Österreich im Achtelfinale der EM 2021:Ein bisserl viel Historie

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Ausnahmsweise außer sich: Österreichs Trainer Franco Foda genießt einen historischen Moment. (Foto: Marko Djurica/Reuters)

Franco Foda schickt Küsse in die Menge, Siegtorschütze Baumgartner bekommt einen Eintrag in die Geschichtsbücher. Österreichs Euphorie nach dem Achtelfinaleinzug ist groß - sportlich ist aber erst mal nur das Soll erfüllt.

Von Felix Haselsteiner, Bukarest/München

Es dauerte bis zur Pressekonferenz nach dem Spiel, erst dann saß da auf dem Podium wieder der Franco Foda, den man kennt. "Wir wollten Geschichte schreiben. Das haben wir getan", sagte Foda in seiner besonnenen Tonlage, die eigentlich immer dieselbe ist, egal ob seine österreichische Mannschaft in einem Freundschaftsspiel ein Unentschieden erspielt - oder eben Geschichte schreibt wie am Montagabend in Bukarest, wo die Österreicher zum ersten Mal die Gruppenphase einer Europameisterschaft überstanden.

Dabei hatte es kurz zuvor noch so ausgesehen, als wäre aus dem kühlen Ergebnismanager Foda, der in Österreich nicht nur für seinen Fußball, sondern auch für seinen Kommunikationsstil viel Kritik einstecken muss, ein anderer Mensch geworden. Nach dem Abpfiff brachen die Emotionen förmlich aus dem 55-Jährigen heraus, erst herzte er die Kamera mit einem ungläubigen Lachen, dann tanzte er über den gesamten Platz, Hand in Hand mit seinen Spielern, Jubel mit Marko Arnautovic. Schließlich schickte Foda auch noch Küsse in Richtung der österreichischen Fans.

Szenen wie diese hatte man kaum erwarten können vor dem Turnier - den sportlichen Erfolg des Achtelfinaleinzugs in einer Gruppe mit zwei Mannschaften wie Nordmazedonien und Ukraine auf der anderen Seite schon, von einem Kader, in dem der beste Spieler gerade vom FC Bayern zu Real Madrid gewechselt ist und der in der Breite so besetzt ist wie wohl noch nie eine österreichische Auswahl zuvor. Der Pfälzer Foda allerdings bremste mit seinem Ergebnisfußball die Euphorie, und auch während der ersten beiden Spiele wirkte das Team gehemmt und starr in einem System organisiert, das bei aller Vorsicht vergaß, die Stärken seiner Spieler zu betonen.

Verbesserte Taktik und die "Sohle von Bukarest" bringen den Österreichern die Führung

Was wirklich in der Mannschaft steckt, wurde erst in der ersten Halbzeit der Partie gegen die Ukraine sichtbar. Statt mit einer Fünferkette spielte Österreich diesmal in einer Viererkette mit David Alaba als Linksverteidiger und dem Hoffenheimer Florian Grillitsch in der Zentrale vor der Abwehr. Es war vor allem Grillitsch - später zum Mann des Spiels erklärt -, der mit seiner Ballkontrolle und seinem Mut zu Schnittstellenpässen das österreichische Spiel formte. Auf einmal traten diejenigen in den Fokus, die sich zuvor hatten zurückhalten müssen: Xaver Schlager und Konrad Laimer etwa stießen immer wieder nach vorne, Marcel Sabitzer genoss die defensive Ungebundenheit sichtlich und Christoph Baumgartner hatte auf einmal Freiräume. Es war letztendlich der rechte Fuß des 21-jährigen Baumgartner, der nach einem Alaba-Eckball in der 21. Minute das entscheidende 1:0 brachte, unkonventionell mit der Fußunterseite erzielt und daher sogleich als "Sohle von Bukarest" in die Geschichtsbücher eingetragen.

Baumgartner, kurz darauf nach einem Zusammenprall mit einer Kopfverletzung ausgewechselt, versuchte sich nach dem Spiel an einer Rede an die Nation: "Wir haben alle eine ganz schwere Zeit hinter uns gehabt mit dem ganzen Corona-Dreck. Genießt den Tag alle gemeinsam", sagte er. Man habe Geschichte geschrieben, aber "die Geschichte ist noch nicht vorbei". Das alles klang inmitten der österreichischen Euphorie fast schon ein wenig zu episch, erst recht wenn man den Sieg gegen die Ukraine noch mit dem Hinweis versieht, dass er am 43. Jahrestag des legendären Córdoba-Sieges gegen Deutschland (3:2) stattfand.

Alle auf einen: Österreich bejubelt seinen Torschützen Christoph Baumgartner. (Foto: Mihai Barbu/AP)

Doch es gibt gute Gründe, um die Euphorie zu bremsen in diesem Österreich, in dem Erfolge immer noch ein Stückchen mehr verklärt, ein bisserl geschichtsträchtiger und emotionaler gemacht werden, als es vielleicht gesund wäre. Die zweite Halbzeit etwa zeigte erneut das Problem von Foda, dem die Courage fehlte, gegen angeschlagene, müde und über 90 Minuten komplett ungefährliche Ukrainer den Offensivfußball der ersten Hälfte durchspielen zu lassen.

Anders als etwa Dänemarks Trainer Kasper Hjulmand, der bei Führung auch offensiv wechselt, setzte Foda auf die Absicherung des 1:0, Österreich wirkte dadurch wie ein Boxer, der seinem Kontrahenten nicht den entscheidenden K.o. versetzt, sondern auf einen Punktsieg hofft. Konterchancen spielte die Mannschaft ungenau und schwach aus, Arnautovic funktionierte im Sturm als Arbeiter, nicht aber als Torjäger. Es waren Schlager und Grillitsch, die das Problem nach dem Spiel ansprachen, Letzterer sagte: "Wahrscheinlich müssen wir in der zweiten Hälfte noch nachlegen und das 2:0 erzielen."

Dass die Österreicher den Achtelfinaleinzug nun als historische Leistung einordnen, spricht einmal mehr für den Hang zur großen Emotion, denn sportlich gesehen war er eher die Erfüllung eines realistischen Ziels. Wenn die Österreicher wirklich Geschichte schreiben wollen, wenn sie bei der EM 2021 die Mannschaft sein wollen, mit der keiner gerechnet hat, so wie es Experte Herbert Prohaska im ORF etwas übermütig prophezeite, dann bietet sich am Samstag in Wembley gegen den Turnierfavoriten Italien die passende Gelegenheit dafür.

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