Formel 1:Auf in die klassenlose Leistungsgesellschaft!

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Schickes Auto vor Palmen: Die Formel 1 erhofft sich einiges von den neuen Boliden. Doch wie schnell die Dienstwagen (im Bild der Red Bull von Max Verstappen) wirklich sind, das wird sich frühestens in der Qualifikation am Samstag erweisen. (Foto: Thaier Al-Sudani/Reuters)

So viel Revolution wie vor dem anstehenden Saisonstart ist in der Formel 1 noch nie versprochen worden. Die neuen Autos stellen ihre Teams noch vor Schwierigkeiten, Hamilton und Verstappen schwören sich auf ihr nächstes großes Duell ein.

Von Elmar Brümmer, Manama

Am Flughafen eine Videotafel. Gegenüber vom Hotel eine Plakatwand. An der Schnellstraße die Fahnen. Überall im Staate Bahrain diese eine Botschaft: "Eine neue Ära." Doch es geht dabei nicht etwa um Vorkommnisse im Könighaus von Scheich Hamad bin Isa Al Chalifa. Vielmehr wird vor dem Großen Preis eine neue Zeitrechnung in der Formel 1 propagiert.

Der größte Regeleinschnitt seit vier Jahrzehnten soll etwas schaffen, das kaum möglich erscheint: Er soll die vergangene Saison noch toppen, die eine der besten und dramatischsten in der Geschichte der Königsklasse gewesen ist. Gelingen soll das Kunststück paradoxerweise mit Autos, die schwerer, steifer und härter sind als ihre Vorgänger. Mit Neuentwicklungen, die bislang sehr schwierig zu zähmen sind.

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Dafür soll die Aerodynamik der neuen Fahrzeug-Generation nicht nur mehr Überholvorgänge ermöglichen, sondern auch dafür sorgen, dass aus dem dualen Erfolgs-System von Mercedes und Red Bull Racing künftig eine möglichst klassenlose Leistungsgesellschaft wird. Auf einmal zehn Rennställe mit Siegchancen? Die Formel 1 war ja immer schon ein Versprechen auf eine bessere Zukunft, aber so viel Revolution wie vor dem Saisonstart an diesem Wochenende ist noch selten versprochen worden - als wolle die Rennserie mit ihren Lieblings-Storytellern von Netflix in Wettbewerb treten.

Beim Endspurt auf den Titel 2021 hat es sich vermutlich um den besten Hamilton gehandelt, den es je gegeben hat

Bei den Serienmachern von "Drive to Survive" wäre vermutlich das Wort "Rache" auf den Bannern gelandet, zumindest aber "Revanche". Solchen Gefühlen will sich Lewis Hamilton allerdings nicht hingeben. "So ticke ich nicht, so gehe ich nicht an die Saison heran. Ich will lediglich der Beste sein, der ich sein kann", sagt er am Freitag bei einer Podiumsrunde in der Steinwüste von Sakhir. Er möchte im neuen Rennjahr nur an Leistung zulegen, und von Anfang an zumindest auf dem Stand vom letzten Saisonende sein.

Dazu muss man sich die Historie des siebenmaligen Champions vergegenwärtigen: Beim Endspurt auf den Titel 2021 hat es sich vermutlich um den besten Hamilton gehandelt, den es je gegeben hat. Und jetzt eine noch bessere Version seiner selbst? Das könnte es dann schon wieder gewesen sein mit der neuen Spannung. Wären nicht diese ungewöhnlichen Probleme aufgetreten, über die Hamilton bei den Testfahrten berichtet hatte. Und die ihn sogar zu der These verleiteten, in diesem Auto habe er keine Chance, um Siege zu fahren. Was ihm wiederum keiner glauben wollte, schon gar nicht Max Verstappen, der witzelte, Mercedes habe in der Tat ein "furchtbares Auto".

"Die Formel 1 ist ein hartes Geschäft. Lewis wird es verschmerzen, er hat ja schon sieben Titel", sagte Max Verstappen zum umstrittenen Saisonfinale der vergangenen Saison. (Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Mensch und Maschine, die auch nach neuer Zeitrechnung ewig alte Beziehungsgeschichte in diesem Sport. Wenn diese jetzt wirklich so kompliziert geworden ist, wie alle behaupten, dann ist es tatsächlich von Vorteil, wenn Hamilton nicht mehr allzu oft an die Geschehnisse von Mitte Dezember in Abu Dhabi denkt, als ihm Verstappen auf der letzten Runde den schon sicher geglaubten achten Titel nach einer umstrittenen Entscheidung des Rennleiters noch entreißen konnte. Der 37-Jährige, der wochenlang abgetaucht war, um das Unfassbare zu fassen, schiebt einen mentalen Schutzschild vor: "Ich hege keinen Groll, ich habe keine Last, die ich mit in die neue Saison schleppe. Denn ich kann die Vergangenheit nicht ändern."

