WM-2006-Affäre:Show-Prozess zum Sommermärchen

WM-2006-Affäre: Der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger zählt in der WM-Affäre zu den vier Beschuldigten.

Der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger zählt in der WM-Affäre zu den vier Beschuldigten.

(Foto: imago)
  • In der WM-2006-Affäre steht in der Schweiz ein skurriles Verfahren bevor, es beginnt am 9. März.
  • Mindestens ein Beschuldigter kommt nicht, der DFB pflegt sein altes Muster.
  • "Glaubt das Gericht tatsächlich, ich würde nach zwei Augenoperationen 700 Kilometer in die Schweiz reisen?", sagt Theo Zwanziger der SZ.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

In Kürze sollte Theo Zwanziger nach Bellinzona reisen. Am 9. März beginnt am Schweizer Bundesstrafgericht im Tessin der Prozess zum Sommermärchen, der Millionen-Verschieberei um die Fußball-WM 2006, und der frühere Präsident des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) ist einer von vier Beschuldigten. Doch es sieht nicht so aus, als würde er fahren. Aus gesundheitlichen Gründen. Zwanziger hat zwei Augenoperationen hinter sich, seine Ärzte halten ihn für nicht reisefähig. Er will dies aber noch durch einen Amtsarzt bewerten lassen.

"Glaubt das Gericht tatsächlich, ich würde nach zwei Augenoperationen 700 Kilometer in die Schweiz reisen, in ein Gebiet, wo der Coronavirus vor der Tür steht?", sagt Zwanziger der SZ. Ihm ist zwar schon im Herbst freies Geleit zugesichert worden, aber nun sagt er: "Warum sollte ich gegen den Rat der Ärzte meine Gesundheit aufs Spiel setzen, nur um einer Justiz zu gefallen, die sich mit riesigem finanziellen Aufwand zum Herrscher über das deutsche Strafsystem aufspielt, indem sie Handlungen in Deutschland bewerten und den angeblich geschädigten DFB schützen will?"

Ein Prozess mit dünn besuchter oder gar mit leerer Anklagebank?

Und Zwanziger wird wohl nicht als einziger Beschuldigter fehlen. Die Anwältin des früheren DFB-Chefs Wolfgang Niersbach will sich zur Frage, ob ihr Mandant am Prozess sicher teilnehme, nicht äußern. Der Anwalt von Horst R. Schmidt erklärt, der frühere DFB-Generalsekretär käme, falls es seine Gesundheit zulasse. Ein Prozess mit dünn besuchter oder gar mit leerer Anklagebank: Das wäre das perfekte Schlussbild für ein äußerst seltsames Verfahren der Schweizer Justiz.

Dabei versprach sich die Öffentlichkeit sehr viel von ihr, als im Herbst 2015 die Staatsaffäre um die dunklen Millionenflüsse aufflog. Doch die Zeit verstrich, und die Bundesanwaltschaft (BA) machte nicht mit Ermittlungserfolgen, sondern mit eigenen Affären im Fußballkontext Schlagzeilen. Der selbstgewisse Behördenchef Michael Lauber musste von diesem Bereich gar suspendiert werden. Und längst ist klar: Das große Millionen-Geheimnis des deutschen Fußballs wird sich in Bellinzona nicht auflösen. Offenbar drängte es niemanden wirklich danach, das Mysterium aufzulösen, von der BA bis zu den Spitzen des Weltverbandes Fifa und des DFB.

Der Prozess in Bellinzona ist eher ein Show-Prozess.

Beckenbauer, Blatter und Netzer sollen Zeugen sein

Zum Kern des Problems gehört, dass die Schlüsselfiguren gar nicht vor Gericht stehen. Beschuldigt sind nur die Altfunktionäre Zwanziger, 74, Niersbach, 69, und Schmidt, 78, dazu der ehemalige Fifa-General Urs Linsi, 70. Sie sollen dem DFB geschadet haben, als im April 2005 vom DFB 6,7 Millionen Euro an die Fifa und von dort weiter an den Adidas-Eigner Robert Louis-Dreyfus flossen; die Vier weisen den Vorwurf zurück. Die Zahlung war nur die Tilgung eines Kredits - und dieser Kredit und sein bis heute ungeklärter Verwendungszweck sind der Kern des Skandals.

