Hamburger SV:Das Nicht-Aufstiegs-Triple

Lesezeit: 3 min

Konnte auch nicht mehr helfen, den Aufstieg zu realisieren: HSV-Interimscoach Horst Hrubesch. (Foto: Martin Rose/Getty Images)

Auch mit Horst Hrubesch auf der Bank scheitert der Traditionsklub an seinem großen Ziel, der Rückkehr in die Bundesliga. Wie es im vierten Zweitliga-Jahr weitergeht, ist ungewiss.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Horst Hrubesch ist ein arriviertes Kopfballungeheuer, kein Magier, und das ist vielleicht schon Erklärung genug, weshalb dem Hamburger SV ein weiteres Jahr in der Zweitklassigkeit bevorsteht. Aber man kann einem der sachkundigsten Männer im deutschen Fußball auch einfach mal selbst das Wort überlassen, seine Worte haben schließlich Gewicht in der Hansestadt.

"Als Spieler wollte ich solche Spiele", erinnerte sich Hrubesch am Sonntag und sah dabei vor seinem inneren Auge vermutlich jene Jahre ablaufen, in denen er den HSV mit seinen Toren riesengroß machte. Da gibt es zum Beispiel die Geschichte vom Europacup-Finale 1983 in Athen, die Hamburger waren der klare Außenseiter gegen Juventus Turin um den gloriosen Michel Platini. Vor dem Anpfiff stapfte Hrubesch im löchrigen Trainingsanzug auf die erste Stufe der Ehrentribüne und grölte: "Bin ich hier richtig, um nachher den Pokal abzu­holen?" Er war da goldrichtig. Der HSV gewann 1:0, aus dem damals führenden Vertreter des Landes wurde in dieser Nacht der beste Klub des Kontinents.

HSV
:Wieder nichts

Am 33. Spieltag verspielt der Hamburger SV erneut den Aufstieg in die Bundesliga und geht in sein viertes Zweitligajahr. Kiel und Bochum zeigen Nerven, Fürth ist der klare Gewinner vor dem Aufstiegsfinale.

Von Thomas Hürner

Lange her. Das Endspiel, das die Hamburger am Wochenende zu bestreiten hatten, war einige Konfektionsgrößen kleiner: an der Bremer Brücke gegen den VfL Osnabrück, wo der gefallene Gigant sein unsägliches Nicht-Aufstiegs-Triple mit einer 2:3-Niederlage perfekt machte. Trotz Interimscoach Hrubesch, der vor zwei Wochen von seinem eigenen Denkmal hinabgestiegen war, um den HSV noch irgendwie auf den dritten Platz und damit in die Relegation zu manövrieren. Im Jahr 2021 lässt sich aber nicht mehr kaschieren, dass der Traditionsklub zu einem verkrusteten Gebilde ohne Pioniergeist verkommen ist.

Der HSV wollte einen "Weg der Entwicklung" gehen

Hrubeschs Urteil fiel nach der gescheiterten Mission, die im Grunde eine mission impossible war, entsprechend verheerend aus. "Ein Ziel zu erreichen", klagte Hrubesch, "das muss man sich verdienen. Aber wir haben es nicht verdient. Und man muss fragen, warum das so ist."

Es brauchte nicht viel Fantasie, um seine Ausführungen als Kritik an der Belegschaft verstanden zu wissen, an den Spielern, aber möglicherweise auch an Sportvorstand Jonas Boldt und Sportdirektor Michael Mutzel. Einen "Weg der Entwicklung" wolle der HSV künftig gehen, so wurde das von Boldt und Mutzel immer wieder kommuniziert. Diesen Weg entscheidend mitbestimmen soll auch Hrubesch, der seit Sommer hauptberuflich als Nachwuchsdirektor am Volkspark tätig ist, wenn er sich nicht gerade als Nothelfer im Profiteam verdingen muss. In seinen langen Jahren als Chefentwickler beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) wurde er U-21-Europameister, noch heute schwärmen ehemalige Zöglinge und heutige Größen wie Neuer, Khedira, Özil oder Boateng in hohen Tönen von Hrubesch.

