FC Bayern in der Champions League:Bayerns Überfall auf die Rabauken

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Hat gut geklappt, gell? Corentin Tolisso und Bayern-Trainer Flick freuen sich nach dem 4:0 gegen Atlético. (Foto: Getty Images)

Wenn der Diesel von Hansi Flicks Elf losblubbert, sind sogar die garstigsten Gegner derzeit chancenlos. Das 4:0 gegen Atlético ist dank taktischer Kniffe auch ein kleiner Trainersieg.

Von Jonas Beckenkamp

In der 75. Minute trabte Luis Suárez vom Platz wie man eben trabt, wenn so gar nichts mehr geht in einem Fußballspiel. Der Stürmer von Atlético Madrid, der sonst gerne mit Biss seiner Lieblingsbeschäftigung nachgeht und Tore schießt, schlich per Auswechslung in den Feierabend. Er war wirkungslos geblieben. Und zu diesem Zeitpunkt lautete seine persönliche Bilanz in den vergangenen beiden Partien gegen den FC Bayern: zwölf Gegentore. Acht hatte er im Sommer beim Finalturnier der Champions League mit dem FC Barcelona kassiert, diesmal waren es vier.

Ein Hauch von HSV (und neuerdings Schalke) umwehte in diesem Moment den Uruguayer, plötzlich war auch der große Suárez (144 Liga-Tore für den FC Barcelona) nur noch ein weiterer vermöbelter Fußballer. An diesem Abend beim 4:0 (2:0) des FC Bayern zum Auftakt in eine neue europäische Saison stand er stellvertretend für die chancenlose Konkurrenz in diesem Jahr gegen die Münchner Allesfresser, diese nimmermüde Walze. Gegen ein Team, das so sehr in sich ruht, dass es mittlerweile selbst die "größten Rabauken" der Branche einfach daherspielt.

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Kleiner Abstecher in die jüngere Geschichte: Wie schon im Champions-League-Finale leitet das Duo Kimmich/Coman einen klaren Bayern-Sieg ein. Der Titelverteidiger startet mit einem 4:0 gegen Atlético in die neue Runde.

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Diese herrlich antiquierte Umschreibung hatte Thomas Müller lautstark in den Fröttmaninger Himmel geschrien, als er in der ersten Hälfte eine seltsame gelbe Karte erhielt. "Wir spielen gegen Atlético Madrid, die größten Rabauken im europäischen Fußball, und dann gibt das Gelb oder was", regte sich Müller Richtung Schiedsrichter auf - dank Geisterspiel-Atmosphäre konnte die Welt zuhören, wie der Müllerthomas grantelt. Er gilt ja als eifriger Kommentator des Geschehens auf dem Feld. Aber eigentlich musste er sich nicht wirklich aufregen, denn schon kurze Zeit später blubberte der bayerische Diesel los und fegte mit aller Unerschütterlichkeit über die sonst so widerspenstigen Spanier hinweg.

Allen widrigen Umständen um die erst am Spieltag bekannt gewordene Corona-Infektion von Serge Gnabry zum Trotz, lieferte der Titelverteidiger eine Demonstration ab, ein Statement an die obere Etage in Europas Fußball. Es lautete: Glaubt ja nicht, dass wir in irgendeiner Form nachlassen. Einiges deutet darauf hin, dass Hansi Flicks Elf sogar noch besser geworden ist im Vergleich zum Vorjahr. "Bayern befindet sich in einer großartigen Phase, ihre unbändige Kraft hat heute den Unterschied gemacht", räumte auch Atlético-Trainer Diego Simeone ein. Und wenn schon der oberste Rabauke des Weltfußballs so anerkennend spricht, muss Außerordentliches passiert sein.

