Standortbestimmung braucht.

Egal, wer eingewechselt worden ist - es gerät nichts durcheinander

Abgesehen davon, wie gestellte Aufgaben umgesetzt worden sind, hat es selbstredend eine Rolle gespielt, von wem. In Merle Frohms hat sich seit der Verletzungs- und Baby-Pause von Almuth Schult eine Nummer eins etabliert, die der Mannschaft nicht weniger Rückhalt gibt als Schult. Zudem hat Voss-Tecklenburg die Integration neuer Spielerinnen weiter vorangetrieben - mit Erfolg: "Es gab einige Überraschungen, einige junge Spielerinnen, von denen ich nicht gedacht habe, dass sie so durchstarten."

Jule Brand mit ihrem erstaunlichen Instinkt ist eine von ihnen. Zu den Entdeckungen des Jahres zählen außerdem Sjoeke Nüsken, Jana Feldkamp, Laura Freigang und Tabea Waßmuth. Alle fügten sich in die Reihen mit Führungsspielerinnen wie Sara Däbritz, Dzsenifer Marozsan, Svenja Huth und Marina Hegering ein. Was den Eindruck erweckt hat, dass Martina Voss-Tecklenburg quasi einwechseln kann, wen sie will - es gerät kaum mal etwas durcheinander: "Wir haben richtig gute Qualität, viel Konkurrenz, viel Druck von außen. Es gibt kein Selbstverständnis, dass jemand spielt." Diese potenzielle Baustelle dürfte 2022 unter normalen Umständen also schon mal nicht entstehen.

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