Streif-Doppelsieger aus Frankreich:Der Cyborg von Kitzbühel

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Da staunt wohl auch die Drohne: Der Franzose Cyprien Sarrazin wird bei seinem Siegesritt teilweise von dem unbemannten Objekt begleitet, das Kamerabilder liefert. (Foto: Joe Klamar/AFP)

Cyprien Sarrazin gewinnt in zwei Tagen zwei Streif-Abfahrten. Seine Motivation: ein Foto mit Schwarzenegger im Zielraum. Der "Terminator" beklatscht den Sieger - für Thomas Dreßen, der sein allerletztes Rennen heil übersteht, erhebt er sich vom Sitz.

Von Korbinian Eisenberger, Kitzbühel

Die Streif ist Mythos, nur eines ist klar: Weder Höhenangst noch Flugangst sind förderlich. Der einstige Skirennläufer Bode Miller hat die Streif-Abfahrt zu Kitzbühel gar mal als " Starfighter" bezeichnet, es fühle sich so, an als säße man direkt in einem Kampfjet. Millers Hinweis war treffend, denn die wenigsten wissen, wie man so eine Maschine fliegt. Eigentlich muss man dafür selbst eine Art von Maschine sein, idealerweise stabil, damit man so einen Flug übersteht. Und so trägt es sich zu, dass die Streif-Abfahrt im Januar 2024 ihren Cyborg gefunden hat: einen Cyborg nach französischer Bauart mit dem Namen Cyprien Sarrazin.

Der Film-Cyborg "Terminator" saß am Samstagmittag im Trachtenhut samt grüner Krempe auf der Haupttribüne des Kitzbüheler Skistadions. Dass "Arnie" aus den USA zum Hahnenkamm-Rennen kommt, ist ja Tradition. Aber was Arnold Schwarzenegger an diesem Tag durch eine finstere Brille im grellen Sonnenlicht sah, war neu: Der 30 Jahre alte Sarrazin bog wie von Zahnrädern angetrieben in den Zielhang ein, mehr als eine Sekunde Vorsprung hatte er auf den bis dato Führenden dieses Rennens herausgefahren. Also auf jenen Mann, den nicht wenige Beobachter auch als Maschine bezeichnen würden, den Schweizer Marco Odermatt. Doch nun kam: der Cyborg von Kitzbühel.

Cyprien Sarrazin dürfte dieses Wochenende nicht so schnell vergessen. (Foto: Alexis Boichard/Agence Zoom/Getty Images)

Als Sarrazin mit 91 Hundertstel Sekunden Vorsprung über die Ziellinie rauschte, da stellte sich so einigen erfahrenen Streif-Kennern eine Frage: Gab es je einen Skirennläufer, der die Streif in ihrer seit 93 Jahren währenden Geschichte so mächtig und gewaltig bewältigt hatte wie dieser Kerl aus Frankreich? Es muss erst mal das Gegenteil bewiesen werden.

Sarrazin fuhr jede Kurve unnachgiebig auf Zug, er drückte die Schläge in der Eispiste mit seinen Stahlkanten zur Seite, als gleite er über Wattebäuschen. Beim ersten Sprung streckte er seine Skier im Stile eines Trickskifahrers nach links, sein zweiter Sprung trug ihn so weit, dass er beinahe in der Seidlalm landete. Er drehte die Skier aber so, dass er in der Piste wieder die ideale Richtung einschlug. Sarrazin bewegte sich über die gesamte Fahrt so eng an den Toren, dass man fast einen Einfädler befürchten musste, der ja sonst eher im Slalom vorkommt. Im vorletzten Sprung schlug es ihm bei der Landung die Skier auseinander, ehe er in den Zielhang einbog. Konnte ihm der kurze Wackler noch den Vorsprung kosten? Schwarzenegger dürfte es unter seinem Trachtenhut auch schon geahnt haben: Das verliert er nie im Leben.

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Von Korbinian Eisenberger

Unten angekommen riss Sarrazin sich die Skier von den Schuhen, kletterte auf den Schneehaufen hinter der Werbebande und ließ sich mit ausgestreckten Armen immer noch wie von Energie geladen vom Publikum feiern. Schwarzenegger, der erstmals von seinem Sohn begleitet wurde, saß klatschend da. Und Cyborg Sarrazin erklärte alsbald, was ihn antreibt. Eine Motivation für seine rasende Fahrt sei die Aussicht auf die Begegnung mit dem "Terminator" gewesen. "Ich wollte ein Foto mit ihm", erklärte Sarrazin. Deswegen sei er "wie gestern mit Herz gefahren". Da stand er nun also, nach zwei Streif-Siegen an zwei Tagen, als dritter Franzose in der Siegerliste - und das gleich doppelt. "Ich kann das alles gar nicht begreifen", sagte er. "Es ist verrückt, das ist sicher der beste Moment meines Lebens."

