Der Fußball liefert zuweilen den besten Beweis dafür, dass Glück und Enttäuschung nah beieinanderliegen. So auch im Fall von Lucy Bronze, am Dienstagabend auf dem Rasen des Glasgower Hampden Parks. Die Abwehrspielerin der englischen Frauen-Fußballnationalmannschaft hatte gegen die Schottinnen in der dritten Minute der Nachspielzeit per Kopf das 6:0 erzielt. Bronze ballte anschließend beide Fäuste, sackte zu Boden und gab einen Jubelschrei von sich.
Kurz darauf ertönte der Schlusspfiff - und es machte sich ein Gefühl der Ungewissheit breit. Lucy Bronze formte mit den Fingern nervös eine Drei und eine Null, und damit das Ergebnis im noch laufenden Parallelspiel zwischen der Niederlande und Belgien. Die Engländerinnen bildeten einen Kreis und verfolgten auf einem Smartphone angespannt den Ausgang der Partie im rund tausend Kilometer entfernten Tilburg.
"Sie haben getroffen", sagte plötzlich einer der englischen Betreuer. Gemeint waren die Niederländerinnen, die in der 95. Minute auf 4:0 stellten. Unmittelbar darauf ertönte auch in Tilburg der Schlusspfiff. Und Lucy Bronze sackte binnen weniger Minuten erneut zu Boden - diesmal desillusioniert und still. Denn der finale Tabellenstand der Nations-League-Gruppe A1 besagte fortan: die Niederlande mit zwölf Punkten auf Platz eins, England ebenfalls mit zwölf Punkten auf Platz zwei. Für das Final-Four-Turnier der Nations League haben sich damit die Niederländerinnen qualifiziert - dank der um ein Tor besseren Tordifferenz.
Für Engländerinnen und Schottinnen ist der Olympiatraum geplatzt
Beim Final Four, an dem neben der Niederlande auch Deutschland, Frankreich und Spanien teilnehmen, werden im kommenden Februar zwei Plätze für die im Sommer 2024 in Paris stattfindenden Olympischen Spiele vergeben. Für Europameister England und für die Schottinnen ist dieser Traum nun geplatzt - und das nicht nur auf dramatische, sondern auch auf kuriose Weise. Wäre es andersherum ausgegangen, hätte sich sicher der Vorwurf massiver Wettbewerbsverzerrung an die Uefa gerichtet, nicht nur vonseiten der Niederländerinnen.
Denn die Ausgangslage vor dem letzten Spieltag in der Gruppe A1 sah so aus: Die Engländerinnen mussten hoch gegen die Schottinnen gewinnen, um ihre Olympia-Chance zu wahren. Und die Schottinnen mussten hoch gegen die Engländerinnen verlieren, um ihre Olympia-Chance zu wahren. Denn bei Olympia tritt immer Großbritannien als Ganzes an - hätte sich England qualifiziert, hätten auch Spielerinnen aus Schottland, Wales und Nordirland gemeinsam mit den Engländerinnen als "Team GB" nach Paris reisen dürfen.
Englands Nationaltrainerin Sarina Wiegman hatte sich allerdings nicht zuletzt aufgrund der Rivalität beider Nationen auf Gegenwehr der Schottinnen eingestellt. "Wenn man die Geschichte von Schottland und England kennt, dann werden sie dieses Spiel auf keinen Fall herschenken", hatte sie gesagt. Drei Tore hätte ihre Mannschaft in puncto Tordifferenz aufholen müssen. Und in der Tat fiel der Sieg ihrer Auswahl mit 6:0 hoch aus - aber nicht hoch genug. Oder anders gesagt: Die Schottinnen haben zwar hoch verloren - aber nicht hoch genug. "So ist Fußball", sagte Wiegman, "es war nicht genug." Nicht nur aus englischer, auch aus schottischer Sicht. Nun nimmt aus keinem der beiden Teams eine Spielerin an Olympia teil.