Österreich vor Duell mit Italien:Ein bisserl Sehnsucht, ein bisserl Neid

Lesezeit: 3 min

David Alaba will alle umarmen: In Österreich herrscht gerade Euphorie wegen des Einzugs ins Achtelfinale (Foto: Christian Walgram/GEPA pictures/imago)

Österreichs spezielles Verhältnis zu Italien bildet sich auch im Fußball ab. Vor dem EM-Achtelfinale in London herrscht beim Außenseiter erstaunliche Euphorie.

Von Felix Haselsteiner

Die beste Einstimmung auf das Fußballspiel am Samstag bietet Rainhard Fendrich: "I hab kane Lire, und kane Papiere, so wos haut di net fire" sang der galanteste aller Austropopper einst in "Strada del Sole", einem Lied, das in drei Minuten und 14 Sekunden alle Gefühle beschreibt, die das Verhältnis der Österreicher zu Italien bestimmen - dem Gegner im EM-Achtelfinale. Fendrich singt vom Italiener, der Alfa Romeo fährt und ihm die Frau ausspannt. Fazit: "I wollt nach Firenze, nach Rom und nach Pisa, doch jetzt hab i endgültig gnua von die Gfriesa." Auf gut Nichtösterreichisch: genug von Menschen, die man nicht mag.

Doch das Lied erzählt auch von Liebe. Von der Sehnsucht, der Faszination und auch vom gelegentlichen Neid der Österreicher auf die Italiener. Und der spielt auch immer eine Rolle, wenn eine Skination, die gerne auch eine echte Fußballnation wäre, auf eine Fußballnation trifft, die eine echte ist.

Es ist vor allem der deutschen Perspektive geschuldet, vielleicht auch ein Stück dem deutschen Ego und natürlich der Sprache, dass Österreich als ein Land wahrgenommen wird, das sich an Deutschland orientiert. Deutschland: großer Nachbar im Norden, starkes Land, wirtschaftliches Vorbild, natürlich. Und wer wäre nicht gerne so wie die großartigen Deutschen, die auch immer Fußball gespielt haben wie Maschinen?

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Der österreichische Fan ist dem italienischen viel näher als dem deutschen

Ja, Österreich mag manches vom nördlichen Nachbarn übernommen haben, will aber in Wahrheit anders sein als Deutschland. Österreich blickt lieber gen Süden, nach Italien, bei Themen wie Musik, Urlaub - und, ja, auch beim Fußball. Fendrichs Lieder spielten nicht in Nordrhein-Westfalen, sie spielten an der Strada del Sole, einst die Autobahnverbindung von Mailand nach Kalabrien. Falco sang in "Junge Römer" eine Strophe auf Italienisch, später tat es ihm die Neo-Austropop-Band Wanda gleich, die Amore zu ihrem Leitbild machte: "Wenn jemand fragt, wohin du gehst - sag: 'Nach Bologna'."

Im Fußball zeigt sich die Südwärts-Orientierung auch in der Rezeption von Sieg und Niederlage. Der österreichische Fan ist dem italienischen viel näher als dem deutschen, es geht um Extreme, um das steile Auf und Ab einer ganzen Nation bei Erfolg oder Misserfolg. Verliert die Nationalmannschaft, ist in Österreich "ois oasch", alles am Allerwertesten. Wenn sie hingegen gewinnt, ist es wurscht, ob der Sieg einer brillanten taktischen Idee oder einem Eigentor des Gegners geschuldet war.

Bei der EM fragt gerade niemand, ob das 0:2 gegen die Niederlande nicht Grund genug gewesen wäre, um jeder Euphorie einen Riegel vorzuschieben, weil Österreich gegen gute Gegner offenbar chancenlos ist. So wie die Italiener nach ihrer starken Gruppenphase glauben, der EM-Pokal sei schon auf dem Weg nach Rom, heißt es bei den Österreichern: Nordmazedonien besiegt, Ukraine besiegt, Achtelfinale - oida! Was vor dem Turnier war, ist erst mal vergessen. Dass der deutsche Teamchef Franco Foda in Schlagzeilen als "Trainer von gestern" galt? War gestern.

Beim bisher letzten relevanten Duell fanden Toni Polster und Andi Herzog keine Lücken in Italiens Defensive

Sogar Herbert Prohaska hat sich von der Euphorie anstecken lassen. Der "Schneckerl", wie Österreichs Jahrhundertfußballer liebevoll heißt, gibt derzeit auf allen Medienkanälen Auskunft. In seiner Hauptrolle als ORF-Experte hatte er das Wichtigste schon gesagt: Es gäbe bei jeder EM diese eine Mannschaft, die überraschen würde, und wer weiß, wie sich dieses Turnier noch entwickeln könne ... "Ich sag jetzt nicht, dass Österreich Europameister wird", präzisierte er nun in der Zeitung Standard, "aber vielleicht hauen wir ja die Italiener raus."

Prohaska kennt das Verhältnis zum südlichen Fußball-Nachbarn besser als jeder andere. 82 Spiele bestritt er einst für Inter Mailand und AS Rom, die meisten davon noch mit einem überaus kultigen Schnauzbart. Und beim bisher letzten relevanten Duell beider Länder war er ÖFB-Trainer: Bei der WM 1998, im Stade de France in Paris, schieden die Österreicher nach einem 1:2 im dritten Gruppenspiel aus, trotz Toni Polster und Andi Herzog in der Offensive fand man damals keine Lücke gegen Italiens Defensive. Und nun der nächste Versuch: Samstag, 21 Uhr, Wembley, wohin leider aus beiden Ländern kein Fans reisen dürfen. Die Italiener werden daher wohl in der Überzahl sein, etwa 300 000 leben im Vereinigten Königreich und könnten Tickets erwerben.

Musikalisch stimmt sich der Österreicher im Stadion am liebsten mit Fendrich ein: "I am from Austria", singen die Fans stets mit Inbrunst, danach kommt noch der Radetzkymarsch, die verkappte Bundeshymne, denn: Die echte vom "vielgerühmten Österreich" kann vom Pathos her nicht mithalten mit "Fratelli d'Italia" - auch da ist man ein bisserl neidisch.

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