Proteste im Fußball:Eine Machtdemonstration mit Filzgeschossen

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Ungewohnter Ball im Spiel: Hunderte Tennisbälle brachten Herthas Partie gegen den HSV zwischenzeitlich zum Erliegen. HSV-Spieler Jean-Luc Dompé half beim Aufräumen. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Beim Spiel zwischen Hertha BSC und dem HSV werfen Fans eine halbe Stunde lang Tennisbälle auf den Rasen. Die Partie steht kurz vor dem Abbruch - und nun droht eine Strafe. Der Fanprotest gegen den Investorendeal der DFL wird teuer für die Klubs.

Von Thomas Hürner, Berlin

Irgendwann war der Protagonist des Abends so oft durchs Berliner Olympiastadion geflogen, dass viele keine Lust hatten, ihm nach Spielende noch einmal zu begegnen. Beim Berliner Olympiastadion, das muss dazugesagt werden, dürfte es sich um den kältesten Ort Deutschlands handeln, der nicht auf dem Gipfel eines Berges liegt. Dunkle Winternächte können sich da drinnen sehr lang anfühlen. Vor allem, wenn sie 32 Minuten länger andauern, als eigentlich vorgesehen.

Als es bereits sehr dunkel und sehr kalt geworden war, hatte die Pressesprecherin von Hertha BSC allerdings ihren Frieden mit dem Protagonisten des Abends gemacht. Sie hatte ihn sich draußen geschnappt und lief mit ihm nun durch die Katakomben, von der rechten Hand ließ sie ihn in die linke Hand gleiten, dann wieder zurück. Eigentlich ist so ein Tennisball ja kein großes Ding: Sein Durchmesser beträgt zwischen 6,54 und 7,3 Zentimeter, das Gewicht etwas mehr als 50 Gramm.

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Auffällig machten ihn die neongelbe Signalfarbe und der Umstand, dass man ihn eher selten in Fußballstadien antrifft. Vor allem in dieser Anzahl: Mehrere Hundert Tennisbälle ins Stadion zu schmuggeln, das muss man erst mal schaffen. Sie aufs Spielfeld zu werfen, wie es die Hertha-Fans in der Berliner Ostkurve eine halbe Stunde lang aus Protest gegen den Investorendeal der DFL taten, ist dann nicht mehr so schwer. Einige Hertha-Fans hatten extra Schleudern mitgenommen, mit denen sie die Tennisbälle in beeindruckender Geschwindigkeit auf den Rasen schossen.

Berliner Wiederaufstiegshoffnungen dürften sich nach dem 1:2 erledigt haben

Herthas Pressesprecherin jedenfalls schien - im Gegensatz zu vielen anderen, die zuvor wegen der von den Bällen ausgelösten Ruhestörung gebuht und gepfiffen hatten - fast erfreut darüber zu sein, ein Exemplar als Andenken mit nach Hause nehmen zu können. Sie verließ mit dem Filzgeschoss den Interviewbereich und hatte nach Schlusspfiff somit mehr in der Hand, als das ihrem Klub am Samstag gelang: Die Hertha verlor 1:2 gegen den Hamburger SV. Wenn es bei den Berlinern letzte Wiederaufstiegshoffnungen gegeben haben sollte, dürften sich diese damit erledigt haben.

Siegtreffer im Olympiastadion: HSV-Spieler Ludovit Reis (rechts) köpft das 2:1 gegen die Hertha. (Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Dafür könnte es für den finanziell ohnehin arg lädierten Zweitligisten nun teuer werden: Die ausgelöste Unterbrechung "war massiv lang und wird eine empfindliche Strafe nach sich ziehen", sagte Herthas Geschäftsführer Tom Herrich. Der Protest sei für ihn in der Sache zwar "total okay" gewesen. Sein Gesichtsausdruck war aber der eines Mannes, der seiner Ehefrau einen wenig erfolgreichen Casinoabend beichten muss.

