Kiel in der Relegation zur Bundesliga:Noch einmal die Logik außer Kraft setzen

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Kieler Enttäuschung nach dem Schlusspfiff: Finn Porath kann es nicht glauben. (Foto: Claus Bergmann/Imago)

Holstein verpasst den direkten Aufstieg und muss schon wieder eine Enttäuschung verarbeiten. Viel Zeit bleibt nicht, um sich für das knallharte Aufstiegssduell mit Köln aufzurichten.

Von Thomas Hürner, Kiel

Eigentlich hatte alles nach einem Sonntagabend ausgesehen, der nach innerer Einkehr verlangte, nach bitteren Tränen und vielleicht auch ein bisschen Wut. Die Kieler Anhänger hatten jedoch zu keiner Sekunde vor, sich an die Prozedur zu halten, die so ein Ereignis üblicherweise vorsieht. Zu Hunderten hatten die Fans vor dem Holstein-Stadion ausgeharrt, bis sie schließlich aus den Katakomben traten, ihre geschlagenen Helden. Es gab satten Applaus, Gesänge wurden angestimmt, ein blau-weißer Rauchnebel legte sich über die Szenerie.

Ein Absperrzaun kann zwar physische Distanz gewährleisten, aber Botschaften werden nun mal mit Gesten und Worten übermittelt. Und die Botschaft der Anhänger war klar: Es ist noch nicht vorbei.

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So ganz überzeugt wirkten die Kieler Fußballer dadurch aber nicht. Mit fahlen Gesichtern blickten sie auf das euphorische Treiben, einige klatschten zaghaft mit den Händen. Der Schock saß noch zu tief, genauso wie die Last der vergebenen Chance: 2:3 verloren gegen Darmstadt 98, am letzten Spieltag noch auf Tabellenplatz drei gerutscht, statt einer Aufstiegsfeier steht für die Kieler jetzt erst mal ein knallhartes Relegationsduell mit dem 1. FC Köln auf dem Programm.

Den Kielern ist anzumerken, dass sie zwei Team-Quarantänen hinter sich haben

"Bei uns ist es gerade sehr, sehr still, aber es gibt noch zwei Spiele", sagte Ole Werner nachher, der Holstein-Trainer. Es gelte nun "das erneut unmöglich Erscheinende vielleicht doch noch möglich zu machen". Viel Zeit bleibt nicht, um sich nach der Enttäuschung wieder aufzurichten. Das Hinspiel steigt am Mittwochabend im Rheinland, und am Samstag findet die maximale Zuspitzung, die der Fußball zu bieten hat, mit dem Rückspiel in Kiel schon ihr Ende.

Was dann drin ist? Alles und nichts, wie immer in der Relegation. Bei Holstein haben sie in dieser Zweitliga-Saison bereits mehrmals Rückschläge verkraftet, daraus wird unter den Beteiligten der Großteil der Hoffnung geschöpft. Zwei Quarantänen hat das Team im Frühjahr hinter sich bringen müssen, mit Training nur im Home-Office und in nahezu kompletter sozialer Isolation. Auch zur eigenen Überraschung kehrten die Kieler kraftvoll in den Spielbetrieb zurück, sie reihten Sieg an Sieg, der pure Wille schien die bewährte Logik im Leistungssport außer Kraft zu setzen.

Vor dem Spiel gegen Darmstadt hatten die Kieler nun eine Woche zur Regeneration, so viel wie lange nicht. Es ließ sich trotzdem nicht kaschieren, dass die Beine und Lungen müde geworden sind, auch die Köpfe der Spieler wirken nicht mehr unbelastet. Gegen Darmstadt lagen die Kieler zur Halbzeit durch einen Treffer von Stürmer Janni Serra 1:0 in Führung, wie schon in der Vorwoche in Karlsruhe. Nach dem Wiederanpfiff wirkte die Mannschaft dann aber ausgezehrt, ohne Elan. Und sie kassierte wieder drei Gegentreffer, auch das war ein Ebenbild zum Spiel gegen den KSC. Ein Sieg hätte jeweils gereicht, um den Gang in die Erstklassigkeit und damit den größten Erfolg der Klubgeschichte perfekt zu machen.

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Die Relegation sei "brutal", sagt der frühere Kiel-Coach Markus Anfang

Zu allem Überfluss hielt der Sonntag noch eine bitterböse Pointe für die Kieler bereit. Zum Partycrasher wurde ausgerechnet Markus Anfang, einst der Kieler Chefentwickler, inzwischen Trainer in Darmstadt. Anfang war es, der Kiel 2017 in die zweite Liga manövrierte, nach 36 Jahren im fußballerischen Niemandsland. Daraufhin ging es auf Anhieb in die Aufstiegsrelegation, was eine echte Sensation war, auch wenn diese gegen Wolfsburg am Ende klar verloren ging.

So eine Relegation sei "brutal", erinnerte sich Anfang, nachdem er seinen früheren Klub in ebendiese hinein befördert hatte: "Wenn ich darauf angesprochen werde, dann würde ich am liebsten weglaufen." Die Vergangenheit lässt sich aber nicht einfach abschütteln, das weiß in diesen Tagen wohl niemand besser als er. Nach dem verpassten Aufstieg mit Kiel ging Anfang, ausgerechnet, zum diesjährigen Relegationsgegner Köln.

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