Toni Kroos ist jetzt seit geraumer Zeit Spielmacher bei Real Madrid, im Sommer zur Europameisterschaft werden es zwei Jahre sein. Spielmacher bei Real Madrid, das waren vor ihm Leute wie Zinédine Zidane, Bernd Schuster oder Günter Netzer, aber Toni Kroos bekommt von diesem Glanz gefühlt ziemlich wenig ab. Das liegt natürlich auch ein bisschen daran, dass es den klassischen Zehner nicht mehr gibt und dass das Real Madrid in dieser Saison nicht den Ruhm von einst hat. Und den Rest-Glanz beansprucht Cristiano Ronaldo für sich allein.
Aber dafür, dass Kroos nun schon so lange Stammspieler und Regisseur des nach eigener Ansicht größten und galaktischsten Vereins der Welt ist, dafür steht er erstaunlich selten im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Auch nach den Freundschaftsspielen der deutschen Nationalmannschaft gegen England und Italien ist wenig von Toni Kroos die Rede, Mario Gomez und Mario Götze dominieren die Schlagzeilen. Dabei war Kroos Doppeltorschütze und zweimal der beste Mann auf dem Platz. Bei der Europameisterschaft wird er einer der wichtigsten deutschen Spieler werden.
Der Sieg gegen Italien liefert dem Bundestrainer wichtige Erkenntnisse. Eine davon ist, dass er sich auf Ergänzungsspieler verlassen kann. Dazu gehört auch Mario Götze.
Sowohl gegen England wie gegen Italien ordnete Kroos das Spiel. Er spielte auf der Sechser-Position, von wo man heute ein Spiel lenkt. Toni Kroos war der Spiel-Sortierer der Nationalelf. Er bekam entweder von Antonio Rüdiger oder von Mats Hummels den Ball mit dem Auftrag: Entscheide, was damit zu tun ist. Langer Ball nach vorne wie vor dem Elfmeter auf den gestarteten Sebastian Rudy? Pass durch Lücke auf Julian Draxler oder Thomas Müller? Oder selbst den Platz nutzen, wie vor seinem 1:0 gegen England? Kroos entscheidet, was im Spiel passiert.
Er selbst sagte nach dem Spiel, die Mannschaft habe sich "besser präsentiert als gegen England" und dass es in den letzten 20 Minuten ein paar Ungenauigkeiten gegeben habe, die man besser hätte machen können. Joachim Löw meinte, Toni Kroos und Mesut Özil, der gegen Italien neben ihm auf der Sechser-Position spielte, hätten das "hervorragend gemacht." Gerade im Spielaufbau, wo es gegen England noch ein paar Probleme gab. Beide seien "technisch extrem gut", sagte Löw noch, aber all das kann man unter normaler Wertschätzung abheften. Dass Kroos das deutsche Spiel prägt, das wird mittlerweile von ihm erwartet.
Der TV-Experte glaubt, dass der Nationalspieler des FC Bayern viel, viel mehr trainieren müsse. Kann Scholl das überhaupt beurteilen?
Man sah das gegen Italien beispielhaft vor dem Elfmeter zum 4:0, aber man könnte sich auch viele andere Szenen raussuchen. Kroos läuft in diesen Minuten im Mittelfeld umher, wobei laufen als Verb schon zu dynamisch ist, er trabt eigentlich nur, er wippt auf und ab wie ein Jogger an der Isar. Er bekommt mal den Ball von Mesut Özil und legt ihn quer. Dann bekommt er den Ball von Mats Hummels und legt ihn quer. Dabei schaut er sich immer wieder um. Seine Augen sind aktiver als sein Körper. Blick nach hinten, Blick zur Seite, Blick nach vorne. Die Italiener attackieren ihn halbherzig, vertrauen auf ihre Kette. Der trabt ja nur, wird schon nix passieren.
Dann bekommt er den fünften Querpass. Der Ball liegt auf seinem rechten Fuß, eigentlich zum eigenen Tor hin, aber dann dreht er sich und schlägt ihn mit einer schnellen Körperbewegung lang über das ganze Spielfeld. Die Kugel fällt Sebastian Rudy genau vor die Füße, ein wunderbarer Pass, gebaut aus Timing und Technik. Rudy kann von Buffon nur durch eine Foul gestoppt werden. Elfmeter, Mesut Özil verwandelt.
Der Bayern-Reservist freut sich über sein Tor gegen Italien wie kaum jemand zuvor über einen Testspiel-Treffer. Es ist Balsam in einer aufreibenden Zeit.
Dieser Rhythmus, dieser Wechsel zwischen Schnell und Langsam, das hat Kroos schon immer beherrscht. Neu ist, dass er in den zwei Freundschaftsspielen auch das Tor traf. Jahrelang lobten vor allem Fernsehkommentatoren seine herausragende Schusstechnik. Allerdings mit dem Schönheitsfehler, dass seine Schüsse selten das Ziel trafen. Bei Bayern München hat er in 205 Spielen 24 Tore gemacht. Das ist als offensiver Mittelfeldspieler, der er da noch war, eine bescheidene Quote. Bei Real Madrid sieht es noch dürftiger aus, aber da sind mit Ronaldo, Gareth Bale und Karim Benzema eh andere für das Vollenden zuständig.
Als er nach Madrid wechselte, da hat er vorher mit dem damaligen Trainer Carlo Ancelotti telefoniert. Ancelotti sprach kein Deutsch, Kroos kein Italienisch. Also versuchten sie es irgendwie auf Englisch. Kroos, so berichtete er, habe hauptsächlich verstanden, dass Ancelotti im Spiel von Madrid mehr Balance und Kontrolle haben will. Das habe ihn überzeugt. Denn wenn es zwei Wörter gibt, die das Spiel von Toni Kroos am besten Beschreiben, dann Balance und Kontrolle. Es gibt in der Bundesliga einen Spieler, der ihm vom Spielstil her ähnlich ist: Xabi Alonso, vor ihm Spiel-Sortierer bei Real Madrid und nun sein Nachfolger bei Bayern München. Mit dem Unterschied dass Alonso 34 ist, Kroos ist immer noch erst 26 Jahre alt.
Wer wird Kroos' Partner in der DFB-Elf?
Joachim Löw hat ja auf der Sechserposition mehrere Möglichkeiten. Sami Khedira spielt bei Juventus Turin wieder auf höchstem Niveau, Ilkay Gündogan kickt überragend bei Borussia Dortmund. Bastian Schweinsteiger ist zwar verletzt aber noch nicht abgeschrieben und mit Julian Weigl und Joshua Kimmich hätte der Bundestrainer noch zwei Hochtalentierte in seinem Schattenkabinett.
Alle diese Namen ergeben faszinierende taktische Möglichkeiten. Aber eine deutsche Mittelfeld-Kombination, in der der Name Toni Kroos nicht auftaucht, dafür fehlt einem speziell nach diesen Spielen wirklich die Fantasie.