Zweite Liga:Eine Quote wie bei Thomas Gottschalk

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Schalke-Fans in der Veltins-Arena (Foto: Achim Scheidemann/dpa)

Schalke, der HSV, vielleicht auch Bremen und Köln: In der kommenden Saison droht eine unfreiwillig attraktive zweite Liga. Wie man clever arbeitet, könnten die Traditionsmarken von anderen lernen.

Von Philipp Selldorf

Neben Vereinigungen wie "Suffböcke Dünnwald" und "Abschaum Köln 1999" gründete sich in der organisierten Anhängerschaft des 1. FC Köln auch ein Freundeskreis namens "Arrogantia Colonia". Ob Ironie der Pate der Namensgebung war, oder ob die Gründer es ernst meinten, spielt für die weitere Betrachtung keine Rolle, vermutlich war es sowieso beides zugleich. Wichtig ist bloß, dass sich darin das Selbstverständnis ausdrückt, das vielen Kölnern bis heute zu eigen ist, wenn sie ihren Klub mit dem Rest der Welt vergleichen. Ihnen ist zwar bewusst, dass der Verein seit bald einem Vierteljahrhundert nicht nur sportlich ein chronischer Sorgenpatient ist, aber es ist trotzdem immer noch ihr 1. FC Köln aus der Stadt, in der schon vor 2000 Jahren Latein gesprochen wurde.

Dieses stolze Bewusstsein führt unter anderem dazu, dass der FC trotz sechs Abstiegen innerhalb von 22 Jahren weiterhin als besonders faszinierende Adresse gilt, weshalb sich jetzt auch der vom Ostseestrand stammende Trainer Steffen Baumgart angeschlossen hat, obwohl er nicht weiß, in welcher Liga der Verein mit ihm spielen wird, und obwohl ihm bekannt ist, dass der Verein erstmal seine besten Leute verkaufen muss, bevor er in dieser oder jener Liga weitermacht. Der Klub stehe für "geballte Kraft", findet der vielfach umworbene Baumgart, "ich will die kölschen Emotionen hautnah erleben".

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Auch mit Horst Hrubesch auf der Bank scheitert der Traditionsklub an seinem großen Ziel, der Rückkehr in die Bundesliga. Wie es im vierten Zweitliga-Jahr weitergeht, ist ungewiss.

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Die Kehrseite des stolzen Charakters könnte am Samstag wieder hervortreten, wenn der 1. FC Köln den FC Schalke 04 empfängt. "Die Todgeweihten grüßen sich", mag es in lateinischer Tradition vor dem Anpfiff heißen: Dem FC droht selbst bei einem Heimsieg jener Abstieg, den Schalke seinerseits längst perfekt gemacht hat. Im Fall eines schlechten Endes geht es in Köln garantiert weiter wie gehabt: Dann muss der vor anderthalb Jahren gekommene Manager Horst Heldt gehen, und die Funktionäre in den diversen, mit Vorliebe konträr zueinanderstehenden Vereinsgremien werden sich gegenseitig die Schuld zuweisen. Kann sich das Präsidium dann noch halten? Fortsetzung folgt.

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Außer Kölner Lokalkolorit träte in diesem Prozess das klassische Verhaltensmuster eines sogenannten Traditionsklubs zutage - ein Wesen, das an seinen typischen Widersprüchen leidet und mit seiner geballten Kraft dann vor allem sich selbst umhaut. Dass es sich um ein grassierendes Phänomen handelt, ist bekannt, nun nimmt es in der Besetzungsliste der künftigen zweiten Liga Gestalt an. Die Liga wird gerade zum Sammelbecken altehrwürdiger Klubs, die mit sich selbst nicht klarkommen. Der Hamburger SV und Schalke 04 führen mit ihrer Prominenz die Schar an, hinter ihnen vereinigen sich Alt-Meister wie der 1. FC Nürnberg, der Karlsruher SC, Fortuna Düsseldorf und Hannover 96, aus Liga drei drängen Dynamo Dresden und vielleicht die Münchner Löwen hinzu. Wenn dann noch Köln und Bremen dazu stoßen, dann ist das Kontrastprogramm perfekt: Dann trifft sich die erste Liga in der Provinz, in Fürth, Kiel, Augsburg, Mainz und Hoffenheim, oder gleich zum "El Plastico" bei Wolfsburg gegen Leverkusen, während eine Klasse tiefer die populären Premium-Marken ein Festspielpublikum unterhalten.

