EM-Qualifikation gegen die Türkei:Özil verletzt? Dann eben Götze!

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Obwohl wichtige Spieler gegen die Türkei auszufallen drohen, ist Joachim Löw kaum aus der Ruhe zu bringen: Es steht gleichwertiger Ersatz bereit. Und auch wenn die Partie sportlich für die bereits qualifizierten Deutschen nachrangig ist - wichtig ist die Etikette.

Philipp Selldorf, Istanbul

Draußen am zentralen Taksim-Platz tobt der Lärm einer Stadt, von der keiner genau weiß, ob 13, 14 oder 15 Millionen Menschen in ihr leben, drinnen im Palmengarten des Hotels Intercontinental sitzt Joachim Löw in schattiger Beschaulichkeit am Bistrotischchen. Jenseits brüllender Autobusmotoren und unentwegtem Sirenengeheul hört man hier sogar ein paar Vögel trällern. Es wird türkischer Kaffee gereicht, auf der oberen Ebene der Étagère thronen zwei Pralinen.

Ist trotz der personellen Situation entspannt: Bundestrainer Joachim Löw. (Foto: AP)

Löw hat sich mit seinem Assistenten Hansi Flick zusammengesetzt, aber nach einer dringenden Lagebesprechung sieht es nicht aus, eher nach der fortgeschrittenen Mittagspause. Dabei ist die Situation in der deutschen Nationalmannschaft vor der Begegnung mit dem türkischen Team am Freitagabend keineswegs günstig: Spielmacher Mesut Özil und Sturmspitze Miroslav Klose sowie dessen Stellvertreter Mario Gomez leiden an unterschiedlichen Beschwerden. Gomez ist seit Donnerstagabend zwar offiziell fit, der Einsatz der beiden anderen aber fraglich. Unter normalen Umständen - die im Fußball immer einem chronischen Ausnahmezustand gleichen - müsste der erhöhte Alarmfall ausgerufen werden.

Es herrschen aber keine gewöhnlichen Umstände beim DFB-Team, das derzeit durch Alltagsprobleme nicht zu erschüttern ist. Löw wird keine Minute seiner Nachtruhe über die Frage verloren haben, ob dieser oder jener Spieler die Partie versäumen muss. Sollte Özil nicht spielen können, dann sei das zwar schon bedauerlich, wie Löw ausführt: "Die Spieler in der ersten Reihe - Podolski, Klose, Gomez, Müller, Schürrle - profitieren immens von Mesut, weil er die Dinge zu Ende bringt. Er spielt die tödlichen Pässe, da ist er genial."

Andererseits gibt es aber auch die Alternative Mario Götze, der ebenfalls scharfsinnige Pässe zu spielen versteht und heftig unter Verdacht steht, ein Genie zu sein. Und wenn Klose nicht mitmachen kann und Gomez geschont würde, dann bieten sich noch André Schürrle, Thomas Müller oder Cacau an. Die Besetzung seiner Mannschaft für die Partie im neu erbauten Stadion von Galatasaray Istanbul muss den Bundestrainer nicht beunruhigen, für die bereits EM-qualifizierten Deutschen ist nicht einmal das Resultat von vorderer Bedeutung.

Die Ergebnisse im hiesigen Herbst würden für die Europameisterschaft im Sommer nächsten Jahres keine große Rolle spielen, gibt Löw zu verstehen. Und an einem Denkmal als Rekordhalter im Zahlenwerk des DFB arbeitet er sowieso nicht: "Statistik interessiert mich selbstverständlich nicht", weist er entsprechende Anfragen kategorisch zurück.

Deutsch-türkische Fußballer vor der Wahl
:Halbmond oder Bundesadler?

Ömer Toprak entschied sich gerade gegen den DFB, die Real-Profis Özil, Sahin und Altintop schlugen unterschiedliche Wege ein und Ilkay Gündogan wartet noch immer auf sein Debüt für Deutschland: Türkischstämmige Fußballer, die zwischen ihrer Heimat und ihrem Geburtsland pendeln, gab es immer wieder.

Die bekanntesten Fälle.

Wichtig, ernsthaft wichtig ist den Deutschen die Etikette. Der DFB, der sich auch als politische Instanz versteht, geht die Partie in Istanbul als Mission der Verständigung an, vor dem Anpfiff gibt es einen sogenannten "Freundschaftsgipfel" mit Präsident Theo Zwanziger, türkischen Funktionären, Kindern und Künstlern. Auch für Löw ist es eine besondere Dienstreise, er hat in der Türkei Fußball gelehrt, nachdem er 1998 den VfB Stuttgart hatte verlassen müssen.

Niemand spricht freundlicher über die Türken und das Leben im Land als Löw. Seine Erfahrungen als Trainer von Fenerbahce in Istanbul, und die Herzlichkeit der Menschen blieben ihm "unvergesslich", schwärmt er. Am Mittwoch empfing er im Hotel einen Freund und Kollegen aus den Zeiten am Bosporus, aus der Pressekonferenz verabschiedet er sich auf Türkisch, einige der einheimischen Reporter begrüßt er wie gute Bekannte.

Als Löw von den Verletzungen seiner Spieler berichtet, versichert er hochachtungsvoll: "Wir haben personelle Probleme, die wirklich ernst zu nehmen sind. Das sage ich nicht, um irgendjemand zu täuschen." Die Gegenseite erwidert die Höflichkeiten gern. Ein Reporter heißt Löw als "Freund der Türken" willkommen und bekundet ihm, dass man sich über jeden seiner Erfolge freue, dann stellt er noch eine Frage von geringem Belang. Die Brisanz, die das Hinspiel hatte, als Özil beim 3:0-Sieg der DFB-Elf in Berlin ausgepfiffen wurde, die ist hier in Istanbul nicht zu spüren. Die dritte Begegnung zwischen Deutschland und der Türkei seit drei Jahren steht bevor, und die Hitze ist ein wenig raus.

Dennoch gibt es genügend Gründe, um darauf zu vertrauen, dass am Freitagabend eine gewissenhaft eingestellte und hinreichend ehrgeizige deutsche Elf antritt. "Wir haben uns bereits qualifiziert, das heißt aber nicht, dass wir uns im Wettbewerb zurücknehmen", sagt Löw und differenziert sorgfältig: "Dies ist kein Testspiel für uns, sondern Wettkampf."

Und Philipp Lahm, der Kapitän, reagiert verständnislos, als er gefragt wird, ob er wie einst sein Vorgänger Oliver Kahn an Ehre und Moral appellieren müsse, um das Team einzustimmen. Die Nationalmannschaft im Jahr 2011 hat seiner Meinung nach eine andere Mentalität als die Teams des DFB vor sieben, acht Jahren. "Das ist ja auch das Schöne daran, dass wir einen sehr, sehr breiten Kader haben", meint er, "die Motivation ist ganz einfach: Wir können einen Rekord schaffen, und es geht jetzt schon um die Plätze für die Europameisterschaft."

© SZ vom 07.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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