Louis-Dreyfus hatte dem deutschen WM-Chef Franz Beckenbauer 2002 zehn Millionen Franken geliehen, sie landeten in Katar bei dem Fifa-Funktionär Mohammed bin Hammam. Doch um die drei Zentralfiguren geht es gar nicht in Bellinzona. Louis-Dreyfus ist tot. Das Verfahren gegen Kreditnehmer Beckenbauer, der Fehlverhalten ebenfalls bestreitet, wurde wegen dessen Gesundheitszustands abgetrennt und ist quasi erledigt. Er soll nur Zeuge sein, wie Ex-Fifa-Boss Sepp Blatter und der Dreyfus-Vertraute Günter Netzer. Und Bin Hammam? Wurde trotz des angeblich tollen Verhältnisses zwischen den Behörden der Schweiz und Katars nicht mal vernommen und sitzt entspannt in Doha.

Dabei ist er der Schlüsselzeuge. Er bekam damals die zehn Millionen Franken; er weiß, wofür und wie es damit weiterging. Hier kommen die aktuellen Spitzen von Fifa und DFB ins Spiel. Beim Weltverband unter Infantino ist Geheimniskrämerei ohnehin Standard, doch obskur verhält sich nun auch der DFB; trotz der angeblich neuen Transparenz unter dem seit Herbst amtierenden Präsidenten Fritz Keller.

Vor dem Prozess besuchte DFB-Präsident Keller Fifa-Boss Infantino

Beide Verbände beteuern unentwegt, alles für die Aufklärung der Sache zu tun. Aber beide hätten perfekte Druckmittel. Die Fifa hat ja die WM 2022 in Katar. Auch traf ihr Boss Gianni Infantino über die Jahre immer wieder heimlich den BA-Chef Lauber: Hätte man Katars Sturheit nicht mit Sanktionen im Kontext der WM 2022 ahnden können? Der DFB wiederum wagt sich nicht an den obersten Geheimnisträger Beckenbauer. Und er schloss sogar einen bemerkenswerten Vertrag mit seinem Ex-Präsidenten Zwanziger. Darin erklärte sich dieser unter anderem bereit, eine Schadenersatzklage gegen den DFB zurückzuziehen. Im Gegenzug erhielt er fast 12 500 Euro, und die Zusage, der DFB werde bei der Fifa-Spitze auf Bin Hammams Einvernahme drängen. Explizit wurde die WM 2022 als möglicher Hebel genannt.

Doch auf konkrete Nachfragen zu dieser Übereinkunft und wie er mit der Zusage zu Bin Hammam umging, weicht der DFB aus: Er beziehe zum laufenden Verfahren keine Stellung. Das Gleiche gilt für einen besonders bemerkenswerten Vorgang: Am Mittwoch besuchte DFB-Präsident Keller den Fifa-Chef Infantino in Zürich. Das gemeinsame Foto zeigt strahlende Gesichter beim engen Händedruck. Das wirkte nicht nur irritierend, weil Infantino gerade rigoros spalterisch gegen die Interessen des europäischen Fußballs vorgeht. Es irritiert auch mit Blick auf den Prozess.

Denn dort sind beide, Fifa und DFB, Privatkläger. Sie betrachten sich als womöglich geschädigte Organisation, je nach Urteil können sie Kompensation von den Beschuldigten verlangen. Schweizer Juristen registrieren verdutzt, dass sich die Top-Repräsentanten zweier Prozessparteien kurz vor der Eröffnung so herzlich verbunden auf die Bühne stellen. Ging es beim Treff in Zürich auch um die Privatklägerschaft? Der DFB, der so gern von seiner neuen Transparenz redet, sagt auch dazu nichts.

