DFB-Präsident Fritz Keller:Wortbruch statt Aufbruch

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Fritz Keller war am Wochenende zu Gast im ZDF-Sportstudio. (Foto: imago images/Martin Hoffmann)
  • DFB-Präsident Fritz Keller zieht es nach SZ-Informationen ins Führungsgremium des Weltverbands Fifa.
  • Bei seiner Wahl hatte Keller noch das Gegenteil versprochen.
  • Blickt der DFB im Weltfußball überhaupt noch durch?

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Als Fritz Keller im vergangenen Herbst zum Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) aufstieg, tat er selbstlos einen Verzicht kund. Nein, er wolle nicht in die Leitgremien von Fifa und Uefa einrücken, teilte er mit, andere Kollegen sollten diese - fürstlich dotierten - Vorstandsämter im Welt- und im Europaverband besetzen. Gewaltenteilung! Das war das Thema der Stunde beim sich selbst reformierenden DFB.

Offenkundig ist der fromme Ansatz nur Monate später schon Makulatur. Fritz Keller, 62, zieht es ins Council der Fifa, das formal höchste Gremium des Weltfußballs. Nach SZ-Informationen hat er sein Interesse bereits bei Fifa-Boss Gianni Infantino vorgetragen, den er vorige Woche in Zürich besuchte, und auch bei Europas Fußball-Union Uefa in Nyon. Eine konkrete Anfrage, ob Keller dies getan habe oder nicht, ließ der DFB unbeantwortet. Er erklärte aber allgemein, Ziel und Anspruch des Verbandes sei es, in den höchsten Gremien von Fifa und Uefa vertreten zu sein. Wirbt Keller also nun um ein Amt, wäre dies ein Widerspruch in Hinblick auf die vollmundigen Ankündigungen, die seine Inthronisierung begleiteten. Zugleich würde es das Bild nur ergänzen, das der DFB unter Kellers Regie abgibt.

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Bei seiner Kür vor einem halben Jahr wurde Keller als Figur des Aufbruchs verkauft, der Verband steckte wieder mal tief in der Personalkrise. Amtsvorgänger Reinhard Grindel hatte abdanken müssen, weil aufgeflogen war, dass er eine Luxus-Uhr angenommen hatte. Ohnehin war sein autoritärer Führungsstil lange moniert worden. Als DFB-Chef besetzte er nach alter Sitte auch Vorstandssitze in Fifa und Uefa. Nach Grindel sollte die Macht verteilt werden, ein ganz anderer Typ Präsident sollte her. Am Ende eines monatelangen, strikt geheimen Findungsprozesses wurde Keller präsentiert - federführend ausgesucht vom mächtigen Amateur-Boss Rainer Koch und von Christian Seifert, dem smarten Chef der Deutschen Fußball-Liga und faktisch stärksten Mann im Betrieb.

Kellers denkwürdiger Auftritt im ZDF-Sportstudio

Keller, Präsident des Bundesligisten SC Freiburg, sollte der genügsame Neue sein, einer, der sich ganz aufs Präsidentenamt im DFB konzentrieren werde. Im Land gibt es genug zu tun, und der bodenständige badische Winzer wollte auch weiter die Bratwurst beim Amateurkick oder die Schorle im Stadion genießen. Ein neuer Chef. Eine neue DFB-Kultur?

Ein halbes Jahr danach ist von Auf- und Umbruch nichts mehr zu sehen. Rund um die Eskalation der Fanproblematik in der vergangenen Woche gab der DFB ein sehr schlechtes Bild ab. Und just Kellers Beiträge zu brisanten Gesellschaftsthemen, die den Fußball erschüttern, klangen weitgehend substanzfrei. Die Fans, die per Schmähbanner in Hoffenheim an einen DFB-Wortbruch erinnern wollten? Seien schlicht auf Zerstörung des Spiels aus. Rassismus? Da könnte sich auch mal das restliche Stadionpublikum gegen die Täter wenden. Frauen? Einfach mehr Verantwortung anstreben, appellierte Keller wacker im ZDF-Sportstudio. Es war ein denkwürdiger Auftritt, er bündelte die bisherige Außendarstellung des neuen Chefs. Da fügt sich ein, dass auch zur Sommermärchen-Affäre, die ab Montag vor dem Schweizer Bundesgericht verhandelt werden soll, nichts spürbar ist von der beschworenen neuen Transparenz.

Aber jetzt kümmern sich die Deutschen auch auf der internationalen Bühne ums Porzellan. Keller und Co. werfen die ursprüngliche Ansage über Bord, der DFB-Chef befasst sich mit seiner Fifa-Nominierung. Ein Funktionär, der erst im Herbst 2018 bei seinem SC Freiburg auf Repräsentativ-Aufgaben reduziert worden war, was ihm erkennbar Unmut bereitet hatte.

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Wortbruch statt Aufbruch: Ist das die neue, alte Losung? Wenn das so käme, würde die Frage auch diejenigen erreichen, die Keller so akribisch ausgewählt haben.

Bei der affärenbedingten Neuaufstellung im Herbst waren Gewaltenteilung und gegenseitige Kontrolle das Kernmotto der gebeutelten Funktionäre um DFB-Interimschef Rainer Koch, 61. Gerade für ihn, den eifrigen Kulissenschieber aus Bayern, der auch Grindels Königsmacher war, durfte beim zweiten Anlauf nichts schiefgehen. Außerdem hatte das mit der Gewaltenteilung auch für ihn einen aparten Nebeneffekt: Koch drängte sich jetzt für die internationalen Hochämter auf, die Grindel in Uefa und Fifa hinterließ.