Dabei hatte Toto Wolff, Teamchef von Mercedes, gerade im SZ-Interview erklärt, wie sehr die Schmach in Abu Dhabi das ganze Team zusätzlich motivieren würden: "Diese Ereignisse und das Verlangen, Unrecht wiedergutzumachen, haben mit Sicherheit Energie freigesetzt", kündigte Wolff an. "Man wird sich für alle Zeit an Mercedes und Lewis erinnern als diejenigen, die viele Titel gewonnen haben. Und als diejenigen, denen eine Weltmeisterschaft zu Unrecht genommen wurde." Und man werde schon sehen, sagte Wolff, wie viel Kraft dieses Gefühl freisetzen werde. Auch Hamilton argumentierte mit der letzten Wortmeldung an diesem Tag in eine ähnlich offensive Richtung: "Ich werde ein aggressiverer Fahrer in diesem Jahr sein, ihr werdet sehen." Ein Rollenwechsel, um den Machtwechsel zu verhindern.

Verstappen will nicht nur eine neue Aerodynamik, sondern gleich eine ganz neue Zeitrechnung

Der Gegenspieler, der beim verbalen Warm-Up in einer anderen Runde saß, würde das letztjährige Finale ebenfalls gern vergessen. Aber der Niederländer weiß nicht, wie er das anstellen soll, wird er doch immer darauf angesprochen. Auch die Nummer Eins auf dem Auto, die sein ganzer Stolz ist, erinnert ihn permanent daran. Deshalb betont er noch einmal, dass das umstrittene Finale seinen Titel nicht überschatten würde: "Ich sehe es nicht so, dass der Sport erst wieder gesunden muss. Dramatische Momente gehören dazu, und die Formel 1 ist ein hartes Geschäft. Lewis wird es verschmerzen, er hat ja schon sieben Titel."

Verstappen, der gerade von Red Bull mit einem Rentenvertrag bis 2028 ausgestattet worden ist, sieht sich als Vorreiter einer neuen Generation, zu der außer ihm auch Charles Leclerc, George Russell oder Lando Norris gehören. "Wir brauchen mehr, die um den Sieg kämpfen können", sagt der Titelverteidiger selbstbewusst. Er will nicht nur eine neue Aerodynamik, sondern gleich eine ganz neue Zeitrechnung.

Geht es hier zum Dojo oder ins Fahrerlager? Lewis Hamilton wurde von seinem Vater als Kind zum Kampfsport geschickt. (Foto: Lars Baron/Getty Images)

Zunächst ist es eine Reise ins Ungewisse. Also genau das, was sie in der bis ins Detail kalkulierenden Königsklasse des Motorsports hassen. Bei den Testfahrten hoppelten die Autos wie die Hasen, eine Folge des Ansaugeffekts. Die Fahrer werden zwangsweise zu Anpassern, manche müssen ihren liebgewonnenen Fahrstil komplett ändern. Mick Schumacher freut sich auf die veränderte Herausforderung: "Das ist wie auf dem Spielplatz hier." Die Frage, wer von den Rennställen noch verschleiert, oder wer wirklich verzweifelt ist, wird erstmals am Samstag im Qualifying geklärt werden.

Druck spüre er keinen, hat Verstappen in Bahrain erzählt: "Ich habe nichts mehr zu beweisen. Manche, die nur auf das Finale gucken, vergessen, dass ich im vergangenen Jahr die meisten Siege geholt, die meisten Führungsrunden gehabt und die meisten Poles eingefahren habe." Der 24-Jährige war auch der erste, der sich nach dem Saisonende gewünscht hatte, das Hamilton zurückkommen muss. Natürlich, um sich selbst neu zu beweisen. Da geht es mehr um Würde denn um Bürde, und um die Frage, ob er die neue Ära auch zu seiner Ära machen kann. Er mag alles erreicht haben, was er sich erträumen konnte - und dennoch fängt jetzt erst alles richtig an: "Der Druck auf den Schultern ist weg. Aber die Motivation ist dieselbe und sogar noch höher, weil ich weiter gewinnen will."

Hamilton, weiterhin beseelt davon, mit einem achten Titel alleiniger Rekordweltmeister zu werden, erschien im Fahrerlager mit einer weißen Designer-Jacke, um die ein schwarzer Gürtel geschlungen war. Schwarzer Gürtel! Wenn das kein Zeichen ist. Nachdem er als Kind auf dem Schulhof gemobbt worden war, hatte ihn sein Vater einst zum Kampfsportunterricht geschickt, aus dieser Zeit stammt wohl sein ungeheures Durchsetzungsvermögen, im Branchenjargon "Hammertime" genannt. Weit poetischer hat er die Botschaft für seine Follower in den sozialen Medien formuliert: "Lasst das Positive geschehen..."

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