DFB-Pokal:Ein Erfolg auf vermintem Gebiet

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Instruktionen vom Trainer: Wolfgang Sandhowe (Mitte) beim Training mit den Spielern von TuS Makkabi Berlin. (Foto: Ciarán Fahey/AP)

Vor ein paar Jahren noch suchte TuS Makkabi Berlin "nach einem Platz in der Gesellschaft und einem Platz zum Fußballspielen". Nun trifft er im DFB-Pokal auf den VfL Wolfsburg - ein Meilenstein in der Geschichte des jüdischen Klubs.

Von Javier Cáceres, Berlin

Am Montag poppte in einer Whatsapp-Gruppe des TuS Makkabi Berlin ein Schwarz-Weiß-Foto aus dem Jahr 1937 auf, das Michael Koblenz, wie er später sagen sollte, fast zu Tränen rührte. Es zeigt die Mitglieder zweier Fußballmannschaften, die für den Fotografen bunt vermengt posiert hatten: von Makkabis Vorgängerverein Bar Kochba einerseits und von einem Team aus dem heutigen Israel, das in die deutsche Hauptstadt gereist war, andererseits.

Koblenz, 48, schiebt das Handy über den Tisch und liest die Sätze vor, die er schrieb, ehe er das Bild weiterleitete: dass viele auf dem Bild das Jahr 1945 nicht mehr erlebt haben werden. Und ein programmatisches Versprechen: "Unter anderem für diese Jungs machen wir das."

Koblenz, Sportdirektor beim TuS Makkabi Berlin, sitzt in einem Café in Charlottenburg. Es ist, als er das Foto zeigt, noch gar nicht so lange her, dass er von der historischen Dimension der Partie sprach, die am Sonntag im Mommsenstadion steigen wird.

Historisch?

Oh ja.

Der Turn- und Sportverein Makkabi Berlin hat im Juni gegen den SV Sparta Lichtenberg erstmals den Berliner Landespokal gewonnen und damit, ebenfalls eine Premiere in der Vereinsgeschichte, die erste Runde des DFB-Pokals erreicht; ein Umstand, den sich die Makkabäer mit der TSG Balingen teilen (die auf den VfB Stuttgart trifft). Das Sportliche ist das eine. Das andere: Makkabi ist eben auch der erste jüdische Klub, der am DFB-Pokal teilnimmt, seit dieser 1935 gegründet wurde. Und weil der Fußballgott, um den spanischen Schriftsteller Luca de Tena zu paraphrasieren, Paarungen mitunter auf krummen Linien schreibt, wurde Makkabi gegen den Bundesligisten VfL Wolfsburg gelost.

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"90 Jahre nachdem der Vorgängerklub (Makkabis) von den Nazis ins Visier genommen wurde und Wolfsburg von Hitler erst möglich gemacht wurde", wie die auflagenstarke Gratiszeitung Israel Hayom kurz nach der Auslosung schrieb und dabei nicht weiter erwähnen musste, dass der deutsche Vernichtungsfeldzug im Zweiten Weltkrieg und die Shoah auch durch die deutsche Großindustrie erst möglich wurde. Makkabis Manager Ilja Gop winkt ab. Im übertragenen Sinne zumindest. Weil doch die Zeiten, da es in Israel verpönt war, deutsche Autos zu fahren oder deutsche Küchenmaschinen zu benutzen, Jahrzehnte zurücklägen und Daniel Barenboim sogar Wagner in Israel aufgeführt habe, argumentiert er.

Aber es sei halt, wie es ist: "Die deutsche Geschichte ist ein vermintes Gebiet, auch wenn viele Blindgänger entschärft sind." Ein paar Blüten, die befremdlich wirkten, fördert der Umgang mit der Geschichte noch immer zutage. Die Frage etwa, die ihm immer wieder einmal von Journalisten gestellt worden sei: warum es eigentlich eines jüdischen Vereins bedürfe. Er wisse nicht, sagt Gop, ob Vertreter kroatischer Vereine oder türkischer Vereine die gleiche Frage gestellt bekämen. Und er sagt, dass die Frage in seinen Ohren "ein bisschen so klingt wie: Wir vergasen euch seit 80 Jahren nicht mehr, ihr dürft mit uns auf der Bank sitzen, wir sind doch nett zu euch, was braucht ihr da einen eigenen Verein?"

Makkabi ruft der deutschen Gesellschaft eine gute Nachricht zu: "Wir planen langfristig!"

Und ja doch! Man sei in Deutschland nett zu ihnen, ruft Gop, man fühle sich wohl und umgeben von Menschen, die ihnen, durch Rat und Tat erkennbar, wohlgesonnen seien. Von vielen Demokraten. Bei Fußballspielen erlebten sie nur selten antisemitische Vorfälle, "wir werden freundlich begrüßt und freundlich verabschiedet", sagt Gop. Doch daran, dass sie durch ihren Pokalsieg einen Meilenstein erreicht haben, der tief in die Geschichte zurückdenken lässt, ist nicht zu rütteln.