Es ist schon überraschend, wie sehr sich die Proteste gegen den Investorendeal der Deutschen-Fußball-Liga verstetigt haben, bestimmt auch für die DFL selbst. Schokotaler flogen aufs Spielfeld, Plakate mit nicht gerade werbefreundlichen Inhalten wurden in Kameras gehalten, es wurden Schweigeminuten abgehalten und Schmähgesänge angestimmt. Die Proteste waren bereits gestartet, als der Dachverband mit seinen 36 Klubs noch in Verhandlungen über den möglichen Einstieg eines "strategischen Partners" stand, der in Zukunft gegen die Zahlung eines dreistelligen Millionenbetrags für 20 Jahre an den Medienerlösen beteiligt werden soll. Die Proteste hielten an, als sich die Indizien verdichteten, dass die entscheidende Pro-Investoren-Stimme für das Geschäft ausgerechnet vom Hannover-96-Geschäftsführer und Investor Martin Kind gekommen sein könnte, der damit gegen die Weisung des eigenen Muttervereins verstoßen hätte.

Die Proteste gingen weiter und weiter. Und nun, am Samstag, haben sie einen logischen Kulminationspunkt erreicht: Der HSV, finden vor allem HSV-Fans, hat seinem Investor Klaus-Michael Kühne zwar viel Geld, aber auch jahrelanges Gezerre und Gezeter und einen Abstieg zu verdanken. Und die Hertha, finden nicht nur Hertha-Fans, sei auch durch das Engagement des Investors Lars Windhorst ein Sanierungsfall geworden, dem - wie dem HSV - womöglich eine Dauerzugehörigkeit im Unterhaus bevorstehen könnte.

Differenzierung unerwünscht: Für viele Fußballfans sind Investoren einfach nur Investoren

Geldgeber im deutschen Ligaverband sind zwar etwas anderes als Investoren in Klubs, zumal es auch seriöse und wohlwollende Vertreter dieser Spezies gibt. Für viele Fans sind Investoren aber einfach nur Investoren. Und wie wenig Lust insbesondere der organisierte Teil der Anhängerschaft auf Investoren hat, war während des zur besten Sendezeit ausgestrahlten Zweitliga-Spitzenspiels zu beobachten.

Der Begriff "Machtdemonstration" wird mit Blick auf Fußball und Fans inflationär und mitunter missbräuchlich verwendet, aber am Samstag hat er schon gepasst. Die Fans demonstrierten, dass sie den Spielbetrieb zum Erliegen bringen können, wenn sie das wollen. Ihr eingeschmuggeltes Reservoir an Wurfutensilien schien geradezu unerschöpflich zu sein.

Verhandlung mit den Fans: Hertha-Trainer Pal Dardai versuchte die Proteste einzudämmen. Auf der blauen Tartanbahn sind die gelben Tennisbälle gut zu sehen. (Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Als der Protest in der 51. Minute begann, hielten die meisten im Berliner Olympiastadion für eine Angelegenheit, die nicht lang dauern würde. Doch je mehr Zeit verging, desto mehr Leute stellten diplomatische Bemühungen an. Der Stadionsprecher, der an den Anstand appellierte und an den Spieltrieb der Fußballer erinnerte. Der Hertha-Coach Pal Dardai, der Kraft seiner Autorität mit den Autoritäten aus der Fankurve über eine Feuerpause verhandelte. Die in Securityjacken gepackten Ordnungskräfte, die die Bälle vom Rasen entfernten, nur damit wenige Sekunden später wieder ein paar Dutzend dort lagen. Und schließlich der Schiedsrichter Daniel Schlager, der die Mannschaften in die Kabine beorderte, als "wirklich letztes Mittel", wie er hinterher sagte. Ein Spielabbruch sei "nicht weit entfernt" gewesen.

In Berlin flogen Tennisbälle, in Heidenheim flogen Flummis - das war nicht nach jedermanns Geschmack. Beim 3:1-Sieg gegen Freiburg kostete Stuttgarts Deniz Undav einen von Protestlern auf den Platz geworfenen Schokotaler und musste zu seinem Erschrecken feststellen, dass es sich um Zartbitterschokolade handelte. Dabei präferiert der Stürmer Süßigkeiten mit höherem Milchanteil. Nicht ausgeschlossen, dass er dahingehend in einem Stadion schon bald fündig wird.

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