Sie lieben ihre Statistiken im nordamerikanischen Sport. Unbestechlich, unmissverständlich zeigen sie an, was einer leistet und - setzt man es in Relation zum Gehalt, das in den Profiligen wegen der Obergrenzen für jeden einsehbar ist - wert ist für seinen Verein. Nimmt man also im Eishockey die erzielten Tore, liegt der Schluss nahe, dass Tim Stützle keine besonders gute Saison hinlegt. Sieben Treffer hat der Deutsche in bislang 33 Partien für die Ottawa Senators erzielt; am Dienstagabend blieb er während der 3:6-Niederlage bei den Vancouver Canucks erneut ohne Tor, also geht diese Rechnerei weiter: Mit 8,35 Millionen Dollar pro Jahr ist Stützle der am höchsten entlohnte Spieler in der Geschichte der Senators - die ihm deshalb - wenn man so will - 1,193 Millionen Dollar pro Tor zahlen.
Zum Vergleich: Connor Bedard, das 18 Jahre alte Mega-Talent der Chicago Blackhawks, hat in seiner ersten Profisaison schon 15 Treffer geschafft. Aufgrund seines Rookie-Vertrags (950 000 Dollar) sind das 63 333 Dollar pro Tor. Ja, sie rechnen bisweilen wirklich so im US-Sport, und vielleicht ist Stützle das perfekte Beispiel dafür, wie unsinnig das ist. Zahlen erzählen meist nur einen Teil der Geschichte - vor allem dann, wenn man wie in diesem Fall (ein kanadischer Sportsender hatte diese Millionen-pro-Treffer-Rechnung während der Niederlage in Vancouver präsentiert) Zahlen nimmt, die zur Geschichte passen, die man erzählen will: Läuft nicht bei den Senators, der Topverdiener trifft nicht.
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Eines stimmt natürlich: Stützle ist selbst nicht besonders erfreut über seine bisherige Ausbeute. Nach dem Siegtreffer in der Verlängerung gegen die Pittsburgh Penguins kurz vor Weihnachten (er hatte davor in sieben Spielen nicht getroffen) sagte er: "Ich wollte das auch ein bisschen erzwingen. Ich hatte ja in jedem Spiel meine Chancen." Er habe dann neue Dinge probiert, um den Puck endlich mal wieder ins Tor zu bugsieren: "Ich muss lernen, auf meine Stärken zu vertrauen. Jetzt in der Verlängerung habe ich mir gedacht: durch die Beine des Torhüters. Ich habe jedes Mal getroffen, wenn ich das in einer Situation wie dieser getan habe - keine Ahnung, warum ich das zuletzt habe bleiben lassen."
Für die Senators wird eine Playoff-Teilnahme in der NHL schwierig - gute Nachrichten für das deutsche Team bei der WM
Was auch stimmt: Stützle hat die ohnehin gewaltigen Erwartungen an ihn gesteigert aufgrund seiner rasanten Entwicklung in der NHL. Die Senators hatten ihn 2020 als dritten Akteur seines Jahrgangs in der Hoffnung gewählt, dass aus diesem großartigen Talent ein großartiger Profi werden würde.
Die ersten Spielzeiten waren derart überzeugend, dass die Entwicklungskurve auf einen Platz in den Statistiken deuteten, den pro Saison nur wenige Spieler erreichen, in der vergangenen lediglich elf: 100 Scorerpunkte. Die Zahlen von Stützle, die in diesem Fall die ganze Geschichte der Entwicklung bislang erzählen: 29 Punkte (zwölf Tore, 17 Zuspiele) in seiner ersten Saison, danach 58 (22/36) und 90 (39/51). Kein Wunder, dass viele erwarten, dass Stützle heuer an der 100er-Marke kratzen wird.
Das kann der 21-Jährige noch immer. In 33 Partien hat er bislang 34 Punkte gesammelt, am Dienstag war Stützle per Zuspiel an einem Treffer beteiligt. Das ist aber gar nicht so wichtig, glaubt man Jacques Martin, seit der Entlassung von D.J. Smith am 18. Dezember Interims-Chefcoach der Senators. "Tim ist ein ungeheuer guter Spieler, genau deshalb sind die Erwartungen so hoch - und oft misst man Erfolg oder Misserfolg nur an Scorerpunkten. Das ist aber nicht alles in unserem Sport", sagt der 71 Jahre alte Coach, der die Senators bereits von 1996 bis 2004 trainierte. Das Team habe viele junge Spieler mit herausragenden Fähigkeiten in der Offensive: "Unsere Aufgabe als Trainer ist es, diese Spieler besser darin zu machen, in allen Aspekten dieses Spiels zu glänzen; überall auf dem Eis und in Momenten, in denen es keine Punkte gibt."
Mit 3,4 Treffern pro Partie liegen die Senators auf Platz acht; sie haben jedoch die drittmeisten Gegentore kassiert. Deshalb haben sie die viertwenigsten Punkte aller NHL-Teams auf dem Konto, in der Eastern Conference liegen sie derzeit auf dem letzten Platz. Eine Playoff-Teilnahme wird schwierig - was bedeuten würde, dass Stützle dem deutschen Team bei der WM in Tschechien zur Verfügung stünde.
"Es braucht mehr für Siege als nur Scorerpunkte", sagt Interims-Chefcoach Jacques Martin
Martin bemüht einen ganz großen Vergleich, wenn er über die Entwicklung von Stützle redet: "Steve Yzerman hat bei den Detroit Red Wings andauernd 100-Punkte-Spielzeiten hingelegt, aber den Cup nicht gewonnen." Trainer Scotty Bowman habe gedroht, Yzerman 1995 zu den Senators zu schicken, sollte der nicht zu einem kompletten Spieler werden - also auch ein guter Verteidiger sein. Zwei Jahre später schaffte Yzerman "nur" 85 Punkte, holte aber mit Detroit den Cup. Ein Jahr später: 69 Punkte, aber wieder Stanley-Cup-Sieger. 2002 dann der dritte Titel seiner Karriere, mit 48 Punkten in der regulären Saison - aber mit dem ligaweiten Höchstwert in den Playoffs: 23 in 23 Spielen. "Es braucht mehr für Siege als nur Scorerpunkte, und deshalb will ich, dass unsere jungen Spieler abseits des Pucks besser werden."
Stützle spielt deshalb mitnichten eine schlechte Saison bei den Senators. Er entwickelt sich gerade in Bereichen, die vor allem im Eishockey kaum in Zahlen zu messen sind. Man muss Partien komplett angucken, um das zu verstehen. Nächste Gelegenheiten: Donnerstag bei Seattle Kraken, am Samstag bei den Edmonton Oilers mit Leon Draisaitl. Der Deutsche hat bislang 18 Treffer geschafft.