Wird dann also die "Sportschau" den Ablauf ändern und den Erstliga-Block im Vorprogramm versenden, um einen besseren Sendeplatz für die quotenstärkeren Zweitliga-Berichte zu schaffen? Wird das ab nächster Saison auf Samstagabend, 20:30 Uhr, ausgelagerte ehemalige Montagsspiel der zweiten Liga der Publikumshit des Wochenendes mit Sehbeteiligungen wie bei Thomas Gottschalk?

Fachleute aus dem Profibetrieb finden die Entwicklung nicht komisch. Gewinner können sie nicht erkennen in der Konstellation, die sich gerade bildet. Die erste Liga werde an Anziehungskraft einbüßen, wenn Magneten wie Schalke, Köln und Werder nicht mehr wirken, die zweite Liga werde zum Schauplatz eines Rattenrennens. Denn wenn zehn oder zwölf Vereine den Anspruch vertreten, sie gehörten kraft Herkunft und Beliebtheit schleunigst wieder in die erste Liga, dann wird es logischerweise viele Verlierer geben. Und das womöglich nicht nur sportlich, denn um das Entkommen aus der eigentümlichen zweiten Liga zu beschleunigen, wird der eine oder andere Klub natürlich auch wieder mehr investieren, als er es vernünftigerweise tun sollte.

Auch die Anhänger des Hamburger SV können Rabatz machen. Aber: auch schon wieder ewig her. (Foto: Matthias Koch/Imago)

Das Dilemma beginnt schon in einer paradoxen Wahrnehmung. Dass Großklubs wie der HSV und Schalke in diesen Kreis geraten sind, das sorgt jenseits der hier wie dort betroffenen Gefolgschaft für viel Schadenfreude. Der Fußball-Fan, der Samstagmittags um halb drei darüber lacht, dass der HSV gegen Darmstadt 98 zurückliegt, ist allerdings derselbe Fußballfan, der darüber klagt, dass statt des HSV nun Fürth und Kiel aufsteigen und die erste Liga immer provinzieller wird. Die DFL hat dazu selbstredend nichts zu sagen. Sie hat zwar die Aufgabe, die Einnahmen für den Profifußball zu mehren, sie ist aber auch für sämtliche 36 Klubs da. Und die Bundesliga ist nicht Hollywood, wo Schönheit und Glamour zählen, sondern eine Sportveranstaltung, in der die meisten Treffer entscheiden. Wichtigste Disziplin dabei: funktionale Betriebsführung, cleveres Management. Wo es kompliziert wird: wenn Fans und Boulevardpresse mitreden und mitregieren, klassisches Merkmal von Traditionsfirmen.

Damit die erste Liga wieder die attraktivste Besetzung versammelt, müssten der HSV, Schalke, Köln und Bremen lernen, wie die potentiellen Aufsteiger VfL Bochum, Holstein Kiel und Greuther Fürth zu arbeiten. So sagen das zumindest schlaue Leute mit Einblick in die jeweiligen Geschäftsbetriebe. Sie lassen dabei allerdings aus, dass man eine Stadt wie Hamburg nicht mit einer Stadt wie Bochum vergleichen kann. Ausnahmsweise geht's dabei um mehr als um Geld: Der HSV hatte in jedem seiner mittlerweile drei Zweitligajahre mehr davon zur Verfügung als die am Ende erfolgreicheren Konkurrenten, Schalke steigt mit dem Budget eines Europacup-Kandidaten ab.

Ein Vorbild ist natürlich auch der FC Heidenheim, seit 2014 unbeugsames Mitglied der Tafelrunde. Dessen Sportvorstand Holger Sanwald freut sich schon, dass die Liga "nochmals attraktiver wird". Für die prominenten Neulinge hat er eine Warnung, die wie eine Drohung klingt: "Jeder Verein, der diese Liga unterschätzt, macht schon den ersten Fehler."

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