Formel 1 in Japan:Verrückt zur Kirschblütenzeit

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Wie vor einem halben Jahr? Beim letzten Rennen auf dem Suzuka International Racing Course war Max Verstappen ebenfalls mit einer Niederlage gegen Carlos Sainz im Gepäck angereist - und gewann. (Foto: Toshifumi Kitamura/AFP)

Zur Anfangsphase der neuen Saison pokern Rennställe und Fahrer um das attraktivste Formel-1-Cockpit. Vieles hängt davon ab, wie sich Max Verstappen entscheidet.

Von Elmar Brümmer

Einmetereinundsechzig, und diese Körpergröße scheint noch geschönt zu sein. Die vier Kollegen, die vor dem Großen Preis von Japan während einer Talk-Runde neben Yuki Tsunoda auf dem Sofa sitzen, alle gut einen Kopf größer als der Lokalmatador. Sie amüsieren sich köstlich, als Tsunoda über seine offenbar bastelbegabte Fangemeinde erzählt: "Ich habe so eine Mini-Mini-Version von mir als Glücksbringer bekommen. Einen richtigen Winzling, aber mit Rennanzug und Helm." Max Verstappen schaltet sich ein: "Vielleicht warst du es selbst?" Tsunoda gibt mit leisen Zweifeln zurück: "Vielleicht, ja." Kollektive Lachsalve, und am lautesten lacht der Japaner selbst. So gelöst wie vor dem vierten WM-Lauf morgen war die Stimmung in der skandalgeplagten Rennserie tatsächlich schon lange nicht mehr.

Was so ein bisschen Einfallsreichtum alles ausmachen kann. Von Kleinst-Yuki aus gesehen liegen die little people nah, die sich der Bestsellerautor Haruki Murakami ausgedacht hatte. Als Experte für Parallelwelten hätte der seine echte Freude an der Königsklasse gehabt, in der es auch nicht immer einfach ist, zwischen guten und bösen Absichten zu unterscheiden. Im abschüssigen Fahrerlager von Suzuka entpuppt sich die Königsklasse jedenfalls als Fantasie-Formel.

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Die Saison drohte durch die Überlegenheit von Red Bull bereits erdrückt zu werden. Der Doppelerfolg von Ferrari macht die WM wieder spannend - und hilft vor allem Sieger Sainz, der noch ein Cockpit für nächstes Jahr sucht.

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So früh wie noch nie im Jahr findet der Klassiker auf der schräg gelegten Asphalt-Acht diesmal statt. Es ist Kirschblüte, die Zweige sprießen sogar auf Max Verstappens Sponsorenkappe. Vor einem halben Jahr, beim letzten Rennen auf dem Suzuka International Racing Course war der Weltmeister ebenfalls mit einer Niederlage gegen Carlos Sainz im Gepäck angereist. Damals drehten sich alle Diskussionen um Formkrise und Rachegelüste, bis diese vom Niederländer in Grund und Boden gefahren wurden. Über das fahrende Personal wurde im Herbst nicht geredet. Das verhält sich diesmal völlig anders, der silly season genannte Transferpoker hat schon jetzt begonnen.

"Es gibt sehr viele Interessenten, wir befinden uns in einer Luxusposition", sagt Christian Horner

Alles bloß, weil im Zuge der Affäre um Red-Bull-Teamchef Christian Horner eine Ausstiegsklausel im Rentenvertrag von Max Verstappen mit Red Bull bekannt geworden war. Verstappen schockt die Grand-Prix-Gemeinde in Suzuka auf die Frage nach seiner Perspektive fürs kommende Rennjahr gleich mit dem lapidaren Satz: "Das hängt davon ab, ob ich auch nächstes Jahr noch fahren will..." Bloß Spaß! Der 26-Jährige beeilt sich dann zu behaupten, dass er sehr glücklich sei, da, wo er jetzt ist. Mit ein bisschen Vorstellungskraft könnte man ihm das sogar abnehmen, solange es aufs Auto bezogen ist, ist es garantiert wahr.

Als habe es den Hauskrach und die Machtkämpfe im Champion-Team nie gegeben, bestätigt Christian Horner am Freitag, dass der Weltmeister "hundertprozentig" auch 2025 im Rennstall bleibe. Noch lieber, da weit unverbindlicher, referiert der Brite über das zweite Cockpit, das er in jedem Fall zu vergeben hat, weil der Vertrag von Sergio Perez ausläuft: "Es gibt sehr viele Interessenten, wir befinden uns in einer Luxusposition."