Allerdings wurde von Anfang an deutlich, dass Koch kein Kandidat ist, der in die aufgewühlte Zeit passt. Zwar reist der Musterfunktionär gern und viel um die Welt, mit globaler Vernetzung hat das aber wenig zu tun. International schreitet gerade ein nie dagewesener Prozess der Spaltung zwischen Fifa und Uefa voran, angezettelt von Fifa-Boss Infantino, einem Autokraten mit rasant wachsender Skandalchronik. Über bizarre Geldversprechen und stille Deals im Risiko-Investment werkelt er an einer Superliga der weltbesten Klubs. Natürlich unterm Fifa-Dach; was Erdteilverbände wie die Uefa ihrer Einkünfte berauben würde und auch deshalb niemals funktionieren kann.

Aber der DFB sieht aktuell keinen evidenten Interessenskonflikt zwischen den Großverbänden.

Vorgänger Grindel kämpfte massiv für die Uefa-Interessen und gegen Infantino. Der stille Koch aber pflegt ein Faible für den Fifa-Boss, das auch in Funktionärskreisen früh auffällig wurde. Im kleinen Kreis schwärmt er vom Rückhalt, den Infantino genieße - als könne sich nicht jeder Fifa-Boss mit den Voten all der an seinem Finanztropf hängenden, sportlich irrelevanten Zwergstaaten schmücken.

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So entgeht den deutschen Harmonikern, dass Infantino den Bogen überspannt hat und in die Isolation abdriftet. Gerade erst blies er das Council-Meeting in Paraguay ab, Retourkutsche für Südamerikas Conmebol-Chef Alejandro Dominguez: Der kündigte ihm angesichts seiner Klub-WM-Pläne die Freundschaft auf und paktiert nun mit der Uefa. Und nur Uefa und Conmebol verfügen über die global attraktiven Klubs - ohne deren Mitwirken jedes Weltturnier wertlos ist.

Unklar ist, inwieweit Rainer Koch, der neue DFB-Außenminister, diese Entwicklungen durchschaut. Noch am Dienstag, beim Uefa-Kongress in Amsterdam, sah Koch seine Aufgabe darin, zwei heillos verfeindete Großverbände zu versöhnen. Als hätte der Quereinsteiger ein Gewicht in diesem Konflikt, und als ginge es da um einen Kameradenstreit. Es geht um Milliarden, um die Richtungskompetenz im größten Unterhaltungsgeschäft des Planeten.

In diesen Zeiten ist den Europäern Kochs Neigung zu Infantino eher suspekt. Und die Uefa ist es ja, die darüber entscheidet, wer ihre Interessen im Fifa-Vorstand vertritt. Schon im Vorjahr, als Grindels verwaister Council-Sitz rasch nachzubesetzen war, fiel die Wahl nicht auf Koch - sondern auf Noël Le Graët. Beim Kongress in Amsterdam wurde der Franzose nun im Amt bestätigt. Koch rückte wenigstens in den Uefa-Vorstand, das steht einem wichtigen Großverband wie dem DFB zu. Doch für die Fifa kam er nie in Frage.

In Amsterdam beginnt nun auch die Geschichte des nächsten deutschen Scheiterns. Weil es die Reihen gegen Infantinos Angriffe fest zu schließen gilt, wollte die Uefa dort beschließen, dass kein Funktionär mehr in beiden Vorständen sitzen dürfe. Das ist hilfreich gegen Interessenskonflikte - aber schlecht für die DFB-Pläne, Koch auch in die Fifa zu schieben. Der DFB stellte einen listigen Gegenantrag: Verbände sollten weiter in beiden Gremien sitzen dürfen; dann halt mit zwei Personen. Also mit Koch in der Uefa. Und mit Keller in der Fifa - oder mit wem sonst?

In Amsterdam stellte die Uefa die Beschlusslage zurück, bei der Exekutivsitzung im Mai soll darüber beraten werden. Aber die Stimmung kippt, nach SZ-Informationen haben die deutschen Geheimdiplomaten am Rande des Kongresses etwas zu viel für ihre Interessen lobbyiert. Irritiert wird in Verbandskreisen diskutiert, die DFB-Funktionäre hätten wichtige europäische Kollegen angesprochen, man könne doch diskret im Kreis der Großen gewisse "Taktiken" diskutieren. Das stieß auf Unverständnis. Auch das dementiert der DFB auf konkrete Anfrage nicht, ausweichend erzählt er etwas vom "Dialog zwischen Nationalverbänden", von formalisierten Abkommen etc. So haftet den DFB-Frischlingen Koch und Keller, kaum aufgetaucht auf der internationalen Bühne, bereits der Makel der Illoyalität an. Und da kann nicht mal Infantino helfen.

Wie fragwürdig es ist, nahe an den Fifa-Boss heranzurücken, zeigt gerade in allen Facetten der WM-2006-Strafprozess, der am Montag in Bellinzona beginnen soll. Der entwickelt sich zur Farce, insbesondere wegen Infantinos Geheimtreffen mit dem Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber. Dass und wie der Fifa-Boss im eigenen Interesse sogar die Justiz hintertreibt, ist jetzt aktenkundig. Sollten nicht gerade Funktionäre eines Großverbands, der Sonderrechte einfordert, solche Verhaltensweisen bei der eigens dafür geschaffenen Stelle anzeigen: dem Ethikkomitee? Aber so sind die Deutschen nicht. Mit der eigenen Bedeutung wird nur gewuchert, wenn es um Ämter geht. Geht es um Verantwortung, ist man nur kollegiales Rädchen im Betrieb, auf Sichthöhe mit Tuvalu.

Noch hat der neue DFB zu zeigen, was ihn vom alten unterscheidet.

© SZ vom 07.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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