Die US-Torhüterin Alyssa Naeher war bereits geschlagen, weshalb für den Bruchteil einer Sekunde ein düsteres Szenario aufzog. Die zweite Minute der Nachspielzeit lief im Eden Park in Auckland, der von der Portugiesin Ana Capeta getretene Ball war in Richtung amerikanisches Tor unterwegs, und auf einmal stand infrage, ob die erfolgreichste Frauenmannschaft der Geschichte die Gruppenphase der Weltmeisterschaft überstehen würde. Eine Nation, die von sich erwartet, alles zu gewinnen, würde verlieren; Megan Rapinoe würde die finalen Minuten ihrer Nationalmannschaftskarriere erleben; die Dominanz der USA im Frauenfußball würde zu Ende gehen.
Einmal titschte der Ball auf, dann traf er - den Pfosten und prallte zurück ins Feld. Düsteres Szenario abgewendet. Vorerst.
Mit einem 0:0 gegen Portugal zogen die USA ins WM-Achtelfinale ein, mit mageren fünf Punkten. Drei davon kommen aus einem unspektakulären 3:0-Sieg gegen Vietnam, das die Niederlande am Dienstag im Parallelspiel mit einem ekstatischen 7:0 aus dem Stadion in Dunedin fegten. Die Zuschauer im Eden Park konnten die jubelnden Niederländerinnen auf den Bildschirmen im Stadion sehen. Unten auf dem Feld Kontrastprogramm: Das US-Team musste seine Gedanken ordnen, den Schrecken verdauen, mit dem es davongekommen war.
"Ich habe im ersten Moment noch keine klare Emotion, ich verarbeite noch", sagte Rose Lavelle, die eigentlich neuen Schwung ins Mittelfeld hätte bringen sollen im dritten Spiel. Stattdessen sah sie die zweite gelbe Karte des Turniers und wird im Achtelfinale fehlen. "Wir wollen uns weiterhin von Spiel zu Spiel steigern", sagte sie und fiel damit zurück in dasselbe floskelhafte Mantra, das ihre Mitspielerinnen seit Wochen vortragen. Ergänzt um ein neues Statement: "Wir haben den Job erledigt." Stimmt - aber was bedeutet für die USA schon ein Einzug ins Achtelfinale?
Dieses neu zusammengestellte US-Team mit den vielen talentierten Debütantinnen, es versucht seit Beginn der WM-Vorbereitung in die Fußstapfen der Siegerinnen von 2015 und 2019 zu treten. Zweimal gewannen die USA die WM vor allem deshalb, weil sie immer an sich glaubten, weil sie nie aufgaben und weil sie eine Einheit bildeten, so definieren sie selbst die Erfolgsformel, die sie reproduzieren wollen. Mit einer absurden Menge an High-Fives vor dem Spiel soll das gelingen, mit hundertfacher Wiederholung des ewigen "Wir können das, weil wir es schon einmal geschafft haben" und mit dem tiefen Glauben daran, dass irgendwo eine Heldin bereitstehen wird, um das entscheidende Tor zu schießen.
Nur: Die anderen können es inzwischen genauso gut, wenn nicht besser. Portugal etwa, Nummer 21 der Weltrangliste und zum ersten Mal bei einer WM dabei, glaubte am Dienstagabend immer an sich, gab nie auf und bildete eine Einheit. Es sind längst selbstverständliche Tugenden auf der großen WM-Bühne - aber Portugal hatte dazu noch einen perfekten taktischen Plan und die Fähigkeiten, diesen umzusetzen. Mit simplen fußballerischen Lösungen waren sie über 90 Minuten die bessere Mannschaft. Gegen das einfältige Pressing der Amerikanerinnen etwa wählten sie als Stilmittel - Überraschung: Pässe! 393 spielten sie, 90 mehr als die USA, die aus dem Spiel heraus völlig ungefährlich blieben, weil ihnen nicht eine einzige Passfolge über mehr als zehn Stationen gelang.
"Man muss sich den Ball nehmen", sagte Portugals Trainer Francisco Neto nach dem Spiel: "Wenn sie ohne Ball laufen müssen, tut man ihnen weh." Und selbst angesichts des knapp verpassten Achtelfinals grinste er kurz, als er gefragt wurde, was er sich bei der Pressekonferenz von US-Trainer Vlatko Andonovski vor dem Spiel gedacht hatte, als dieser referiert habe, Portugal werde sehr passiv sein: "Sie haben Schwächen", sagte Neto nur. Die hatte er erkannt und seinem Team eingeprägt, aktiv zu sein.
In der Heimat wird das US-Team scharf kritisiert
Es gibt klare Indizien dafür, dass die Schwächen der USA auch mit ihrem Trainer zusammenhängen. Andonovski ist ein ruhiger Typ, einer, der keine großen Reden schwingt, sondern meist versucht, analytisch zu bleiben. Insofern ist er ein Kontrast zur ikonischen Jill Ellis, seiner historisch erfolgreichen Vorgängerin: Coach Vlatko prägt einen durchweg anderen Stil, der im Erfolgsfall besonnen, bei Misserfolg aber passiv wirkt.
"Wir müssen bei unserer Philosophie bleiben", sagte er nach dem 0:0, detaillierte Erklärungen präsentierte er - genau wie seine Spielerinnen - nicht. Weder dazu, warum weiterhin Löcher im US-Spiel klaffen, in die der Gegner spazieren kann, oder warum es in der Offensive nur Torchancen nach Einzelleistungen gibt. Was er einräumte: "Es gab Zeiten, in denen wir nicht auf derselben Wellenlänge waren." Das deutet darauf hin, dass nicht nur sein Plan fehlerhaft war, sondern dass es auch an der Umsetzung haperte. "Wir waren nicht synchronisiert", sagte Andonovski.
Wie genau es ihm gelingen soll, dieses Team innerhalb von vier Tagen und einer Reise nach Australien für das Achtelfinale zu synchronisieren und zu einer Dominanz zurückzuführen, wird inzwischen auch in der Heimat hinterfragt. Beim übertragenden Sender Fox kritisierten die Expertinnen lautstark das Team. "Die beste Spielerin war der Pfosten", sagte Ex-Kapitänin Carli Lloyd. Innerhalb weniger Wochen hat sich das latente Misstrauen gegenüber der jugendlichen Elf verschärft, man hat erkannt: Der Favorit ist nicht die Übermacht, die er vorgab zu sein.
Inwiefern das auch die Spielerinnen selbst erkannt haben, ist offen - nach außen hin wird floskelhaft verteidigt, im Sinne des gepredigten self-belief, des Selbstvertrauens, das dieses Turnier entscheiden sollte. Die USA wirken aktuell wie ein Team, das spürt, dass sein erfolgreicher Plan aus der Vergangenheit nicht mehr aufgeht - nur die verbale Verteidigung des alten Status als Weltmacht im Frauenfußball sitzt aktuell noch.