Wer an Murakami und dessen wunderbare Scharaden denkt, der mag sich seine Gedankenspiele nicht durch ein schnödes Statement zerstören lassen, zumal das mit der Transparenz in der Formel 1 ohnehin so eine Sache ist. Jeder verschleiert seine wahren Interessen. Mercedes-Teamchef Toto Wolff macht kein Hehl aus seinen Absichten, von Lawrence Stroll, dem Besitzer von Aston Martin, werden diese zumindest kolportiert. Beide würden am liebsten im Doppelpack mit Max Verstappen auch gleich den Red-Bull-Designer Adrian Newey verpflichten, Ferrari soll bereits mit dem Briten verhandelt haben. Wie schön das ist, sich so ein Dream Team auszumalen.

Ein neuer Kandidat für Mercedes: der 17 Jahre alte Italiener Andrea Kimi Antonelli

Als bewährter Spielverderber entpuppt sich, ganz wie auf der Rennstrecke, Fernando Alonso. Der Spanier, dessen Vertrag mit Aston Martin zum Jahresende ausläuft, träumt auch mit 42 noch vom dritten Titel. Natürlich hat ihn sein Manager Flavio Briatore noch vor seiner Herzoperation auch bei Red Bull platziert, und ebenso bei Mercedes. In Lauerstellung bleiben, bis klar ist, was mit Verstappen auf Sicht wirklich passiert. Sich alle Optionen offenzuhalten, erscheint als clevere Strategie auf einem Markt, den der gewiss nicht reaktionsarme Mercedes-Strippenzieher Toto Wolff respektvoll als "sehr dynamisch" beschreibt. Der Österreicher will sich ähnlich wie Alonso nicht drängen lassen, aber er weiß, dass er allzeit bereit sein muss: "Im Kopf habe ich die Reihenfolge meiner Kandidaten schon." Dazu zählt auch der erst 17 Jahre alte Italiener Andrea Kimi Antonelli, der bereits die ersten Test-Runden in einem Mercedes gedreht hat. Sollte er Verstappen, der ihm schon einmal durch die Lappen gegangen war, wieder nicht bekommen, dann zieht er sich eben selbst einen Champion heran. Was für ein Traum!

Das Momentum der Überraschung, siehe den Coup von Ferrari mit Lewis Hamilton, ist in dem rasenden Geschäft nicht zu unterschätzen. Auch wenn die meisten Bienenhotels, die Sebastian Vettel im letzten Jahr in der zweiten Kurve eingerichtet hat, inzwischen umgesiedelt wurden, ist der Heppenheimer gerade omnipräsent in Japan. Für diesen buzz reichen aus der Ferne ein paar Sätze bei der BBC, in denen alles auf ein mögliches Comeback hindeuten oder genau das Gegenteil besagen könnte. "Manchmal denke ich über eine Rückkehr nach", sagt der 36-Jährige, der gerade einen Porsche-Prototypen getestet hat. Er verfolge den Fahrermarkt und was da gerade passiere: "Aber es ist nicht meine oberste Priorität."

Was bei Carlos Sainz logischerweise ganz anders aussieht. Frisch gestärkt durch seinen dritten Grand-Prix-Sieg kokettiert der 29-Jährige mit seiner Arbeitslosigkeit, sehnt sich aber schon nach einem neuen, vermeintlich besseren Cockpit. Auf seiner Liste steht neben den üblichen Verdächtigen Mercedes und Aston Martin auch das künftige Audi-Werksteam: "Jetzt geht es darum, welche Optionen realistisch sind. Es wird Zeit, auf dem Transfermarkt Gas zu geben und die Dinge auf die Reihe zu bekommen."

Während alle noch taktieren, ist der erste erfolgreiche Transfer der Saison gerade klammheimlich vollzogen worden. Lee Stevenson, seit anderthalb Jahrzehnten der Frontmann bei den Boxenstopps von Red Bull Racing, wird mit sofortiger Wirkung Chefmechaniker beim Sauber-Rennstall. Wagenheber-Fantasien, sie könnten von Murakami stammen.

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