Statt die Vorgänge von 2002 ernsthaft aufzuklären, hat es die Bundesanwaltschaft allen Beteiligten bequem gemacht. "Die Anklageschrift ist merkwürdig, weil sie entscheidende Fragen offen lässt", rügt der Schweizer Korruptionsexperte Mark Pieth. Er kennt das Metier, er war früher Chef einer Fifa-Reformgruppe. Sein Resümee zur Anklage: "Sie greift sehr kurz!"

Eine perfekte, zugleich absurde Erklärung

In der Tat. Zum Zweck der zehn Millionen hält die Bundesanwaltschaft nur lapidar fest, dieser sei nicht zweifelsfrei feststellbar. Und so können sich die Beteiligten jetzt locker an den bizarren Vortrag Beckenbauers anhängen: Die Millionen, behauptet der damalige WM-Chef, hätten fließen müssen, um von der Fifa 250 Millionen Franken Organisationszuschuss zu bekommen. Dass das nicht stimmen kann, liegt auf der Hand und wird auch von Fifa-Seite strikt bestritten. Tatsächlich lag zum Zeitpunkt, als der Kredit von Louis-Dreyfus floss, sogar die erste Rate des Fifa-Zuschusses auf dem deutschen WM-Konto.

Für die meisten Beteiligten, auch für den DFB, ist das aber die bequemste Version: Wäre es so gewesen, hätte der Geldfluss mit der WM zu tun gehabt, und die Rückzahlung 2005 wäre als Betriebsausgabe korrekt abgesetzt worden. Das ist wichtig für den Verband, weil das deutsche Finanzamt das anders sieht und 19 Millionen Euro zusätzliche Steuern forderte. Eine perfekte, zugleich absurde Erklärung.

Absurd ist sie, weil viele massive Hinweise auf den wahren Deal vorliegen. Gebündelt sind sie in der internen Notiz von Louis-Dreyfus' damaliger Bankberaterin: Sie hielt als Verwendungszweck des Kredits fest, der Kunde habe einem Geschäftsfreund namens "F.B." zehn Millionen Franken für den Erwerb von TV-Rechten aus dem Nachlass der Kirch-Gruppe geliehen.

Die legendäre Kirch-Gruppe war damals, 2002, pleitegegangen, und aus ihren Trümmern entstand gerade die Firma Infront, die das Filetstück erhielt: die TV-Rechte an den WM-Turnieren 2006 und 2010. Unter den neuen Besitzern: Louis-Dreyfus sowie der arabische Scheich Kamel, ein enger Geschäftsfreund Bin Hammams. Später floss in diesem Dreieck sogar nachweislich Geld an Beckenbauer und dessen Schattenmann Fedor Radmann. Erst 1,7 Millionen Euro aus Katar, 2007 nochmal 5,4 Millionen von Louis-Dreyfus - ganz kurz, bevor der Scheich und Bin Hammam bei Infront mit Millionengewinnen wieder ausstiegen.

Hier liegt der Ansatz zur Aufklärung des Mysteriums. Na und? Das Gericht wird sich nicht ums heikle Rechtethema kümmern, sondern nur um die Rückzahlung. Und prozessuale Fragen erörtern wie die, ob die Schweiz überhaupt zuständig ist.

Was die Absenz von Beschuldigten angeht, hat das Gericht zwei Möglichkeiten. Hält es die Abwesenheitsgründe für nicht glaubhaft, wird die Hauptverhandlung trotzdem durchgezogen. Oder es erkennt die Atteste an, dann können die Verfahren abgetrennt werden und rasch beendet sein. Die Schweizer Strafermittler haben sich durch ihre merkwürdig schleppende Arbeitsweise seit Herbst 2015 selbst unter Druck gesetzt: Die ganze Chose verjährt, wenn bis zum 27. April kein Urteil vorliegt. Dann ist die Akte Sommermärchen zu.

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