RB Leipzig in der Champions League:Zielsicher falsch abgebogen

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Tor im Tiefflug: Christopher Nkunku (rechts) erzielt per Kopf das sehenswerte 1:0 für Leipzig (Foto: Roger Petzsche/Picture Point LE/Imago)

Leipzig feiert das spät erzielte 2:2 gegen Paris Saint-Germain. Doch der Spielverlauf tut genauso weh wie das frühe Aus in der Champions League. Unter dem neuen Trainer Marsch droht eine graue Saison.

Von Javier Cáceres, Leipzig

Kurz vor Mitternacht kam Jesse Marsch noch einmal in Fahrt. Es geschah im Presseraum, als der US-amerikanische Trainer von RB Leipzig daran erinnert wurde, dass er Mitte der ersten Halbzeit von Schiedsrichter Andreas Ekberg mit einer gelben Karte bedacht worden war. Marsch, der vor Jahren als damaliger Salzburg-Coach schon einmal von Ekberg verwarnt worden war, hatte sein Missfallen über die Spielleitung des Schweden eine Spur zu deutlich erkennen lassen.

"Ich war wirklich büüüühse, von Anfang an, über die Leistung des Schiedsrichters ...!", rief Marsch und unterstellte einen Sonderstatus für den Gegner Paris Saint-Germain. Er habe "oft erlebt, dass diese großartigen Vereine allen Respekt von der Schirigruppe kriegen - und die Kleinen nicht". Und so sei das eben auch wieder am Mittwochabend in Leipzig gewesen, fand Marsch, obwohl sein Team beim 2:2 (1:2) gleich zwei Elfmeter erhalten hatte.

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Nach einem Vollgas-Start vergibt André Silva per Elfmeter die Chance auf ein frühes 2:0 gegen PSG. Trotz einer beherzten zweiten Halbzeit und eines späten Tores verabschiedet sich RB aus der Königsklasse.

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Er habe, schilderte Marsch später den Gelb-Vorfall, den vierten Offiziellen am Seitenrand gewarnt, dass er als Trainer jetzt zwei Möglichkeiten habe: "Entweder da (auf der Bank) zu sitzen und alles hinzunehmen", oder aber: "meine Emotionen eskalieren lassen und versuchen, Respekt vom Schiedsrichter zu kriegen". Marsch entschied sich eindeutig für Eskalation. Der Grund für seinen Zorn: Referee Ekberg hatte es nach Marschs Empfinden "super hier in Leipzig" gefunden, "mit Neymar, Di María und Mbappé... Ich dachte, der will nach dem Spiel ein Autogramm von Neymar holen", spöttelte der Leipzig-Coach. Und hätte es nicht den italienischen Videoschiedsrichter gegeben, so glaubte Marsch, dann hätte es auch keinen Elfmeter mehr für Leipzig in der Nachspielzeit gegeben: "Ohne VAR sieht der (Ekberg) das nicht!"

Nur ein Sieg in Brügge verhindert den kompletten Europa-K.o.

Es gab ihn dann ja doch, den Elfmeter zum späten RB-Ausgleich, dank Monitor-Beweis. Der eingewechselte Dominik Szoboszlai verwandelte ihn, was die Leipziger bejubelten, als hätten sie eine Trophäe gewonnen. In Wahrheit hatten sie nur karge Beute in den Händen: ihren ersten Punkt nach vier Gruppenspielen, womit ihr Aus in der Champions League bereits besiegelt ist. Wenn Leipzig das Folgespiel Ende November beim FC Brügge, der ebenfalls verlor (1:4 bei Manchester City), nicht gewinnen sollte, dann wäre der Zweite der Bundesliga-Vorsaison Anfang 2022 nicht mal mehr in der Europa-League dabei.

Ein Spiel, bei dem es "Klick" macht, das hatte sich Trainer Marsch nach den bisher durchwachsenen Leipziger Saisonergebnissen von der Partie gegen PSG erhofft. Nun allerdings steht die kommende Belgien-Reise der Leipziger unter einem Motto, das an den Titel eines tragikomischen Filmdramas erinnert: "Brügge sehen ... und sterben?" aus dem Jahr 2008.

Damals gab es RB Leipzig noch gar nicht. Nach der Gründung anno 2009 ging es dann so rapide bergauf, dass der Start-up-Verein sogar schon mal im Champions-League-Halbfinale stand, 2020 in Lissabon. Ein Abonnement auf ähnlichen Erfolg war mit diesem Ausflug unter die Top 4 des Kontinents nicht verbunden, das war den Leipzigern natürlich selbst bewusst. Aber dass das aktuelle Jahr des Umbruchs - neuer Trainer, neue Innenverteidigung, neue Führungsspieler, neue sportliche Leitung - so zäh und ernüchternd verlaufen würde, wie es momentan aussieht, das hatten sie bei RB wohl auch nicht erwartet.

