Süddeutsche Zeitung

Fußball:RB Leipzig: Kann Geld eine Aura schaffen?

Lesezeit: 4 Min.

Mit dem Bundesliga-Aufstieg wird ein elender Durst nach Bedeutung und Teilhabe in Leipzig endlich gestillt. Doch schon beim Feiern macht der Klub einen sehr speziellen Eindruck.

Von Cornelius Pollmer, Leipzig

Die Stadt Leipzig hat mit viel Beinarbeit schon einmal eine friedliche Revolution auf den Weg gebracht, und an diesem Sonntag sieht es so aus, als wäre gerade wieder Ähnliches passiert. Formal ist soeben nur ein Fußballspiel abgepfiffen worden, RB Leipzig gewinnt mit 2:0 gegen den Karlsruher SC. Mit dem Abpfiff aber pulvern Kanonen reichlich Glitter in die Sonne, überall flattern Schnipsel durch den Innenraum, es sieht aus, als würde die Luft zittern.

Die Zeit scheint angehalten zu sein, es ist ein herrliches Bild oder wäre es, würde man nicht weggerempelt von einem Euphoriker, der in der RB-Loge gerade Dietrich Mateschitz entdeckt hat. Der Euphoriker holt Luft, dann entlädt er sich Richtung Mateschitz: "Danke, Didi!"

Das geht einerseits ein bisschen zu weit. Es ist ja nicht so, dass von der Loge aus Helmut Kohl gerade ein neues Deutschland ausgerufen hätte. Andererseits darf es in diesem zitternden Moment auch Nachsicht geben für den Euphoriker wie für Leipzig überhaupt. Mit dem Bundesliga-Aufstieg wird ein elender Durst in dieser Region endlich gestillt, ein Durst nach Bedeutung und Teilhabe. Der Erfolg kennt im Fall von RB gar nicht so viele Väter, gewiss aber den Namen Mateschitz. "Wir sind Eins", steht auf den Shirts, die nun durch die Loge gereicht werden, und bald streift sich auch Mateschitz, 71, eines über, der Kanzler der Einsheit.

Über Methoden (zweifelhaft) und Mittel (ohne Ende) des Leipziger Projekts ist so viel gesagt und geschrieben worden, dass sich inzwischen alle Debattenbeteiligten etwas müde auf einen Minimalkonsens verständigt haben: Ist halt so. Der Sonntag gibt auch viel mehr Gelegenheit, das gegenwärtige Stadium dieses kuriosen Versuchs zu bestaunen. Die Ticketbuden sind vor Beginn des letzten RB-Heimspiels in dieser Saison verrammelt, es gibt einen nennenswerten Schwarzmarkt für dieses Spiel der zweiten Bundesliga. Zu bestaunen ist auch die Ruhe, mit der RB sich nach einer eher rumpeligen ersten Halbzeit weiter dem Planziel Aufstieg widmete. Zu bestaunen ist die Ruhe im spieltagsübergreifenden Sinne, daran erinnert Co-Trainer Achim Beierlorzer nach dem Spiel.

Vor dem Wintereinbruch beim SC Freiburg, vor der Grippewelle, also, bevor es noch einmal knapp wurde mit dem Aufstieg, da hatte der Verein ja "zwischendurch mal neun Punkte Vorsprung auf Platz eins" gehabt. RB war im Grunde schon in eine Zwischenliga aufgestiegen, bevor es doch noch mal eng wurde. Davon berichtet Beierlorzer mit derselben Ruhe und Professionalität wie über die Gründe des Fehlens von Ralf Rangnick bei der Pressekonferenz nach dem Spiel.

"Bei einer kleinen Jagdszene" habe Rangnicks Oberschenkel nachgegeben, er befinde sich in Behandlung. Wenig später läuft der Coach dann sogar wieder auf: bei einer kleinen Aufstiegsausfahrt, die mit dem Wort "spontan" eher unzutreffend beschrieben wäre.

So ehrlich und groß die Sehnsucht Leipzigs und Mitteldeutschlands nach Erstligafußball ist, so sehr kontrastiert die Sehnsucht zuweilen mit der Planquadrathaftigkeit des Klubbesitzers. Das Spiel ist gerade eine halbe Stunde vorbei, da hustet in den Katakomben des Stadions schon der zurechtgetunte und bemalte Retro-Doppeldecker, mit dem es vor die Stadiontore gehen soll.

Viele Fans irren da gerade auf der Festwiese auf der Suche nach taurinfreiem Alkohol, da wird ihn auf allen digitalen Kanälen schon die Information aufgedrängt, der Bus werde um 19 Uhr am Stadionvorplatz starten. Es würde nun nicht wundern, wenn gleich noch die Bitte versandt würde, dass um 19:01 Uhr dann bitte alle komplett ausrasten sollen.

Die arge Übermacht der Professionalisierung fällt am Sonntag nicht nur beim Feiern vor dem Stadion auf, selbst im Stadion scheint jeglicher Jubel einer unsichtbaren Regie zu folgen. Das ausverkaufte Stadion: eine zwar laute, aber brav synchronisierte Kulisse, wie man sie von der Playstation kennt. Der Aufstiegs-Jubel nach dem Abpfiff: wohl der erste der Generation Selfie-Stick. Davie Selke bekommt sogleich einen solchen mit Go-Pro-Liveübertragungs-Knuppel-Aufsatz in die Hand gedrückt, später wird er in Mikrofone sagen, dass man gar nicht beschreiben könne, wie sich so ein Moment anfühle.

Es gibt bei RB keine sportliche Leidenshistorie

Interessant an diesem Aufstiegsnachmittag ist nicht, was Leipzig mehr hat als andere Vereine - interessant ist, was RB noch fehlt, und was es vielleicht nie so recht bekommen wird. Dietrich Mateschitz sagte zu Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung einst beim ersten Kennenlernen: Warte mal ab, in 20 Jahren haben wir auch Tradition. Irgendwie stimmt das natürlich. Irgendwie stimmt aber auch, dass RB Leipzig immer ein anderer Verein bleiben wird. Was wird in allen möglichen Stadien gesungen, wenn der Verein in die erste Liga aufsteigt? Nie mehr zweite Liga. Was wird bei RB Leipzig gesungen? "Zweite Liga war so schön - Zeit für uns zu geh'n."

Es gibt bei RB keine rein sportliche Leidenshistorie, nur die allerdings sehr konkrete Erfahrung des Gemobbt-Werdens auf verbaler Ebene. Professionelle Strukturen, guten Fußball, viele Zuschauer - all das haben sie hier schon. Die Frage ist auch gar nicht mehr, ob Geld Tore schießt und wenn ja, wie viele. Die Frage ist, ob Geld auch Aura schaffen kann.

Am Sonntag ist den Leipzigern auch das natürlich sehr egal. Sie haben jetzt einen Erstliga-Verein und bilden damit die Spitze seltsam erfolgreicher Tage des Sport-Ostens. Denn, und das sei nicht vergessen: Es gab im Schatten von RB weitere Erfolgsmeldungen. Der neue Handballpokalsieger kommt aus Magdeburg (Männer), der Meister im Volleyball aus Dresden (Frauen). Aue und Dynamo Dresden sind zudem in die zweite Fußball-Liga aufgestiegen, und Sachsens Innenminister kann sich über all das auch deswegen freuen, weil ein direktes Duell zwischen Dynamo und RB erst mal ausbleibt.

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Quelle:
SZ vom 10.05.2016
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