Die elf Fußballer, die am Donnerstagabend für Dänemark aufliefen, haben schon viele Tore geschossen in ihren Karrieren. Aber es ist wohl nicht vermessen zu behaupten, dass noch keines dabei war, das sie so berührte wie dieses. Es lief erst die zweite Minute gegen Belgien, als Yussuf Poulsen den Ball im Strafraum zugepasst bekam.
Der Stürmer von RB Leipzig schoss und traf, und dann waren überall im Stadion in Kopenhagen Szenen zu sehen, die mit Freude viel zu nüchtern beschrieben sind: Auf den Rängen, wo 25 000 Zuschauer zugelassen waren, von denen die Mehrzahl einen tosenden Torschrei losließ. Vor dem dänischen Tor, wo Keeper Kasper Schmeichel seine Fäuste so sehr vor und zurück riss, dass es ihn durchschüttelte. Und um Poulsen herum, wo sich die Mannschaft versammelte und an ihm zerrte.
Die Partie war die erste für die Dänen, nachdem sie am vergangenen Samstag beim EM-Auftakt gegen Finnland an gleicher Stelle um das Leben ihres Mitspielers Christian Eriksen gebangt hatten. Nach seinem Herzstillstand, nach der Wiederbelebung auf dem Spielfeld, wird ihm nun ein Defibrillator eingesetzt, das teilte der dänische Verband am Donnerstagvormittag mit. Am Abend betraten seine Kollegen "mit Christian in unseren Herzen und unseren Gedanken den Platz", wie Kapitän Simon Kjaer in einer Verbandsmitteilung erklärt hatte.
Wie sehr dieses Spiel den Dänen emotional zusetzte, ist schon bei den Hymnen zu erkennen
Sie verloren gegen mit dem eingewechselten Kevin De Bruyne zu starke Belgier mit 1:2 (1:0), erst kurz vor Schluss häuften sich wieder die Gelegenheiten für Dänemark, Stürmer Martin Braithwaite vergab mit einem Kopfball an die Latte die Chance zum 2:2. Nun brauchen die Dänen im letzten Gruppenspiel gegen Russland einen möglichst hohen Sieg zum Weiterkommen, das Vorrunden-Aus droht. Aber das war am Donnerstag nicht das wichtigste.
"Die Stimmung hier im Parken ist brutal. Und alles, was wir in den letzten Tagen erlebt haben, hat die Atmosphäre noch brutaler gemacht. Natürlich hatten wir Christian im Kopf. Wir hatten heute Morgen noch Kontakt zu ihm", sagte Poulsen im TV-Interview.
Wie sehr dieses Spiel den Dänen emotional zusetzte, das war schon bei den Hymnen zu erkennen, als die Kamera an jedem einzelnen Gesicht vorbeifuhr, und kaum einem Fußballer die Ergriffenheit nicht aus dem Gesicht sprach. Vorher hatte die Uefa, der von den Dänen für mutmaßliche Druckausübung vor der Spielfortsetzung beim 0:1 gegen Finnland massiv kritisierte Verband, den Namen Eriksen und seine Rückennummer 10 auf das metergroße Dänemark-Trikot drucken lassen, das vor dem Anpfiff ausgebreitet wird. Nach zehn Minuten, als der Ball im Aus war, applaudierten wie verabredet Spieler, Schiedsrichter und Zuschauer gemeinsam in einer kurzen Unterbrechung.
Die Dänen wechseln das System - ein Indiz für die fußballerische Bedeutung Eriksens
Trainer Kasper Hjulmand hatte zuvor klargemacht, dass es keinem übelgenommen werde, wenn er nicht auflaufen wolle. Vier Krisenpsychologen betreuen das Team. Doch nachdem sich Eriksen am Dienstag mit erhobenem Daumen aus dem Krankenhaus gemeldet hatte, hatten die Aussagen der Spieler immer zuversichtlicher geklungen.
Für Eriksen und ganz Dänemark zu spielen, sei die größte Motivation für alle, hatte Kjaer gesagt. Und sie schienen diesen Willen mit in jeden Zweikampf zu nehmen, in jeden Sprint. Das Führungstor erzwangen sie mit hohem Pressing. Sie spielten anders als sonst, nicht im 4-3-3-System, sondern im 3-4-3, ein Indiz für die fußballerische Bedeutung Eriksens. Manchmal wirkten sie fast etwas ungesund motiviert.
Dass der Gegner, die Belgier, einer der großen EM-Favoriten ist, das war erst nach und nach zu merken, wenn etwa Stürmer Romelu Lukaku zu seinen Läufen in Richtung Tor ansetzte. Es brandete lauter Jubel auf, wenn die Dänen ihn vom Ball trennten - diesen im Grunde unmöglich vom Ball zu trennenden belgischen Weltklassestürmer. Doch es gelang immer seltener.
Zur zweiten Halbzeit kam dann De Bruyne, der nächste Weltklassespieler, erstmals nach seinen im Champions-League-Finale erlittenen Brüchen im Gesicht. Es waren ein unnachahmlicher Sprint von Lukaku und De Bruynes Querpass, die in der 55. Minute den Ausgleich einleiteten: Thorgan Hazard musste den Ball nur noch über die Linie drücken. Nach knapp einer Stunde kam auch Eden Hazard ins Spiel, noch mal Weltklasse also. Er fand in der 71. Minute mit seinem Pass am Ende eines famosen belgischen Angriffs die Füße von De Bruyne, der unhaltbar zum 2:1 traf.
Nach seinem Tor zeigte er eine beschwichtigende Geste, wies mit den Handflächen Richtung Boden. Es war nicht der Tag für belgischen Jubel, auch wenn der Sieg für den Favoriten den sicheren Achtelfinaleinzug bedeutete.