Farke bei Borussia Mönchengladbach:Therapeut, Fitnesstrainer, Spielinspirator

Lesezeit: 3 min

Zu einer gewissen Demut verpflichtet: Daniel Farke weiß um die nicht ganz einfache Situation seines neuen Klubs. (Foto: Revierfoto/Imago)

Daniel Farke hat bewiesen, dass er erfolgreich führen kann. Bei seinem Bundesliga-Debüt geht es um mehr: In Gladbach soll der Trainer Mannschaft, Klub und Umfeld wieder vereinen.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Roland Virkus sagt: "Ich hatte Gänsehaut." Der Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach spricht begeistert vom ersten Gespräch mit dem neuen Trainer Daniel Farke. "Ich war sofort angefixt."

Es hat in den vergangenen eineinhalb Jahren nicht allzu viel Anlass für Gänsehaut gegeben bei der Borussia. Im Dezember 2020 zog Gladbach unter dem Trainer Marco Rose erstmals ins Achtelfinale der Champions League ein. Anschließend fiel der Klub in sich zusammen wie ein Soufflé in der Zugluft. Rose ging weg, Sportchef Max Eberl ging weg, vom Trainer Adi Hütter trennte man sich nach nur einem Jahr schon wieder, der Wunschkandidat Lucien Favre sagte kürzlich ab.

Bundesliga
:Farke wird Trainer in Mönchengladbach

Nach dem Abschied von Adi Hütter wird Daniel Farke neuer Trainer von Borussia Mönchengladbach. Der 45-Jährige unterschreibt einen Vertrag, der bis 2025 gilt. Er kommt, nachdem Lucien Favre den Fohlen abgesagt hatte.

"Die letzten 18 Monate waren nicht ganz einfach für Gladbach", sagte am Pfingstsonntagmittag bei seiner Präsentation Farke, der neue Trainer, der von Sportchef Virkus erkennbar auf die herausfordernde Situation beim niederrheinischen Traditionsklub eingeschworen worden war. Farke spricht von einem "Neuanfang" für die Borussia. Dass er von Virkus erst kontaktiert worden ist, nachdem Favre abgesagt hatte, nimmt er sportlich. "Vielleicht werde ich ja hier die 1b-Dauerlösung", witzelte er.

"Wir brauchen zunächst mal einen gesunden Realismus", sagt Farke

Der gebürtige Ostwestfale feiert sein Debüt in der Bundesliga, hat aber ereignisreiche Jahre hinter sich. 2013 führte er den Fünfligisten SV Lippstadt in die Regionalliga West, stieg ein Jahr später aber direkt wieder ab. 2016 und 2017 scheiterte er mit der zweiten Mannschaft von Borussia Dortmund zwei Mal knapp am Aufstieg in die Dritte Liga. 2019 stieg er in England mit Norwich City aus der zweiten Liga in die Premier League auf, 2020 wieder ab und 2021 wieder auf, ehe er Anfang November 2021 nach einem missratenen Saisonstart entlassen wurde. Farke hat auf seinen Stationen recht erfolgreich Mannschaften über Schwellen geführt: über die Schwelle zum Profifußball und über die Schwelle zur Premier League. Die Frage ist nun, über welche Schwelle will er Gladbach tragen?

Ähnliche Situation wie nun in Gladbach: Als Daniel Farke Norwich City trainierte, war der Klub in "einer schwierigen finanziellen Situation und die Mannschaft musste erneuert werden", wie er sagt. (Foto: Paul Chesterton/Focus Images/Imago)

Farke antwortet: "Es wäre jetzt falsch, nach diesen letzten 18 Monaten für Gladbach hier über-euphorische Ziele auszurufen." Die vergangenen eineinhalb Jahre haben am Borussia-Park Spuren hinterlassen. Farke soll Mannschaft, Klub und Umfeld wieder vereinen. "Wir brauchen zunächst mal einen gesunden Realismus", sagt er.

Farke (zuletzt noch ganz kurz in Krasnodar/Russland, bevor der Krieg ausbrach) sieht im Gladbacher Kader "eine gute Basis mit einer Menge Potenzial". Weder Farke noch Virkus wissen allerdings, wie der künftige Kader aussieht. Mit Torwart Yann Sommer, Abwehrmann Ramy Bensebaini, Mittelfeldmotor Jonas Hofmann oder auch den Angreifern Marcus Thuram, Alassane Plea und Breel Embolo gibt es viele personelle Unwägbarkeiten. Virkus sagt: "Wir wollen die gute Basis halten." Das klingt, als versuche er, die Abgänge im Rahmen zu halten. Auf Farke kommen also auch Überredungsgespräche mit Spielern zu.

"Es wird allerdings nicht ganz einfach, sämtliche Wünsche zu erfüllen", sagt Farke selbst. Auch über die limitierten wirtschaftlichen Möglichkeiten des Klubs hat Virkus ihn aufgeklärt. Durch Corona ist das Eigenkapital der Borussia von 103 auf 72 Millionen Euro geschrumpft. "Roland Virkus muss schauen, was er umsetzen kann", sagt Borussias Finanzchef Stephan Schippers. "Wir dürfen den Verein nicht in die Bredouille bringen, dann müssen halt die Ansprüche schrumpfen."

"Wir wollen jetzt eine neue Ära beginnen, aber das braucht Zeit", sagt Sportchef Virkus

Farke ist mithin von Beginn an zu einer gewissen Demut verpflichtet und darf sich mit sportlichen Ambitionen nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Er lobt also lieber einen "phantastischen Verein mit einer wahnsinnigen Tradition und einer unglaublichen Emotionalität".

Doch genau die hat in den vergangenen Monaten gelitten. Deshalb sagt auch Sportchef Virkus: "Wir wollen jetzt eine neue Ära beginnen, aber das braucht Zeit." Zunächst einmal müsse man den Klub wieder "in ruhiges Fahrwasser" führen. Gladbach muss sich von den vergangenen 18 Monaten erholen. Farke ist Therapeut, Fitnesstrainer und Spielinspirator zugleich.

Fußballerisch gibt es viel zu verbessern. 61 Gegentreffer waren in der vergangenen Saison der drittschlechteste Wert der Liga. "Wir brauchen eine bessere Balance", sagt Farke, "defensive Stabilität, Fitness und Ballbesitzspiel, Mut und Aggressivität, aber auch gemeinsame Werte und eine große Einigkeit." Viel davon will er in seiner Zeit in Norwich im Osten Englands gelernt haben. "Der Klub war in einer schwierigen finanziellen Situation und die Mannschaft musste erneuert werden." Ähnliches findet er in Mönchengladbach vor. Beide Seiten könnten also tatsächlich ganz gut zueinander passen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

DFB-Elf
:Und wie gut ist man nun wirklich?

Siege gegen Armenien und Liechtenstein, Schwierigkeiten bei den Schwergewichten: Das 1:1 in Italien lässt Nation und Bundestrainer weiter darüber rätseln, welches Niveau die Nationalmannschaft aktuell hat.

Von Thomas Hürner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: