DFB-Elf:Das Problem sitzt tief

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Der Aufbruch in eine neue Epoche gestaltet sich schwieriger als gedacht. Dass Hansi Flicks Elf gegen den Winzling aus Liechtenstein keine Lösungen findet, ist Symptom der stabilen Glaubenskrise im deutschen Fußball.

Kommentar von Philipp Selldorf

Es gab zwei vollzählige Mannschaften, einen Schiedsrichter, der fachgerecht für den An- und den Abpfiff sorgte, und einen tadellos gepflegten Rasenplatz, der den Normen des Weltverbandes genügt. Aber Joshua Kimmich hatte schon recht: Ein richtiges Spiel war das nicht unbedingt, was Liechtenstein und Deutschland in St. Gallen aufführten. Um es mit Franz Beckenbauer zu sagen: "Ich weiß nicht, was es war, aber Fußball war es nicht."

Beckenbauer pflegte bei dieser klassischen Beckenbauer-Sentenz ein Lächeln aufzusetzen, das nicht mit Heiterkeit zu verwechseln war. Kimmich hingegen drückte keinen Sarkasmus, sondern Ratlosigkeit aus. Mit den Bayern ist er schon gegen manchen Amateurklub angetreten, der nur den Schaden zu begrenzen suchte, doch ein Team, das zwecks Verteidigung in voller Anzahl dauerhaft im Strafraum verbleibt, das ist nah dran am Superlativ des Catenaccio. Die einzig' mögliche Steigerung bestünde darin, sämtliche Spieler im Fünf-Meter-Raum zu konzentrieren.

DFB-Team gegen Liechtenstein
:Der Aufbruch ist verzwickter als gedacht

Gegen die Amateurkicker aus dem Fürstentum zeigt sich, dass Bundestrainer Flick seinen Spielern noch vieles beibringen muss. Bekannte Probleme sind schwierig zu lösen - die DFB-Elf steckt in einer komplizierten Spirale fest.

Von Martin Schneider

Klagen über den Gegner erübrigen sich selbstverständlich, Kimmich hat sich auch gar nicht über die Liechtensteiner beschwert. Die Igel-Taktik ist das hohe Recht der Winzlinge, damit haben während der ersten Länderspielrunde außer den Deutschen auch andere anerkannte Größen zu tun bekommen. Allerdings stellt zum Beispiel Italiens 1:1 gegen Bulgarien keine vergleichbare Peinlichkeit dar wie das 2:0 der Deutschen gegen die Amateurauswahl des alpinen Fürstentums. Eine Blamage bleibt eine Blamage. Dank der drei Siegerpunkte würde man sie dennoch schnell vergessen, wenn die Partie nicht zufällig als Startmarke für den Dienstbeginn des neuen Bundestrainers ins ewige DFB-Protokoll einginge.

Hansi Flick hat allerdings weder die völlig falschen Spieler aufgestellt noch dürfte er seinen Leuten befohlen haben, sie sollten möglichst planlos und hektisch gegen das Bollwerk vorgehen. Der neue Intendant muss jetzt allerdings zweierlei feststellen: Dass er die Verantwortung trägt und mit seinem Konto haftet, auch wenn er nichts verkehrt gemacht hat. Und dass der Aufbruch in die neue Epoche womöglich etwas schwieriger wird, als alle gedacht haben, er selbst inbegriffen.

Sieht man auf das deutsche Team, sieht man lauter hoch dotierte Spitzenspieler aus Spitzenklubs. Sieht man auf die Resultate der jüngsten zwei, drei Jahre, hat sich die Nationalelf von ihrer berechenbaren Natur entfernt. Sie ist nicht mehr der zuverlässige Produzent von Erfolgsergebnissen. Wichtige Spiele werden auf einmal verloren oder nicht gewonnen, gegen Südkorea, Nord-Mazedonien oder Ungarn, die diskutablen Vorfälle häufen sich, bis hin zu einem 0:6 gegen Spanien. Die vermeintlich temporären Schwankungen haben sich in den finalen, zunehmend trüben Jogi-Löw-Jahren zur stabilen Glaubenskrise entwickelt.

Die neue deutsche Unstetigkeit hat nichts mit elf Liechtensteinern im Strafraum zu tun oder mit den üblichen Schwierigkeiten, die vielbeschäftigte Nationalspieler zu Saisonbeginn haben. Das Problem sitzt tiefer. Hansi Flick hat gerade erst begonnen, den Grad des Tiefgangs auszuloten.

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