"Dass wir in einem Land, in dem unsere Vorfahren ausgelöscht werden sollten, einen solchen Erfolg feiern und sagen können: Wir sind da! Wir verstecken uns nicht! Wir sind vital!, das hat für uns eine große emotionale Bedeutung", erklärt wiederum Michael Koblenz. Und das, so schreibt der Präsident von Makkabi Deutschland, Alon Meyer, in der Jüdischen Allgemeinen, sei "angesichts der Ausgrenzung, des Verbots und der Verfolgung jüdischer Sportlerinnen und Sportler und Sportvereine zwischen 1933 und 1945 und dem grausamen Menschheitsverbrechen der Schoa wahrlich ein Wunder".

Rund 550 Mitglieder zählt der TuS Makkabi Berlin zurzeit; es ist ein Sportklub, der Basketball, Rhythmische Sportgymnastik, Schach, Sportschießen, Tischtennis und eben Fußball betreibt. Die Hoffnung ist, dass die Aufmerksamkeit, die der DFB-Pokal erzeugt, die Vitalität noch einmal stärkt, Jugendliche anzieht. Zurzeit hat der Klub neun Jugendmannschaften - und eben ein erstes Herrenteam, das Spieler auf Minijob-Basis beschäftigt, die von einem Aufstieg in die Regionalliga träumen. Den Sprung hätten sie fast schon in der vergangenen Saison geschafft: Als Aufsteiger in die Oberliga, unter dem 70-jährigen Trainer Wolfgang Sandhowe, wurden sie auf Anhieb Dritter. Und das alles ist auch deshalb enorm, weil Makkabi vor ein paar Jahren noch ein Verein war, der "einen Platz in der Gesellschaft und einen Platz zum Fußballspielen suchte", erklärt Gop.

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Mittlerweile hat man das Schlüsselrecht der Sportanlage, die nach Julius Hirsch benannt ist - einem in Auschwitz ermordeten deutschen Nationalspieler - und die man sich mit dem SC Charlottenburg und Tennis Borussia Berlin teilt. Ob sie nicht nur einen Platz zum Spielen, sondern auch ihren Platz in der Gesellschaft gefunden haben? Gop macht eine Pause, die so lang ist, dass er selbst sie nach einer Weile "dramatisch" nennt. Alle müssten in einer Gesellschaft nach ihrem Platz suchen, sagt er. Überall.

Aber ja: Im Verein diskutiere man häufig darüber, ob man sich als deutsche Juden oder als Juden in Deutschland verstehe; er persönlich glaube, dass die Mehrheit dazu neige, sich als Juden in Deutschland zu sehen. Denn es wiegt noch immer schwer, dass viele Juden im Jahre 1933 dem Irrglauben erlagen, dass ein Eisernes Kreuz, erworben im Ersten Weltkrieg, sie vor der Verfolgung schützen würde. Allein Bar Kochba habe im Berlin der 1920er-Jahre bis zu 40 000 Vereinsmitglieder gehabt, sagt Koblenz. Heute reicht die Zahl der jüdischen Gemeinschaft in Berlin an diese Zahl nicht einmal heran, wenn man die israelischen Einwanderer hinzuzählt. Und Makkabi selbst? Ist, wenn man so will, eine Gesellschaft, die Platz bietet - natürlich auch Nichtjuden, 80 Prozent der Mitglieder verstehen sich als säkular. Trainer Sandhowe schwärmt von einer "Multikulti-Truppe" mit Spielern aus mehr als einem Dutzend Nationen. Auch ein Moslem spielt mit. Und zwei Spieler jüdischen Glaubens.

Die Partie soll in Israel live im TV gezeigt werden

Doch um auf den VfL Wolfsburg zurückzukommen: Es sei ein Segen gewesen, dass ihnen der - nach Kriegsende gegründete - Bundesligist als Gegner zugelost wurde, betonen Koblenz und Gop. Die Wolfsburger hätten ihnen, wie eine Reihe von lokalen Unternehmern, auf nachgerade rührende Weise Unterstützung zukommen lassen, vor allem logistisch, beim Ticketing. Das Pokal-Los verschaffte Makkabi nicht nur Aufmerksamkeit - die Partie soll in Israel live im TV gezeigt werden -, sondern stellte Aufgaben, für die der Verein nicht gewappnet war. Wobei es erfrischend gewesen sei, sagt Koblenz, dass man wegen sportlicher Resultate Aufmerksamkeit auf sich gezogen habe - und nicht nur als Abgabestelle für Stellungnahmen zu den jüngsten antisemitischen Vorfällen im Berliner Fußball, die es ja auch gibt und die in der letzten Zeit vor allem von islamischen Tätern verübt wurden. "Es kam ja kaum einmal vor, dass wir wegen unseres Fußballs Anrufe bekamen", sagt Koblenz.

Vielleicht ändere sich das, wenn man sich durch weitere Erfolge etabliere, endgültig. Was ein Ziel ist, das nicht nur sportliche Effekte zeitigen würde. Er halte es mit Alan M. Dershowitz, sagt Gop: "Das beste Mittel gegen Antisemitismus sind Juden", denn "Vorurteile kann man besser pflegen, wenn man den anderen nicht kennt". So gesehen gehe von Makkabi eine gute Botschaft an die Gesellschaft aus, sagt Manager Ilja Gop: "Wir planen langfristig."

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