Deutschland bei der Fußball-EM:Zehn verborgene Schätze des Nationalteams

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Da ist noch viel mehr drin: Die deutsche Elf steht gegen Dänemark vor dem Einzug ins Viertelfinale, dabei sind viele Kostbarkeiten des Kaders noch unentdeckt. Zum Beispiel: ein Zweitstürmer von Weltniveau. Oder: ein grünes Stück Stoff. Geheime Quellen berichten sogar, dass Löw Standards üben lässt.

Boris Herrmann und Christof Kneer

Zwei EM-Spiele hat die deutsche Nationalelf jetzt hinter sich. Intern gab es ein bisschen Aufregung über dies (Mehmet) und jenes (Scholl), aber nach außen hin hat sich wenig verändert. Fußball-Europa sieht so aus, wie es schon vor dem Turnierbeginn aussah: Deutschland gilt neben Spanien als Titelfavorit.

Die deutsche Nationalmannschaft dürfte noch für Überraschungen gut sein. (Foto: dapd)

Zwei Siege in der sogenannten Todesgruppe (Englisch: "Group of Death", Spanisch: "Grupo de la muerte", Ukrainisch: "Gruppa Smerti", Italienisch: "Grappa") haben die Welt beeindruckt. Das legt jedenfalls die Lektüre der Weltpresse nahe.

Das Team von Bundestrainer Löw (Englisch: "Lion", Ukrainisch: "Lviv", Polnisch: "Lwöw") hat noch nicht jenen berauschenden Offensivfußball geboten, auf den sich seit der WM 2010 die halbe Welt gefreut hatte (abgesehen von Michael Ballack und Mark van Bommel).

Aber die eher sachlich herausgespielten Siege gegen Portugal und Holland schaden der Favoritenrolle nicht. Die Konkurrenz ist bisher vor allem von Torhüter Neuer und Stürmer Gomez beeindruckt, sie spürt aber, dass das noch nicht alles gewesen sein kann. Tatsächlich schlummern im deutschen Kader zahlreiche Schätze, die bei diesem Turnier noch gar nicht erschlossen wurden. Die SZ hat zehn ungenutzte Kostbarkeiten gefunden.

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Boris Herrmann und Christof Kneer

Die Rechnung war im Grunde einfach. Bei der WM vor zwei Jahren in Südafrika gab es einen 20-jährigen Torschützenkönig namens Thomas Müller. Wenn Müller einen Ball schoss, landete er im Tor. Wenn Müller einen Pass spielte, landete er auch im Tor. Und wenn die Nationalmannschaft eine Safari unternahm, entdeckte Müller den Löwen. Die Rechnung ging damals so: Wenn dieser Müller zwei Jahre älter ist, wird es erst richtig lustig. Zumal im offensiven Mittelfeld ja noch Reals Vorlagenkönig Özil dazukommen würde sowie der ewige Turnierprinz Podolski. Diese Rechnung ging nicht auf - bislang. Die Erklärung ist einfach: Müller, Özil und Podolski verrichten bei der EM Defensivaufgaben, die oft übersehen werden. Wehe, wenn sie wieder Zeit und Muße für das Offensichtliche finden.

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Die zweite Offensivreihe

Die nächste Rechnung schien noch einfacher zu sein: Eins plus eins gibt zwei. Sollte es mit Teilen der Variante eins (Müller, Özil, Podolski) doch nicht ganz so lustig werden, käme schnell Variante zwei zum Tragen. Dann würden eben André Schürrle, Marco Reus oder Mario Götze übernehmen. Die einen genießen weltweiten Respekt. Die anderen genießen den Ruf, dass sie sich diesen Respekt in Kürze erdribbeln und erkreiseln werden. Umso erstaunlicher, dass sie dazu noch keine Chance erhielten. Schürrle, Reus und Götze verfolgten diese EM bisher als Zuschauer. Addiert man ihre Einsatzzeiten, landet man bei null. Diese Trumpfkarte hat Löw noch gar nicht aufgedeckt.

Der zweite Torschütze

Statistisch betrachtet ist der Stürmer Miroslav Klose längst nicht mehr einer unter Großen. Er ist einer unter Größten. Bei der WM 2002 erzielte er fünf Kopfballtore, das ist bis heute WM-Kopfball-Weltrekord. Später verlegte er sich mehr auf die Qualitäten, die in seinen Schuhen stecken. 2010 in Südafrika zog er nach WM-Toren an Pelé vorbei und schloss zu Gerd Müller auf. Es gab Zeiten, da schien es, als dürfe bei wichtigen Turnieren nur Klose die Tore für Deutschland schießen. Im Moment scheint es, als dürfe nur noch Mario Gomez die Tore für Deutschland schießen. Es ist bestimmt kein Nachteil, wenn beide mal wieder gemeinsam treffen - oder wenn auch die anderen deutschen Offensivkräfte ein wenig beim Tore schießen helfen.