"Wir machen uns das Leben schwer": Leipzigs Trainer Jesse Marsch ließ seinen Frust während der Champions-League-Partie gegen Paris freien Lauf. (Foto: Kevin Voigt /Jan Huebner/imago)

Die Ergebnisse stimmen bislang lediglich Pi mal Daumen, auch die Situation in der Champions-League-Gruppe A steht dafür exemplarisch. Dass Leipzig hinter den Milliardärstruppen ManCity und PSG landen würde, musste man erwarten - hinter Brügge zu stehen eher nicht. Und auch am Mittwoch wurde man das Gefühl nicht los, dass Leipzig die passende Ausbeute seines hohen Aufwands erneut nicht eingebracht hatte - wie so oft zuletzt.

Paris ist ja unter anderem deshalb ein perfider Gegner, weil dieses Luxusteam - diesmal ohne den maladen Lionel Messi angetreten - als Kollektiv noch nicht funktioniert und taktisch viele Einladungen bereithält für Gegner, die mit einer überzeugenden Strategie dagegenhalten. Das gelang Leipzig vollumfänglich, aber eben nur in der 20-minütigen Anfangsphase.

Danach verfiel man plötzlich in alte Passivitätsmuster. "Wir machen uns das Leben schwer", haderte Trainer Marsch nach dem Spiel - und weil das in dieser Saison nicht zum ersten Mal geschah, "tut das auch so weh", rief der Mittelfeldspieler Konrad Laimer nach der Partie. Dabei hätte das Leipziger Leben an diesem Abend ausgesprochen schön sein können: Nach acht Minuten gelang durch ein herrliches Kopfballtor von Christopher Nkunku das 1:0. Und nur wenige Minuten später trat Sturm-Zugang André Silva zum ersten Elfmeter an, doch Gianluigi Donnarumma parierte.

Der Italiener sei eben einer der besten Elfmetertöter der Welt, gaben später Marsch und auch RB-Torwart Peter Gulacsi zu bedenken. Andererseits geriet der Schuss von Silva so unplatziert, dass er ein Sinnbild war für dessen bislang mangelnde Fortune - und allgemein für die erstaunliche Fähigkeit der Leipziger, sich selbst ins falsche Momentum zu grooven.

Marsch bewertet die beiden PSG-Spiele trotzdem als "Riesenschritt"

Neymar witterte sofort, dass es nach diesem Fehlschuss in den Köpfen der Leipziger arbeitete, dass die verpasste 2:0-Chance zu Schockstarre führen könnte. Und so leitete der Brasilianer prompt den ersten klinisch reinen Angriff ein, den sein Team zu bieten hatte. Nach spektakulär direktem Zusammenspiel zwischen Neymar, Di María und Mbappé traf Georginio Wijnaldum zum 1:1.

Der Niederländer erzielte danach per Kopf noch das 2:1, das der von Marsch gescholtene Schiedsrichter zunächst zu Unrecht nicht gelten lassen wollte. Hätten die Pariser sich nicht zu Beginn der zweiten Halbzeit darauf beschränkt, den Leipzigern durch Mbappé und Di María nur ein paar Ohrfeigen statt einen Niederschlag zu verpassen, hätte es für RB auch eine Eskalation des Ergebnisses gegeben. So aber fand Leipzig mit viel Herz und Drang zurück in die Partie. Am Ende reichte es jedoch bloß noch zum Ausgleich.

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Eine Reihe von Dingen gefielen Marsch: die Aggressivität, die Balleroberungen, das Spiel mit dem Ball, die akkurate Umsetzung des taktischen Plans mit Pässen in den Diagonalraum, die Besetzung der Flügel. "In der Halbzeit war meine Botschaft: Wir spielen super! Lasst uns beim Matchplan bleiben! Wir sind besser! Wir sind besser im Spiel! Und lasst uns das Spiel gewinnen." Doch daraus wurde nichts.

Marsch feierte dennoch die beiden Partien gegen PSG, auch das 2:3 nach 2:1-Führung in Paris, als "Riesenschritt". Daraus sei Selbstvertrauen zu ziehen: "Wir müssen positiv bleiben! Wir müssen an unsere Art, an unsere Mannschaft, an unsere Jungs, an unseren Zusammenhalt glauben", rief Marsch nicht zum ersten Mal.

Am Samstag empfängt RB die Dortmunder zum Topspiel. Danach könnte sich die Frage stellen, ob sich die optimistisch begonnene Saison in ein graues Jahr des Übergangs verwandelt.

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