DFB-Elf in Katar:Home-sweet-home in der Festung

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Deutschlands Fußballer finden sich wenige Tage vor dem WM-Auftakt zufrieden in ihrem Quartier ein. Ein beunruhigender Satz von Oliver Bierhoff betrifft die Gesundheit eines Stürmers.

Von Philipp Selldorf, al-Shamal

Zwei Tage und zwei Nächte hat die deutsche Mannschaft inzwischen in ihrem Wellness-Hotel verbracht, das ihr während der Weltmeisterschaft exklusive Abgeschiedenheit vom Rest der Welt garantiert. Bis zur Eingewöhnung hat es, wie Insassen berichten, nicht lang gedauert. Man fühlt sich wohl in der Fünf-Sterne-Unterkunft und umso wohler in dem Wissen, dass die rund um die Uhr von großmotorigen Geländewagen befahrene Hauptstadt Doha weit weg ist.

Wenn der Quartiermeister Oliver Bierhoff das neue Zuhause nach der Devise Home-sweet-home preist ("wir haben es ganz toll angetroffen", "herzliche Gastgeber", "tolles Ambiente"), ist zwar Vorsicht angesagt - ähnliche Dinge hat er vor vier Jahren auch über das in Wahrheit gar nicht heimelige Quartier im Moskauer Vorort Watutinki erzählt. Doch dass die Deutschen hier am nördlichen Zipfel der Halbinsel in einem maritimen und vergleichsweise angenehmen Klima friedlich residieren können, das braucht wohl nicht misstrauisch hinterfragt zu werden.

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Kommentar von Philipp Selldorf

Der Star des Reisearrangements ist zweifellos der Trainingsplatz des lokalen Sportklubs. Er liegt hinter den hohen Mauern einer mit Türmen und Zinnen versehenen Burg, die - vermutlich in der Werkstatt des Phantasialands - nach normannischem Vorbild gefertigt wurde. Die Anlage ist die perfekte Festung gegen die Industriespionage fremder Fußballmächte und geheim postierte Teleobjektive der Fotopresse. Zur Abwehr von Unbefugten bedarf es weder Pech und Schwefel noch bewaffneter Bogenschützen, es genügt, die Tore zu schließen (eine Zugbrücke mit zugehörigem Graben gibt es leider nicht).

Die deutsche Elf residiert in Katar bei beinahe maritimen Bedingungen

So skurril die rote Zitadelle an der Al-Shamal-Road die Wüstenlandschaft bereichert, am Ende birgt sie doch bloß einen Trainingsplatz. Dort kamen am Samstagvormittag die deutschen Spieler zum ersten Übungseinsatz auf katarischem WM-Boden zusammen, allerdings ausgerechnet ohne den Spieler, der den Spitznamen "Lücke" trägt. Niclas Füllkrug, 29, plagt ein viraler Infekt. Bisher hat sich für Füllkrugs Infekte allenfalls die Bremer Lokalpresse interessiert, neuerdings aber - und seit seinem Siegtor beim Testspiel in Oman umso mehr - ist die Gesundheit des Werder-Mittelstürmers eine Sache von nationaler Wichtigkeit. Die Ärzte schauten "von Stunde zu Stunde, wie es ihm geht", sprach Bierhoff einen beunruhigenden Satz.

Aber so schlimm scheint es nicht zu stehen um den designierten neuen Nationaltorjäger. Teamarzt Tim Meier befand, Füllkrugs Zustand sei "nicht so dramatisch", eine mögliche Beteiligung am Startspiel gegen Japan am Mittwoch sieht er nicht gefährdet. In der Trainingseinheit am Sonntag war der Angreifer dann auch schon wieder dabei.

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Mit Eintritt des Matchdays minus four nimmt die Vorbereitung auf den Turnierauftakt Gestalt an. Den Tag nach der Ankunft in Katar hatte Hansi Flick noch zur Erholung bestimmt, am Samstag rief er nachmittags zum nächsten Training. Auch Antonio Rüdiger und Thomas Müller standen auf dem bestens gepflegten Rasen und zerstreuten damit die Zweifel an ihrer Einsatzfähigkeit. Rüdiger, von Hansi Flick zum "Abwehrchef" erklärt, dürfte seinen Startelfplatz sicher haben. Müller wird sich möglicherweise gedulden müssen.

Die politischen Debatten, die das Turnier begleiten, nehmen zwar weiterhin viel Platz ein im deutschen WM-Diskurs und in der Öffentlichkeitsarbeit des DFB. Doch als Manuel Neuer und Youssoufa Moukoko am Samstag auf dem Pressepodium saßen, der eine der älteste Spieler im Kader, der andere der jüngste, rückten Sport und Alltagsthemen näher an den Mittelpunkt der Gespräche heran.

Kapitän Neuer bekräftigte die Absicht, trotz Drohgebärden aus der Fifa-Zentrale die Armbinde anzulegen, die ein Zeichen für gesellschaftliche Vielfalt setzen soll. Warum nicht, wandte er ein: Er wisse um "die Rückendeckung des DFB" und sei vom Sinn der Sache überzeugt, weil sich auch die Kapitäne anderer Verbände der symbolischen Aktion anschließen würden: "Es ist gut, dass wir die Power haben mit anderen Nationen im Westen von Europa und nicht allein dastehen."

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Erstmal ging es allerdings um einen Geburtstag, wie ihn die Nationalelf noch bei keinem Turnier gefeiert hat. Dass im WM-Quartier ein Spieler den Eintritt in die Volljährigkeit erlebt, ist nicht vorgekommen. Anlässlich Moukokos 18. Geburtstag erinnerte sich Neuer, wie er damals den großen Tag verbrachte: "Ich war in Gelsenkirchen-Buer, habe meine Freunde eingeladen, und wir sind kegeln gegangen." Letzteres, fügte er hinzu, "könnte hier schwierig werden".

Eine Kegelbahn gibt es nämlich nicht im schicken Resort, allenfalls ein Tischtennis-Turnier ist drin. Moukoko bekommt ein Ständchen und eine Torte - "kalorienarm", wie Bierhoff betonte. Moukoko bedankte sich im Voraus und hob - letzte Gelegenheit - hervor, es sei "nicht so selbstverständlich, mit 17 Jahren hier zu sein". Der Dortmunder Angreifer glaubt aber, er seit nicht nur als Lehrjunge eingeladen worden: "Ein Stürmer ist dazu da, um Tore zu schießen."

Im Fußball ist zwar grundsätzlich jedes Spiel das wichtigste Spiel, das Startspiel in einem Turnier gilt jedoch als eines der allerwichtigsten. Man könne in einen positiven Fluss geraten wie 2014 (4:0 gegen Portugal) oder in einen verhängnisvollen Strudel wie 2018 (0:1 gegen Mexiko), sagt Neuer. Seine Devise für Mittwoch: "Sauberes Pass-Spiel, gute Positionierung, Ruhe bewahren." Das Ziel ist, noch sehr lange in der Normannenburg zu trainieren.

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