Tatsächlich erlebten die Fernsehzuschauer (im Stadion waren ja keine zugelassen) eine Vorführung in Sachen Wuchtbrummenfußball, zweite Bälle und Balleroberungen. Alle vier Tore entsprangen im Grunde demselben Schema: Die tief postierten Gäste, sonst wahre Meister der Entfesselung, bekamen die Kugel nicht hinten raus und die Bayern packten beim Umschalten zu wie ein Löwenrudel. Das 1:0 (28. Minute) durch Kingsley Coman leitete Joshua Kimmich per Grätsche und Halbfeldflanke ein, die Entstehung von Leon Goretzkas 2:0 (41.) erwirkte der äußerst präsente Corentin Tolisso mit einem von Hector Herrera weggespitzelten Ball.

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Corentin Tolisso jagt den Ball aus der Distanz in den Winkel, Kingsley Coman dribbelt wie einst Okocha und Thomas Müller schimpft über "die größten Rabauken des Weltfußballs". Die Bayern in der Einzelkritik.

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Der dritte Treffer (66.) war ein Bilderbuchschuss Tolissos, nach dem ein Freistoß von Suárez' Füßen zurück vor den Sechzehner geprallt war. Und das 4:0 entstand aus einer weiteren Umschalt-Situation, als Müller steil zu Coman passte, der mit ein paar Jay-Jay-Okocha-Gedächtnispirouetten um halb Madrid herumwedelte (72.). Einzig ganz zu Beginn hatte es Anzeichen auf Spannung gegeben, als die Münchner kurz feststellen mussten, dass Atlético keine herkömmliche Bundesligamannschaft ist, sondern schon ein paar Klassen besser. Trotzdem: Vier. Zu. Null.

Flicks richtige Beobachtung

"Danach hatten wir eine gewisse körperliche Präsenz, die wichtig war", fasste es Trainer Hansi Flick zusammen, "gegen eine Mannschaft, die sehr robust agiert. Wir haben das erste Spiel insgesamt mit vier Toren souverän runtergespielt." Neben der Physis macht die Münchner aktuell auch die Akribie ihres Coaches aus. Dass die Partie so verlief mit ihrem Tempo und ihrer Dringlichkeit seitens der Bayern, lag auch an seiner Taktik. Flick hatte erkannt, dass es gegen Atléticos Abwehrnetz nichts bringt, sich im reinen Ballbesitz zu ergehen, sondern seiner Elf Tiefgang verordnet: Weil es viel über außen ging, musste die ohnehin schon weit zurück hängende Defensive der Spanier immer weiter zurückweichen.

"Wir haben die Räume bespielt, die wir bespielen wollten", erklärte Flick. Sein Plan, die Madrilenen über die zweite Welle zu knacken, war aufgegangen. "Es war eine Sache, die wir vorher gesehen hatten: Bei Atlético steht die letzte Kette immer sehr tief. Wenn dann Flanken kommen, ist der Rückraum offen bei ihnen." Und um mittels gewonnener Bälle in diese Räume hineinzustoßen, brauchte es die Primärtugend des guten alten Zweikampfs. "Wir haben häufig den Körper reingestellt", erkannte Flick. Er hatte jene Verschmelzung von Körperlichkeit und strategischem Geschick angeordnet, der Überfall auf die Rabauken aus La Liga war also auch ein kleiner Trainersieg.

Der andere Tagessieger hieß einmal mehr Kingsley Coman, der sein üppiges Repertoire um eine furchteinflößende Schärfe erweitert hat. Zwei Tore in aller Schönheit, eine Vorlage beim Goretzka-Treffer - es scheint so, als würde der Franzose einfach so weiter spielen wie im Sommer in Lissabon. Der Finalheld von damals hat seine Form konserviert, aber das ließe sich erstaunlicherweise von beinahe allen Münchnern behaupten. "Zwei Tore, das macht mich sehr glücklich", sagte der Flügelstürmer, der neuerdings auch auf Deutsch Interviews gibt. "Natürlich denke ich noch manchmal an das Tor im Finale zurück. Aber jetzt ist eine neue Champions-League-Saison. Wir wollen weiter gewinnen."

Darf man ihm gerne glauben nach 28 Bayern-Siegen in den vergangenen 29 Königsklasse-Partien. Bei zwei davon durfte Luis Suárez immerhin aus nächster Nähe zuschauen.

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