Das ist natürlich nicht nett: Da hat man als Fußballmannschaft den obersten Titel des europäischen Fußballs gewonnen, und wenn man dann als Titelverteidiger in den neuen Wettbewerb startet, ist niemand da, der einen feiern kann. Man hat sich an Geisterspiele inzwischen zwar gewöhnt (gab es jemals Zuschauer?), aber an einem Abend wie diesem fiel der Mangel noch deutlicher auf als sonst.
Sehr unfestlich musste der FC Bayern in die Champions League starten, die er vor zwei Monaten doch erst gewonnen hat, und dann hatte das Los den Münchnern auch noch Atletico Madrid beschert, diesen Gast, den man nicht sehr gerne auf der Party hat. Atletico kann das ja super: gut gelaunt auf einer Party erscheinen und allen andere die Laune verderben.
Zum Glück hat Atletico immer auch den Trainer Diego Simeone dabei, der in einem leeren Stadion ganz allein für eine Champions-League-ähnliche Geräuschkulisse sorgen kann; Simeone kommentierte das Geschehen lautstark und unablässig, und so manchen Zweikampf führte er an seiner Seitenlinie mit. Wenn drinnen einer hoch sprang, sprang er draußen sicherheitshalber mit, aber all das reichte am Ende nicht, um den Titelverteidiger ernsthaft zu erschrecken. Zum Auftakt der neuen Runde bezwangen die Bayern das angeblich furchterregende Atletico dann doch recht feierlich mit 4:0 (2:0) - was ihre Favoritenrolle nicht kleiner machen wird.
Einen nicht in der Tabelle vermerkten Extrapunkt gewann dann noch Thomas Müller für die Kommentierung seiner gelben Karte: "Wir spielen gegen Atletico Madrid, die größten Rabauken im Weltfußball, und dann gibt das Gelb..." Müllers Trainer Hansi Flick zeigte sich später "sehr zufrieden mit dem Ergebnis, vier Tore geschossen, eines schöner als das andere". Den Abend lasse man jetzt "einfach so stehen, den können wir genießen".
Dass der Sieger des Corona-Champions-League-Turniers seinen Fußball aber immer noch in unnormalen Zeiten spielt, war schon vor dem Spiel deutlich geworden, der Corona-Befund bei Stürmer Serge Gnabry hatte den Tag zunächst überschattet. Für solche und andere Notfälle hat Trainer Hansi Flick ja auf einer massiven Kaderverbreiterung bestanden, dennoch brachte er anstelle von Gnabry keine der im Spätkauf kurzfristig erworbenen Spezialkräfte.
Der Brasilianer Douglas Costa, das vermeintlich passende Gnabry-Double, blieb zunächst auf der Bank, Flick setzte gegen das athletische Atletico weniger auf filigrane Flügel, eher auf robuste Körperlichkeit. So rutschte Thomas Müller auf die rechte Flanke hinaus, für ihn besetzte Correntin Tolisso das offensive Zentrum - und nach anfänglichen Schwierigkeiten gegen sperrige Spanier starteten die Bayern dann ein hübsches Rotationssystem, das Atletico schwer missfiel.
Mal traf man Müller im Zentrum und Tolisso dafür auf dem Flügel, mal tauchte der offensive Sechser Leon Goretzka plötzlich auf der Zehnerposition auf - Positionswechsel, die auch nötig waren, um den anfangs aufmüpfigen Partycrashern von Atletico ihrerseits den Spaß zu verderben. So wurde die rechte Seite, auf der Gnabry sonst spielt, zur hoch flexiblen Zone - die Bayern ließen die Seite oft frei, um dann überraschend und mit unterschiedlichen Spielern hinein zu stoßen.
Süles Pfostentreffer nach einer Ecke von Kimmich (15.) entsprang noch keiner wirklichen Münchner Überlegenheit, aber Comans Führungstreffer (28.) war dann schon klar verdient. Kimmichs hervorstechendster Charakterzug (= rasender Ehrgeiz) führte dazu, dass er im Zentrum einen Ball zurückeroberte, und dann schickte er kunstvoll einen halb hohen Ball mitten durch die Abwehr der grimmigen Spanier. Coman bewies seinen Sinn für historische Zusammenhänge, stoppte den Ball herunter und verwandelte lässig zum 1:0.