Prominenz der schlagkräftigen Art: Die Schauspieler Arnold Schwarzenegger (links) und Ralf Moeller (rechts) mischen sich im Zielraum unter die Zuschauer. (Foto: Barbara Gindl/AFP)

Es ist ja eine besondere Biografie, die dieser Skifahrer hinter sich hat. Bis Anfang 2022 war Sarrazin so gut wie ausschließlich in den technischen Disziplinen des Skisports angetreten, also im Slalom - und vor allem im Riesentorlauf, lange Jahre seine erklärte Spezialdisziplin. Einen Weltcupsieg hat er in all diesen Jahren ergattert, im Dezember 2016 im Parallel-Riesenslalom von Alta Badia (Südtirol), drei Jahre später wurde er am selben Ort Zweiter, ansonsten war er nie auf den Weltcuppodesten zu finden.

Eventuell hätte Sarrazin schon vor Jahren die Disziplin gewechselt, hätte ihn diese Eingebung früher ereilt: In der Weltcup-Saison 2021/22 war es mit ihm sportlich merklich bergab gegangen, was nicht einmal Skifahrer gutheißen können. In zwei Dritteln der Rennen hatte er entweder den zweiten Lauf verpasst oder war nicht ins Ziel gekommen. Er konnte sich das alles nicht erklären - und so kam es, dass er sich zunehmend mit Wechselgedanken beschäftigte. Er schloss sich einer Trainingsgruppe an und übte fortan in Südamerika unter anderem Abfahrt. Zwischenergebnis: Bereits in seinem zweiten Lauf war er der Trainingsschnellste. Und so wurde der Umstieg konkreter.

Sein Manko als Skifahrer, auch schon in den früheren Jahren im Weltcup, war meist die Dosierung seiner Energie. Er sei in einigen Rennen in gewissen Momenten ein wenig abwesend gewesen, sagte Sarrazin mal der französischen Zeitung Le Dauphiné. Auch daran dürfte es gelegen haben, dass er sich die Speed-Disziplinen lange nicht zugetraut hatte. Dafür, so Sarrazin, habe ihm die Reife gefehlt.

Im Ziel von Kitzbühel fühlte er sich nun reif für große Gesten, und als solche darf man wohl werten, dass er seinen deutschen Kollegen Thomas Dreßen alsbald mit Sekt bespritzte. Dreßen war soeben nach seiner Zieleinfahrt zu den Klängen seines Wunschsongs "Thunderstruck" von AC/DC vom Stadion gehuldigt worden. Dreßen ist zwar wie Sarrazin erst 30 Jahre alt, doch während der eine Stern aufging, erlosch ein anderer. Dreßen hatte am Samstag auf den Tag sechs Jahre nach seinem Abfahrtssieg in Kitzbühel ein letztes Mal die Streif bewältigt, nicht sonderlich schnell, nicht mit ganzer Kraft, wie geplant. Es war sein Abtritt auf und von der ganz großen Bühne, nachdem ihn über viele Jahre das ganz große Verletzungspech ereilt hatte.

Jubel für einen besonderen Skirennfahrer: Thomas Dreßen erhält verdienten Applaus nach seiner letzten Abfahrt. (Foto: Leonhard Foeger/Reuters)

Im Ziel war er nicht nur von Sarrazin, sondern auch von seiner Frau Birgit mit Tochter Elena, Bruder Michael und Mutter Monika empfangen worden, die ihm sogleich um den Hals fielen, nachdem er heil unten angekommen war. Diese Szene sei "voll schön gewesen, ich habe gar nicht damit gerechnet, es war mega", sagte Dreßen, ehe er seines Vaters gedachte, "der leider nicht da sein kann". Dirk Dreßen war 2005 bei einem Seilbahnunglück in Sölden ums Leben gekommen.

Und auf der Haupttribüne, da war immer noch der Mann mit der grünen Hutkrempe zugegen. Der klatschte wie zuvor bei Cyborg Sarrazin, doch er saß nun nicht mehr, für den Mensch Dreßen hatte er sich von seinem Sitz erhoben. So wie das gesamte Kitzbüheler Publikum.

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