Ein Grundgerüst an Talenten ist auch beim HSV vorhanden, allen voran Mittelfeldspieler Amadou Onana, 19, und Stürmer Robin Meißner, 21, sind hier zu nennen. Anders als Trainer Daniel Thioune, der nach zunehmender Erfolglosigkeit entlassen wurde, schenkte Hrubesch den jungen Kräften uneingeschränktes Vertrauen, nachdem er sich zu seiner letzten Aufgabe in vorderster Reihe hatte überreden lassen. Sie waren am wenigsten verantwortlich für das erneute Scheitern.

Sportchef Jonas Boldt will sich der Verantwortung stellen

Aber für welchen Weg steht der HSV nun eigentlich? Nach der vergangenen Saison, die durch eine unbegreifliche 1:5-Niederlage am letzten Spieltag gegen Sandhausen in einem sportlichen Tiefpunkt endete, kamen Boldt und Mutzel zu dem Ergebnis, dass es im Team an etablierten Säulen mangelte. Deshalb wurde eine Ü-30-Fraktion um Torwart Sven Ulreich, Verteidiger Toni Leistner, Mittelfeldabräumer Klaus Gjasula und Stürmer Simon Terodde im Kader installiert, die in der entscheidenden Saisonphase eine stabilisierende Wirkung entfalten sollte. Heraus kam jedoch ein unausgereiftes Zwitterkonstrukt aus Jung und Alt, das deutlich schlechter war als die Summe seiner Teile. Ulreich griff zu oft daneben, Leistner wurde erst in der Endphase zum Abwehrchef, die Leistungen Gjasulas wären mit "mangelhaft" noch euphemistisch beschrieben.

In Hamburg waren bislang auch keine Klagelieder darüber zu vernehmen, dass Terodde zum FC Schalke abwandern wird. 23 Saisontreffer hat er in dieser Saison bislang beigesteuert, was eine insgesamt beeindruckende Ausbeute ist. Doch in der Rückrunde wurden die Tore weniger, und es erhärtete sich der Eindruck, dass Terodde mit seiner rustikalen Interpretation des Stürmerspiels besser in die alte Hrubesch-Ära als in die Moderne passen würde.

"Ich bin der Verantwortliche, dem stelle ich mich", sagte Sportchef Boldt, der zusätzlich versicherte, dass er weiterhin die "Rückendeckung in den Gremien" spüre. Seine Arbeit wird jetzt nicht gerade einfacher. Im vierten Zweitliga-Jahr wird der HSV seinen Etat von einstmals 30 Millionen Euro auf 20 Millionen reduzieren müssen, was im Vergleich zur Konkurrenz immer noch eine beträchtliche Summe ist, allerdings nur noch eine sehr eingeschränkte Fehlertoleranz zulässt. Doch Geld ist sowieso nicht alles. In den drei Zweitliga-Jahren konnten sich Teams wie Paderborn oder jetzt Fürth am HSV vorbeischieben, weil sie die besseren Ideen hatten, einen Plan.

Als neuer HSV-Trainer ist Tim Walter im Gespräch. Er verdiente sich in Kiel als radikaler Offensivlehrer seine Meriten, scheiterte später in Stuttgart aber am Projekt Wiederaufstieg. Traditionsklub kann halt nicht jeder. Wer auch immer sich in der kommenden Saison am HSV versuchen möchte: Hrubesch wird dann wieder im Hintergrund wirken, mit jungen Fußballern und der Hoffnung, dass sie etwas zur Zukunft des Vereins beitragen können. Es muss ja längst nicht mehr der Europapokal sein.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

MeinungBundesliga
:Abstiegskampf ist ein Fest für Voyeure

Während die Traditionsklubs im Keller mit Spott und Druck klarkommen müssen, können sich Mainz und Augsburg in Ruhe retten - so werden Standort-Nachteile zu Vorteilen.

Kommentar von Philipp Selldorf

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: