Die Stadt Leipzig hat mit viel Beinarbeit schon einmal eine friedliche Revolution auf den Weg gebracht, und an diesem Sonntag sieht es so aus, als wäre gerade wieder Ähnliches passiert. Formal ist soeben nur ein Fußballspiel abgepfiffen worden, RB Leipzig gewinnt mit 2:0 gegen den Karlsruher SC. Mit dem Abpfiff aber pulvern Kanonen reichlich Glitter in die Sonne, überall flattern Schnipsel durch den Innenraum, es sieht aus, als würde die Luft zittern.
Die Zeit scheint angehalten zu sein, es ist ein herrliches Bild oder wäre es, würde man nicht weggerempelt von einem Euphoriker, der in der RB-Loge gerade Dietrich Mateschitz entdeckt hat. Der Euphoriker holt Luft, dann entlädt er sich Richtung Mateschitz: "Danke, Didi!"
Das geht einerseits ein bisschen zu weit. Es ist ja nicht so, dass von der Loge aus Helmut Kohl gerade ein neues Deutschland ausgerufen hätte. Andererseits darf es in diesem zitternden Moment auch Nachsicht geben für den Euphoriker wie für Leipzig überhaupt. Mit dem Bundesliga-Aufstieg wird ein elender Durst in dieser Region endlich gestillt, ein Durst nach Bedeutung und Teilhabe. Der Erfolg kennt im Fall von RB gar nicht so viele Väter, gewiss aber den Namen Mateschitz. "Wir sind Eins", steht auf den Shirts, die nun durch die Loge gereicht werden, und bald streift sich auch Mateschitz, 71, eines über, der Kanzler der Einsheit.
Über Methoden (zweifelhaft) und Mittel (ohne Ende) des Leipziger Projekts ist so viel gesagt und geschrieben worden, dass sich inzwischen alle Debattenbeteiligten etwas müde auf einen Minimalkonsens verständigt haben: Ist halt so. Der Sonntag gibt auch viel mehr Gelegenheit, das gegenwärtige Stadium dieses kuriosen Versuchs zu bestaunen. Die Ticketbuden sind vor Beginn des letzten RB-Heimspiels in dieser Saison verrammelt, es gibt einen nennenswerten Schwarzmarkt für dieses Spiel der zweiten Bundesliga. Zu bestaunen ist auch die Ruhe, mit der RB sich nach einer eher rumpeligen ersten Halbzeit weiter dem Planziel Aufstieg widmete. Zu bestaunen ist die Ruhe im spieltagsübergreifenden Sinne, daran erinnert Co-Trainer Achim Beierlorzer nach dem Spiel.
Vor dem Wintereinbruch beim SC Freiburg, vor der Grippewelle, also, bevor es noch einmal knapp wurde mit dem Aufstieg, da hatte der Verein ja "zwischendurch mal neun Punkte Vorsprung auf Platz eins" gehabt. RB war im Grunde schon in eine Zwischenliga aufgestiegen, bevor es doch noch mal eng wurde. Davon berichtet Beierlorzer mit derselben Ruhe und Professionalität wie über die Gründe des Fehlens von Ralf Rangnick bei der Pressekonferenz nach dem Spiel.
"Bei einer kleinen Jagdszene" habe Rangnicks Oberschenkel nachgegeben, er befinde sich in Behandlung. Wenig später läuft der Coach dann sogar wieder auf: bei einer kleinen Aufstiegsausfahrt, die mit dem Wort "spontan" eher unzutreffend beschrieben wäre.