Karriereende von Buffon:Gesamtkunstwerk zwischen den Pfosten

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Man kann es kaum glauben, aber er hört tatsächlich auf: Gianluigi Buffon, 45, hier im Trikot von Juventus Turin. (Foto: John Walton/dpa)

Gianluigi Buffon beendet seine Laufbahn, nach fast drei Dekaden im Tor. Seinen größten Erfolg feierte der heute 45-Jährige in Berlin - seinen größten Fauxpas beging er, als er sich die "88" als Rückennummer wünschte.

Von Thomas Hürner

Wo beginnen, wenn er jetzt wirklich aufhört? Möglichkeiten gibt es einige. Bei all den Trophäen etwa, die er während seiner so langen wie beachtlichen Fußballerkarriere gewonnen hat: elf Meisterschaften, davon acht in Serie, ein Uefa-Cup als Jüngling, dazu natürlich der bedeutsamste aller Titel, die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Nur in der Champions League hat er nie triumphiert. Ein Makel, gewiss. Dafür war er fünf Mal Welttorhüter, bis heute ist er Rekordnationalspieler seines Landes, mit 40 Partien Vorsprung vor dem Zweitplatzierten. 974 Minuten ohne Gegentor hat er mal geschafft, bis heute Rekord in Italiens Serie A. Der Zweitplatzierte in dieser Kategorie: natürlich er selbst.

Die Italiener sind nicht gerade zurückhaltend, wenn es um Spitznamen für ihre Heroen auf dem Fußballplatz geht, aber für Anglizismen haben sie in der Regel wenig übrig. In diesem speziellen Fall haben sie eine Ausnahme gemacht, der semantischen Präzision wegen: Superman, so wurde Gianluigi Buffon auch genannt, doch am liebsten war er einfach nur Gigi.

Dieser Gigi jedenfalls, man mag es kaum glauben, hört tatsächlich auf mit dem Fußballspielen: im Alter von 45 Jahren, nach fast drei Dekaden als Gesamtkunstwerk zwischen den Pfosten. Und wenn die Eingangsfrage schon davon handelte, wo eine Würdigung dieser Karriere beginnen muss, dann sollte der Blick zuerst dahin gerichtet werden, wo sie endet: in Parma, wo Buffon anfing mit dem professionellen Bällefangen. Sein Berater verhandelt aktuell über eine Auflösung des bis 2024 datierten Vertrags.

Buffon brach Rekorde, aber ein obsessiver Rekordjäger war er nicht

Damals, Mitte der Neunzigerjahre, waren das noch gloriose Zeiten im Calcio und beim Klub aus der Emilia-Romagna: Buffon war das Fundament einer bis heute mythischen Parma-Elf, trainiert vom Offensivdenker Alberto Malesani. Und nun, auf seinen letzten Karrieremetern, da hütete Buffon erneut das Tor der Gialloblu: Der Verein hatte zwischenzeitlich eine Insolvenz hinter sich und spielte nur noch in der Serie B, der zweiten Liga Italiens. Doch Buffon ging es längst nicht mehr um Glorie, er verzichtete auf so einige Petrodollars in den bekannten Rentnerligen. Auch das, typisch: Buffon, geboren in Carrara an der Küste der Toskana, war stets heimatverbunden - selbst dann, wenn es "nur" um seine Wahlheimaten ging.

Und obgleich er so einige Rekorde brach, ein obsessiver Rekordjäger war er nie. Buffon war ehrgeizig und diszipliniert, natürlich, anders hält ja keiner so lang durch auf diesem Niveau. Vom Ehrgeiz zerfressen ließ er sich nicht.

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Die italienischen Sportgazetten, deren Titelseiten Buffon unzählige Male zierte, in sämtlichen Jubelposen und Verrenkungen, hatten von seiner Entscheidung berichtet, noch ehe er sie selbst verkündet hat. Das holte Buffon am Mittwoch nach, mit einem Highlight-Video auf Instagram und einem kurzen Abschiedsstatement: "Das war's, Leute! Ihr habt mir alles gegeben, ich habe euch alles gegeben. Wir haben es zusammen geschafft."

Eine besondere Beziehung hatte und hat Buffon zu Juventus Turin, dem italienischen Rekordmeister, bei dem Buffon seine besten Jahre erlebte. 2001 heuerte er an bei der Alten Dame, als damals teuerster Torwart der Welt, der sagenhafte 50 Millionen Euro Ablöse gekostet hatte. Auch heute keine Kleinigkeit. Klar, dass er da Nummer-eins-Ansprüche hatte, aber auf dem Leibchen hätte er lieber die 77 gehabt - seine alte Rückennummer bei Parma. Bei Juve, so wurde ihm klar und deutlich mitgeteilt, gebe es aber "keine Extrawürste", sondern historische Verantwortung: Legenden wie Giampiero Combi und Dino Zoff hatten zuvor die Nummer eins getragen, das würde nun auch von Buffon erwartet.

Bei der Juve, das lernte er schnell, ist niemand größer als der Klub. Daraus speist sich ihre DNA vincente, ihre Gewinnermentalität. Anderseits: Wie hätte sich Buffon dem auch entziehen können? Gelernt hat er immerhin bei Marcello Lippi und Fabio Capello, zwei Erfolgstrainern alter Schule, die in Italien auch als "Sergeant" und "Feldmaresciallo" bekannt sind. Lippi war dann auch sein Vorgesetzter, als Buffon 2006 den WM-Pokal in den Berliner Nachthimmel stemmte, für ihn selbst war das der Tag der Tage: Aus Gigi wurde Gigi Nazionale. Und kurz darauf ein Zweitliga-Keeper. Juve wurde wegen Schiedsrichtermanipulation zum Zwangsabstieg verdonnert, Buffon blieb den Klub dennoch treu.

Buffon hat keine Feinde - und das will in Italien schon was heißen

Er war ein Torhüter traditioneller Bauart, ausgestattet mit den Reflexen einer Raubkatze, ein fuoriclasse auf der Linie. So nennen sie in Italien ihre Spitzenkönner, doch auch als Autorität war er wertvoll. Seinen Status hatte Buffon auch deshalb, weil er seine Schwächen nie verbarg, er thematisierte seine Depressionen und seine (legale) Spielsucht. Als sein größter Fehltritt gilt etwas anderes: In Parma hätte der prollige Jüngling gern die Doppelnull auf dem Trikot gehabt, als Symbol für seine "zwei Eier". Nachdem dieses Anliegen negativ beschieden wurde, beanspruchte er die 88 für sich - vier Eier halt.

Blöderweise aber auch eine rechtsradikale Chiffre: Das H ist der achte Buchstabe des Alphabets, mit der 88 wird der Ausspruch "Heil Hitler" verklausuliert. Gigi, der Faschist? Dieser Vorwurf hatte ihn lange begleitet, inzwischen gilt die Geschichte vor allem als kolossale Dummheit. Als politischer Kopf wäre Buffon jedenfalls nie wieder aufgefallen. Nun, da er seinen Abschied vom Profigeschäft verkündet hat, lässt sich ohnehin feststellen: Gegenspieler hat Buffon keine mehr. Und das will in einem polarisierten Fußballland wie Italien schon was heißen.

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