Im dritten Spiel muss Löw erstmals die Startelf ändern (Boateng gesperrt). Zum Glück gibt es auf der Position des Rechtsverteidigers zahlreiche Weltklasse-Alternativen, etwa den favorisierten Lars Bender, der das noch nie gespielt hat, sowie Benedikt Höwedes, der beim 3:5 gegen die Schweiz glänzen konnte.

Das alte Markenzeichen

EM-Finale 1980. Eckball für Deutschland. Karl-Heinz Rummenigge prophezeit (-> die Orakelei) einem Fotografen am Spielfeldrand: "Stell die Linse scharf auf den Hrubesch, gleich knallt's." Sekunden später knallt Hrubesch die Ecke zum 2:1 ins Tor. Der deutsche Fußball hat immer wieder von Typen wie Rummenigge und Hrubesch profitiert. Vor allem aber hat er von Eckbällen und Freistößen profitiert - mit Betonung auf "hat". Heute sind die deutschen Standards nur noch ein Erinnerungsort. Sie sind dem Strukturwandel anheimgefallen, so wie einst die Stummfilme und die Bergwerke. Im Löw-Fußball gelten sie als minderwertig. Das letzte nennenswerte Standard-Tor schoss Michael Ballack bei der EM 2008, der ebenfalls zu den Verlierern des Strukturwandels gehört.

Es könnte sich allerdings auch um ein gemeines Täuschungsmanöver handeln. Gerade haben sich die Gegner darauf eingestellt, dass sie immer dann verschnaufen können, wenn die Deutschen Freistoß oder Ecke zugesprochen bekommen, da hört man aus geheimen Kreisen diese ungeheuerliche Nachricht: Joachim Löw übt mit seinen Spielern Standards.

Der neue Elfmeterheld

Siehe -> Manuel Neuer und -> Standards, nur umgekehrt.

Das grüne Trikot

Der DFB hat bislang unbenutzte grüne Ersatztrikots im Gepäck, die leider stark an 1986 erinnern. Damals erreichte eine deutsche Nationalelf, die im Wesentlichen aus Vorstoppern bestand, unter bislang ungeklärten Umständen das WM-Finale. Die deutschen Gegner fürchten aber, dass die Farbe Grün eher eine Reminiszenz an die berühmten Europameister von 1972 ist. Damals holte die Auswahl um Beckenbauer und Netzer ihren bis heute künstlerisch wertvollsten Titel - in Grün. Noch hat die Löw-Mannschaft diesen farblichen Trumpf gar nicht gezogen - vielleicht, um nicht mit den irischen Fans verwechselt werden. Aber die sind ja bald weg.

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Der ARD-Fernsehexperte Mehmet Scholl ist voll im Soll. Es ist ja offensichtlich, dass er aus dem deutschen Stürmer Mario Gomez mit seinen praktischen Gebrauchstipps ("bloß nicht wundliegen!") noch mehr herausgekitzelt hat als ohnehin schon da war (-> Der zweite Torschütze). Jetzt muss endlich der ZDF-Mann Oliver Kahn seinen Beitrag zum deutschen Titeltraum leisten. Das Nationalteam wartet im Teamhotel in Danzig sehnsüchtig auf seine Fernsehexperten-Ruck-Rede. Das Problem ist: Das Redemanuskript von Kahn müsste erst mit der Pferdepost aus Usedom über den Ostseestrand angeliefert werden. Das Gute ist: Kahn war immer ein echter Cowboy. Bis zum Finale ist er da.

Der nächste Tintenfisch

Deutschland war einmal eine führende Orakel-Nation. Vor zwei Jahren in Südafrika wurde der Krake Paul berühmt, der vorgab, ein objektiver Vertreter in Fragen der Tier-Hellseherei zu sein. Aber sind wir doch mal ehrlich: Paul stammte aus Oberhausen und er hat, bevor er aus nachvollziehbaren Gründen zu den Spaniern wechselte, die DFB-Elf schon auch durch die schwarz-rot-goldene Krakenbrille ins Halbfinale orakelt. Paul ist tot. Und die anderen Nationen haben in der einstigen deutschen Paradedisziplin gnadenlos aufgeholt. Die Russen haben inzwischen ein Erdmännchen, das Suri heißt. Die Spanier vertrauen dem Otterfräulein Maja, die Ukrainer dem Eber Funtik aus Kiew. Es herrscht eine regelrechte Orakelschwemme in Europa. Der deutsche Fußball müsste sich große Sorgen machen, wenn er nicht schon beizeiten seinen Sportdirekter Matthias Sammer damit betraut hätte, an jedem Bundesligastandort eine Leistungsakademie für den talentierten Orakelnachwuchs zu gründen. Mit den ersten Absolventen ist aber frühestens ab dem Viertelfinale zu rechnen.

Der größte Fan

Der größte Trumpf der DFB-Mannschaft ist ein Fan, vor dem alle anderen europäischen Nationen fürchterliche Angst haben. Ab dem Viertelfinale ist mit Angela Merkel zu rechnen. Mit der Bundeskanzlerin holt Deutschland den EM-Titel, und den anderen bringt sie zum Trost ein paar Rettungsschirmchen mit.

© SZ vom 16.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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