Abstiegsduell in Gelsenkirchen:Buhrufe vom eigenen Trainer

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Tore müssen her! Deshalb will Schalkes Trainer Thomas Reis den Sturmroutinier Simon Terodde (rechts) wieder in die Startelf holen. (Foto: Tim Rehbein/RHR-Foto / imago)

Schalke-Coach Thomas Reis hat nach den jüngsten Auftritten harte Selbstkritik geübt: Im Kellerkrimi gegen Hertha BSC wird der bisher gezeigte partisanenhafte Widerstandsgeist nicht reichen.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Schalkes Trainer Thomas Reis hat selbstverständlich auch am Dienstag und Mittwoch vor dem Fernseher gesessen und die Fortschritte in der Champions League verfolgt, doch inspirierende Erkenntnisse für die eigene Arbeit möchte er lieber nicht reklamieren: "Im Abstiegskampf von der Champions League zu sprechen, da tue ich mich schwer", sagte er am Donnerstag mit jenem leisen Schmunzeln, das häufig seine Äußerungen begleitet und seine Ansicht zum Berufsleben in der Bundesliga unterstreicht: Es ist Fußball, es ist ernst. Aber es ist nur Fußball. Selbst dann, wenn Schalke 04 am Freitagabend (20.30 Uhr) gegen Hertha BSC spielt - und somit in der heißen Phase der Saison der Letzte den Vorletzten trifft.

Die vergleichsweise gelassene Haltung muss sich ein Chefcoach erst mal erlauben, der an vorderster Front eine der großen Volksparteien der Bundesliga vertritt. Reis sagt dazu, die Umstände seiner ebenso unfriedlichen wie unschönen Verabschiedung beim VfL Bochum im Spätsommer vorigen Jahres hätten ihn in gewisser Weise "abgehärtet". Doch es dürfte auch nicht unwesentlich zur soliden Verfassung des 49 Jahre alten Trainers beitragen, dass er Schalke trotz konstanter Platzierung auf einem Abstiegsrang bisher nicht von der abgründigen Seite kennengelernt hat. Zurzeit möchte man sogar fast meinen: Was ist nur aus dem guten alten Gelsenkirchener Chaosklub geworden?

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So viel unerschütterlichen Zuspruch, wie die Gefolgschaft dem aktuellen Team gewährt, haben die Schalker Profis selten erhalten, die vor einigen Jahren noch regelmäßig für Europacup-Erlebnisse sorgten. Nach dem 0:2 bei der TSG Hoffenheim am Ostersonntag und einer überraschend enttäuschenden Leistung ist Schalke wieder ans Tabellenende abgerutscht, aber die Legion der blau-weißen Fans, die die Begegnung in Sinsheim zum Heimspiel gemacht hatte, begleitete die Mannschaft mit Applaus in die Kabine. "Wäre vielleicht besser gewesen, wenn sie gepfiffen hätten - wir hätten es akzeptieren müssen", meint Reis. Und schmunzelt wieder.

Die vermissten Buhrufe musste der Trainer also selbst beisteuern: An Ort und Stelle mit unzweideutiger Kritik ("unterirdisch") und während der Woche mit einer Beweisführung per Videoschau. "Selbstkritisch" habe sich die Mannschaft gezeigt, berichtet der Coach - "die Szenen waren aber auch eindeutig".

Mit Widerstandskraft Unentschieden zu sammeln - das allein wird nicht mehr reichen, um das "Wunder" zu schaffen

Auf das Einstreuen aktueller Bilder aus der Champions League zur lehrreichen Ergänzung verzichtete der Trainer. Er sei "wahrscheinlich nicht zu negativ", wenn er nicht die Erwartung äußere, mit seinen Schalkern wie Manchester City zu spielen, sagt Reis zwar mit dem gebotenen Realismus. Doch wenn seine Spieler ebenfalls vor dem Fernseher gesessen und "sich angeschaut hätten, was ein sauberes Pass-Spiel ausmacht", hätte er gewiss keine Einwände erhoben.

Denn auf die spielerische Steigerung wird es an den nächsten Spieltagen ankommen, wenn das Wunder Klassenverbleib noch gelingen soll. Schalke hat es wochenlang geschafft, mit partisanenhaftem Widerstandsgeist ein hart erkämpftes Unentschieden an das nächste zu reihen, aber in nächster Zeit wird es nicht mehr reichen, Niederlagen zu vermeiden. Schalke muss gewinnen, um den Rückstand auf dem Punktekonto aufzuholen.

Reis kündigte bereits die Rückkehr des zuletzt nur teilzeittätigen Mittelstürmers Simon Terodde, 35, in die Startelf an - Tore müssen her! Die Partie gegen Hertha trägt also unbestreitbar existentielle Züge, doch der Trainer sieht in dem unbedingten Erfolgsdruck kein Problem für die Akteure. So ein enorm wichtiges Spiel, "das muss ja einfach Laune machen", findet er. Das Stadion ist selbstverständlich ausverkauft.

Anders als für den populären Trainer, der laut Garantie-Erklärungen des Vorstands auch im Abstiegsfall den Posten behalten darf, geht es für viele auf Schalke heimisch gewordene Spieler um die persönliche Zukunft. Stammspieler Tom Krauß, 21, von RB Leipzig geliehen, erklärter Schalke-Fan seit Kindheitstagen, müsste im Abstiegsfall zu seinem Stammklub zurückkehren. Auch der im Winter gemietete und schlagartig zum Volkshelden aufgestiegene Verteidiger Moritz Jenz, 23, ginge dann wieder in den Bestand des französischen Klubs FC Lorient über, statt den schon abgemachten Vier-Jahres-Vertrag in Gelsenkirchen zu zeichnen.

Mit entwicklungsfähigen Spielern wie Krauß, Jenz und dem 23-jährigen Heißsporn Rodrigo Zalazar, die obendrein eine Leidenschaft für den Klub haben, könnte Schalke eine Mannschaft aufbauen, die sich in der ersten Liga etabliert. Dann stünde trotz weiterhin hoher Schulden auch wieder mehr Geld für den Sport zur Verfügung. Führt hingegen der Weg wieder in die zweite Klasse, findet im Sommer nach den radikalen Umbrüchen 2021 und 2022 der nächste umfassende Personalaustausch zu sparsamen Konditionen statt.

Thomas Reis gibt nach wie vor Optimismus zu Protokoll, das Unheil abwenden zu können. Nach Wochen des Improvisierens wegen einer bereits dubiosen Verletzungswelle stand ihm in den Tagen vor dem Hertha-Spiel auf einmal der volle Kader zur Verfügung. Endlich wieder Konkurrenzkampf auf dem Trainingsplatz, "endlich mal auswählen - das kann nur helfen", stellte der Trainer höchst munter fest. Der Abstiegskampf scheint ihm wirklich Spaß zu machen.

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