San Siro in Mailand:Bis in alle Ewigkeit

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Fußballtempel aus dem Jahr 1926: Massiv und futuristisch mutet das Mailänder San-Siro-Stadion heute noch an. (Foto: Daniela Porcelli/SPP/Imago)

Die Mailänder Fußball-Klubs Inter und Milan hätten das legendäre San-Siro-Stadion gerne modernisiert. Doch die Denkmalschutzbehörde ist dagegen, weshalb dem Bauwerk nun vor allem eines droht: unbenutzt in der Gegend rumzustehen.

Von Thomas Hürner

Weil es im Folgenden um einen historischen Ort geht, um kulturelle Relevanz, die mitunter in Spiritualität übergeht, dürften auch mal Schriftsteller die Lage erklären. So handhaben sie das jedenfalls in Italien, und natürlich spielt da das berühmte Bonmot von Giovanni de Lampedusa eine Rolle: Manchmal, heißt es in seinem Roman "Il gattopardo", müsse sich alles ändern, damit alles beim Alten bleibt. Selten schien der Satz besser zu passen als zu den jüngsten Debatten um das San Siro, das monumentale und geschichtsträchtige Stadion, das im gleichnamigen Stadtteil Mailands steht: 76 000 Zuschauer haben Platz, erbaut wurde es im Jahr 1926.

Wobei, könnte Kafka nicht auch Erhellendes in der Sache beitragen? Der behauptete einmal, die "Fesseln der gequälten Menschheit" seien aus "Kanzleipapier". Nein, Kafka war kein Freund der Bürokratie - und man darf davon ausgehen, dass die Mailänder Klubs Inter und AC auch Vorbehalte haben zu jenen trägen Beamtenkommissionen, an denen bisweilen der Fortschritt scheitert.

San Siro ist ein architektonisches Kulturerbe, aber wie lange noch?

Immerhin, das langjährige Warten der Vereine hat am Dienstag ein vorläufiges Ende genommen. Denn da kam die Denkmalschutzbehörde der Region Lombardei zu dem Urteil, dass das Stadion ein architektonisches Kulturerbe ist, eine Einschätzung, gegen die sich grundsätzlich nichts einwenden lässt. Doch der Teufel steckt im Detail. Denn unter Denkmalschutz wurde ausgerechnet der zweite Oberrang gesetzt, der rund ums gesamte Stadion verläuft, was mit Blick auf die Zukunft des San Siro von enormer Bedeutung ist: Eine Modernisierung der Arena, die von Inter und Milan viele Jahre vorangetrieben worden war, mit Projektplänen aus renommierten Architekturbüros, ist damit obsolet geworden. Alles für die Tonne, auf einen Schlag. Am zweiten Oberrang lässt sich nicht vorbei bauen. San Siro soll jene Gestalt behalten, die es seit der Runderneuerung zur WM 1990 hat - womöglich bis in alle Ewigkeit.

Die Nachricht erzeugte nicht nur Freude bei Fußball-Hipstern in den sozialen Netzwerken, sondern auch Parteimitgliedern der rechten Lega Nord: Die hatten gewarnt, dass andernfalls der Fußball in der Stadt "getötet" werde. Gemeinsam mit weiteren Rückwärtsgewandten haben sie Stimmung gegen jegliche Umbauten gemacht - und der Mailänder Bürgermeister Giuseppe Sala, einst Befürworter einer Modernisierung, hat sich vor ihnen hertreiben lassen. Mit Fußball lässt sich in Italien eben Politik machen, das war schon so, als sich Silvio Berlusconi als Minister- und Milan-Präsident von den Rängen feiern ließ. Nur: Mit Nostalgie lässt sich kein Geld verdienen - und weil die Vereine das wissen, ist davon auszugehen, dass sich der Populismus gegen seine Schöpfer wendet. Frei nach Lampedusa: San Siro wird in der Gegend rumstehen, wie gehabt - nur halt ohne Mannschaften, die darin Fußball spielen.

Dabei war es die bevorzugte Zukunftsvision von Inter und Milan, in einem aufgepäppelten San Siro zu verbleiben, deswegen ja auch die in Auftrag gegebenen Modellprojekte für eine Multifunktionsarena in den alten Gemäuern. 70 000 Zuschauer hätten Platz gehabt, auch der heute übliche Kommerz hätte Einzug erhalten. Auf die charakteristische Architektur wäre aber Rücksicht genommen worden: Die mächtige Rampe hoch zum zweiten Tribünenring hätte bleiben sollen, dazu zwei der vier runden, 60 Meter hohen Türme. Den Beamten der Stadt Mailand jedenfalls gefiel das Vorhaben, sie fanden, der Geist des San Siro wäre so weit bewahrt worden, wie das eben möglich ist. Ihre Kollegen aus der Regionalbehörde sahen das jetzt anders. Unter Einflussnahme der Politik? Darüber wird zumindest spekuliert.

Inter und Milan haben längst alternative Stadionprojekte entwickelt

Bei Inter und Milan zeigte man sich verstimmt ob des Entscheids, immerhin hat man sich ewig auf die Folter spannen lassen, obwohl ursprünglich 2026 der Einzug geplant war. Überrascht war man aber nicht: Die Vereine haben sich längst anderswo umgesehen; Inter steht vor eine Aussiedlung in die benachbarte Gemeinde Rozzano, Milan möchte ein Stadion im Stadtteil San Donato bauen. Erste Gespräche mit Kommunen und Bauherren verliefen positiv, geplant sind jeweils hochmoderne Arenen mit einer Kapazität für circa 70 000 Zuschauer.

Die Wege der beiden Klubs dürften sich damit trennen, zum ersten Mal seit den 1930er-Jahren, doch die gewonnene Einsicht ist dieselbe: San Siro mag einen unvergleichlichen Charme besitzen, es bietet aber keine Barrierefreiheit, die Sanitäranlagen sind heruntergekommen, und der dritte Oberrang musste aus Sicherheitsgründen schon gesperrt werden. Und weil es überdies zu wenig Plätze aus dem Hochpreissegment gibt, hinken die Einnahmen im Vergleich zur internationalen Konkurrenz teils deutlich hinterher.

Umbau oder Auszug, das waren daher die Alternativen: Inter und Milan, so klagen die Klubverantwortlichen, werden sich nun für Letzteres entscheiden, weil die Bürokraten ihnen keine Wahl gelassen haben. Anders etwa als in Barcelona oder Madrid, wo altehrwürdige Spielstätten auf den modernsten Stand gebracht werden, damit es dort weitergehen kann mit dem Fußball. Der Unterhalt des San Siro kostet die Stadt Mailand dagegen nun etwa zehn Millionen Euro im Jahr. Kein Wunder, dass jetzt alternative Nutzungsmöglichkeiten diskutiert werden: Rugby? Noch mehr Konzerte? Nur: Ob Beyoncé oder die Rolling Stones noch ins San Siro kommen, wenn etwas außerhalb neue Arenen entstehen?

Mancher Mailänder witzelt bereits, San Siro stehe dasselbe Schicksal wie dem Colosseum in Rom bevor: Einst Ort legendärer Schlachten, dann lange ohne Nutzen - und 2000 Jahre später kommen dann die Touristen, um sich von der Aura der Ruinen bezirzen zu lassen.

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