FC Bayern in der Champions League:Sieg der variablen Offensive

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Überragender Angreifer des FC Bayern: Kingsley Coman erzielte zwei Tore selbst und war an einem weiteren Treffer beteiligt. (Foto: Andreas Gebert/Reuters)

Sané verletzt, Gnabry mit Corona infiziert? Dann spielt halt erst mal Coman überragend. Das 4:0 gegen Atlético zeigt die erstaunlichen Möglichkeiten des Münchner Kaders.

Von Sebastian Fischer, München

Hansi Flick hatte es bereits angekündigt. Als der Trainer des FC Bayern kurz nach dem Start in die Bundesligasaison über das neue, hochgelobte Duo auf den Flügeln seiner Mannschaft sprach, über Serge Gnabry und Leroy Sané, da fügte er noch einen Namen an, der keinesfalls vergessen werden sollte. Kingsley Coman, sagte Flick, "hätte uns heute gutgetan. Er wäre eine überragende Option gewesen". Was sich nach einem 8:0-Sieg zumindest für alle Geschlagenen auf der Seite von Schalke 04 wie blanker Hohn anhören musste, ist inzwischen die fußballerische Wirklichkeit beim Rekordmeister.

"Das ist jetzt ein bisschen der Maßstab", sagte Flick damals, nach drei Toren von Gnabry und einem Tor und zwei Vorlagen von Sané. "Er hat jetzt die Messlatte vorgelegt", sagte Flick nach dem 4:0 am Mittwochabend gegen Atlético Madrid und zwei Toren und einer Vorlage von Coman.

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Der Sieg des Titelverteidigers zum Auftakt der Champions-League-Saison war ein Erfolg der Zweikampfstärke, der "körperlichen Präsenz", die Flick lobte, auch weil er sie zuletzt in der Bundesliga etwas vermisst habe. Anders kann man kaum gewinnen gegen einen für Körperlichkeit gefürchteten Gegner, gegen die Defensivspezialisten aus Madrid, die Thomas Müller während des Spiels laut hörbar im leeren Stadion "die größten Rabauken" nannte, als er sich über eine gelbe Karte gegen ihn aufregte. Doch auf diesem soliden Fundament der Wehrhaftigkeit war der Sieg auch der einer variablen Offensive, die zumindest am Mittwoch das Fehlen von zwei Nationalspielern kompensieren konnte.

Coman schlägt zwei demütigende Haken

Sané, 24, ist nach einer Kapselverletzung erst seit Mittwoch wieder zurück im Training. Gnabry, 25, fehlt nach seinem positiven Corona-Test vom Dienstag vorerst. Auch für solche Szenarien wünschte sich Flick einen breiten Kader. Der als weitere Ergänzung bei Juventus Turin ausgeliehene Douglas Costa, 30, benötigt allerdings noch etwas Zeit zur Eingewöhnung. Der talentierte Jamal Musiala, 17, soll behutsam aufgebaut werden. Umso wichtiger ist nun Coman, 24, der zu Saisonbeginn fehlte, nachdem er als Kontaktperson eines Corona-Patienten galt. Bis zum Mittwoch war der Kopfball zum 1:0 im Champions-League-Finale gegen Paris sein letztes Tor.

Nun war sein 1:0 gegen Atlético wegweisend, als er nach einem herausragenden Pass von Joshua Kimmich im Strafraum den Ball technisch hochwertig kontrollierte und ruhig abschloss. Am schönsten war das 4:0, nach einem ebenfalls herausragenden Steilpass von Müller, Coman dribbelte Atléticos Verteidiger Felipe mit gleich zwei demütigenden Haken aus. Am meisten über das Spiel verriet das 2:0, das Coman nach einem Dribbling im Fallen mit einem Pass auf Leon Goretzka vorbereitete. "Wir haben die Räume bespielt, die wir bespielen wollten", sagte Flick: "Es war eine Sache, die wir vorher gesehen hatten: Bei Atlético steht die letzte Kette immer sehr tief. Wenn dann Flanken kommen, ist der Rückraum offen bei ihnen." Comans Vorlage war zwar keine Flanke, das Muster allerdings das beschriebene. Goretzka traf aus dem offenen Rückraum.

Das Offensivspiel gegen Atlético war ein Gemeinschaftswerk, bei dem der für Gnabry ersatzweise auf den Flügel ausgewichene Müller ständig woanders auftauchte, wie man das von ihm kennt. Auch im Mittelfeld wechselten die defensiveren Kimmich und Goretzka mit dem offensiveren Corentin Tolisso die Positionen, wobei gerade die Rolle des Franzosen, der mit einem Distanzschuss zum 3:0 traf, eine überraschend prominente war. Und dann rissen die Sprints von Coman große Lücken in der Atlético-Defensive, in der herausragende Mannschaften schon abendelang vergebens nach Lücken gesucht haben.

Der FC Bayern hat sich in den vergangenen Jahren fußballerisch zu einem großen Teil über seine Flügelangreifer definiert, sie hießen Franck Ribéry und Arjen Robben und spielen inzwischen, mit 37 und 36, in Florenz und Groningen, wo sie immer noch rüstig von außen in die Mitte ziehen. Es ist nicht so lange her, da galten die beiden als fast unersetzlich - ironischerweise zu einer Zeit, in der sie im Zweifel von Fußballern ersetzt werden sollten, die nun auch Sané und Gnabry ersetzen sollen: Müller muss seit jeher von seinem Stammplatz in einer möglichst unbegrenzten Mitte manchmal auf die Flügel ausweichen. Costa kam erstmals 2015 zu den Bayern, bevor er 2017 nach Turin ging - dorthin, von wo Coman 2015 gekommen war.

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Doch der Franzose, erst 2017 fest verpflichtet, auch danach verletzungsanfällig und manchmal als wankelmütig in seinen Leistungen charakterisiert, ist inzwischen eben auch kein Talent mehr, das seine Klasse erst noch beweisen müsste, sondern ein Champions-League-Sieger. Und er hat einen Trainer, der ihn nicht nur schätzt, sondern auch richtig einzuschätzen und einzusetzen weiß. Dass Flick Coman vor zwei Monaten im Finale von Lissabon aufstellte, war damals ja eine durchaus überraschende Wahl, die Flick unter anderem mit einem möglichen "Schuss Extramotivation" begründete, weil Coman in der Jugend fürden Finalgegner Paris spielte.

Auch nach dem Spiel gegen Madrid ging es um Comans Motivation. Ob sie in der Champions League möglicherweise größer sei als in der Bundesliga, wo er bisher nicht so regelmäßig trifft? Flick nahm das gerne auf. Tore und Vorlagen, eine Leistung wie am Mittwoch, sagte der Trainer, "das muss man von einem Spieler seiner Qualität in den anderen Wettbewerben genau so erwarten".

© SZ vom 23.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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