Bayern-Coach Julian Nagelsmann:Stocknüchtern ins Achtelfinale

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Der FC Bayern steht vorzeitig in der K.-o.-Runde der Champions League. Während Thomas Müller angesichts der schweren Gruppe dem Team Respekt zollt, ist bei Trainer Nagelsmann die Lockerheit noch lange nicht zurück.

Von Martin Schneider, Pilsen

Das Spiel ging Thomas Müller auf die Nerven. Allerdings im physio- und nicht im psychologischen Sinne. Im "alten Rücken" habe "eine Nervengeschichte" dazu geführt, dass seine Muskulatur zugemacht habe, sagte Müller, als er auf dem Weg zum Bus danach gefragt wurde, was denn der Grund für seine plötzliche Auswechslung nach 28 Minuten gewesen sei. Alles nicht dramatisch, keine größere Sache, worauf auch Müllers wirklich hervorragende Laune hindeutete. Mit großer Freude wies er unter anderem auf das Torverhältnis von 13:2 hin, mit dem der FC Bayern gerade vorzeitig ins Champions-League-Achtelfinale eingezogen war. "Chapeau, würde ich sagen, wenn ich selber vor unserer Truppe den Hut ziehen müsste."

4:2 (4:0) hatte der FC Bayern gegen den nach dem 5:0 im Hinspiel abermals überforderten FC Viktoria Pilsen gewonnen, und als Müller den Platz verließ, stand es schon 3:0: Sadio Mané, Müller selbst und Leon Goretzka, der sich insgesamt wieder stark präsentierte und später noch das 4:0 machte, erzielten die Tore. Und man tritt den Pilsenern nicht zu nahe, wenn man festhält, dass man sich für Treffer in Europas höchstem Pokalwettbewerb normalerweise mehr anstrengen muss. In der zweiten Halbzeit erfreute der tschechische Meister seine Fans im gemütlichen 11 700-Zuschauer-Stadion zwar noch durch zwei eigene Tore, die aber auch dadurch zustande kamen, dass nach diversen Wechseln der 16-jährige Paul Wanner Bayerns Linksverteidiger gab.

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Wer kritisch an die ganze Sache rangehen will, kann anmerken, dass die Münchner wieder ein Spiel nicht souverän zu Ende gespielt haben. Aber das wollte zumindest beim FC Bayern keiner. Thomas Müller nicht, "weil ich die zweite Halbzeit nicht gesehen habe", wie er grinsend mitteilte, und Trainer Julian Nagelsmann nicht, weil der Sieg die "nötige Ruhe und den Fokus für das Spiel gegen Freiburg" geben soll, wie er nicht-grinsend mitteilte.

Nagelsmann referiert nüchtern die Fakten: vier Spiele, zwölf Punkte, Achtelfinale

Womit man beim Thema des Abends war: Nagelsmann saß im völligen Stimmungskontrast zu Müller sehr ernst und sehr konzentriert im kleinen Pressesaal des Stadions. Noch vor Kurzem hätte er nach so einer fröhlichen ersten Halbzeit bestimmt ein paar Sprüche aus der Wetterlage locker-bis-flapsig losgelassen, doch die vergangenen Wochen, in denen ja fast alles und auch sein zuweilen unkonventionelles Auftreten thematisiert wurde, haben Spuren hinterlassen.

Und so betonte er nüchtern und ohne sichtbare Emotion, dass seine Mannschaft "in der schwersten Gruppe" mit zwölf Punkten aus vier Spielen das Achtelfinale erreicht habe. Dass in der gleichen Gruppe der berühmte FC Barcelona mit dem waschechten Neuner Robert Lewandowski vor dem Aus steht, das sagte Nagelsmann nicht explizit, das mussten sich die Zuhörer dazu denken und gedanklich mit den Wochen verknüpfen, in denen viel über Neuner und noch mehr über den Trainer diskutiert wurde, der nun souverän vor Barcelona und Inter Mailand in der K.-o.-Runde steht.

Schon vor dem Spiel hatten sich zwei gewichtige Stimmen beim FC Bayern pro Nagelsmann ausgesprochen. Thomas Müller nannte ihn die "treibende Kraft" mit "Expertise und voller Energie". Auf dem Rasen in Pilsen trat der Münchner Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn an das Mikrofon des Streamingdienstes Dazn und sagte ein paar Worte, über die sich Nagelsmann später ausdrücklich freuen sollte. "Fast aberwitzig" nannte Kahn die Behauptung, dass der Bayern-Trainer über nicht genug Erfahrung verfüge. Es gebe "überhaupt keinen Zweifel" an seiner Arbeit, Nagelsmann habe "unheimliche Qualität". Voll überzeugt sei man von ihm und gehe auch "durch diese holprige Phase".

Diese holprige Phase, das zur Erinnerung, speist sich einmal aus einer Handvoll fehlender Punkte in der Bundesliga, auch aus Bemerkungen wie der von Ex-Chef Karl-Heinz Rummenigge, wonach Nagelsmann ein "Trainer-Talent" sei. Zu viele würden das sagen, hatte Nagelsmann nach dem 2:2 in Dortmund säuerlich angemerkt.

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"Natürlich freue ich mich, wenn Oli das richtig eingeordnet hat", sagte Nagelsmann nach dem Spiel. Sein Verhältnis zu den Verantwortlichen sei sehr vertrauensvoll, "kein Blatt Papier" passe zwischen Kahn, Hasan Salihamidzic (Sportvorstand), Herbert Hainer (Präsident) und ihn. "Ich glaube, wir tun gut daran, die Verbundenheit, die wir im Klub leben, auch nach außen zu transportieren", sagte der Trainer im garantiert unbeabsichtigten Rummenigge-Duktus. Er sei froh, dass das Thema abgehakt sei.

Ganz abgehakt scheint das Thema freilich erst zu sein, wenn Nagelsmann auch wieder auf Pressekonferenzen der alte Nagelsmann ist. Bis dahin ist Unruhe beim FC Bayern weiter nur eine verpatzte Partie entfernt. Am Sonntag kommt es in der Bundesliga in München zum Spitzenspiel gegen den SC Freiburg, wobei die Freiburger im Moment ja ein bisschen mehr Spitze (Platz zwei) sind als die Bayern (Platz drei). Danach geht es im Pokal zum Auswärtsspiel nach Augsburg, wo der FCB in der Liga bekanntlich 0:1 verloren hat.

Sollte die Mannschaft beide Prüfungen bestehen, hätte Nagelsmann gute Chancen, vor der Katar-WM darauf zu verweisen, in allen Wettbewerben voll im sogenannten "Soll" zu stehen. Erst dann ist es wieder wirklich ruhig beim FC Bayern. Denn wenn Autoritäten wie Kahn und Müller den Übungsleiter öffentlich unterstützen, dann hat das ja zwei Sichtweisen. Auf der einen Seite ist es aus Perspektive des Trainers gut, dass er öffentliche Unterstützung bekommt. Auf der anderen Seite sehen auch alle, dass ihm gerade öffentliche Unterstützung ganz gut tut.

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