Traditionsklubs aus Aachen und Duisburg:Jubel im Süden, Trauer im Norden

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Szenen der Enttäuschung beim MSV Duisburg - in dieser Saison Alltag. "Wir fahren weit, wir fahren viel - und verlieren jedes Spiel", sangen kürzlich die mitgereisten Fans des abstiegsbedrohnten Traditionsklubs. (Foto: Maximilian Koch/Imago)

Während Alemannia Aachen kurz vor der Rückkehr in die dritte Liga steht, muss der MSV Duisburg wohl erstmals in Liga vier absteigen - in der Hoffnung, dass die Sonne irgendwann wieder aufgeht.

Von Ulrich Hartmann

In der Fußballstadt Duisburg geht gerade die Welt unter. Erstmals in seiner Geschichte steigt der MSV ziemlich sicher in die vierte Liga ab. 94 Kilometer südwestlich geht in Aachen derweil die Sonne auf: Die Alemannia kehrt nach elf Jahren zurück in die dritte Liga. Schon am Samstag können sich die Wege der nordrhein-westfälischen Traditionsklubs zwischen den beiden Ligen kreuzen. Den Duisburgern droht gegen Sandhausen der finale Schubs hinunter in die Niederungen des Regionalfußballs. Zugleich kann Aachen gegen den 1. FC Bocholt den Aufstieg perfekt machen. Mehr als 30 000 Zuschauer wollen im Tivoli-Stadion feiern.

Jubel im Süden des Rheinlands, Trauer im Norden. "Wir fahren weit, wir fahren viel - und verlieren jedes Spiel", sangen die mitgereisten Fans des MSV während der 0:2-Niederlage am vergangenen Samstag in Ingolstadt. Den Spielern riefen sie zu: "Ihr seid eine Schande für Duisburg!" Drei Tage später wurde Trainer Boris Schommers suspendiert. Der Meidericher Spiel-Verein, in der Bundesliga-Premierensaison 1963/64 noch stolzer Zweiter hinter dem Meister 1. FC Köln, hat seit seinem Bundesliga-Abstieg 2008 viele trübe Momente erlebt. Doch der Absturz in die vierte Liga ist der Tiefpunkt eines schleichenden Niedergangs.

Solche dunklen Momente kennen sie auch in Aachen: 2007 der Abstieg aus der Bundesliga, 2012 jener aus der zweiten Liga; außerdem zwei Insolvenzen 2012 und 2017 - und zuletzt elf Jahre am Stück Regionalliga West mit Gegnern wie Velbert, Wiedenbrück und Bocholt im stattlichen 31 000-Zuschauer-Stadion. Beinahe schon erstligatauglich ist in Aachen in dieser Saison der Publikumsverkehr: Mit seinen im Schnitt 18 400 Besuchern pro Heimspiel rangiert der Viertligist in der saisonalen Rangliste des deutschen Fußballs auf Platz 30 - vor 19 der 20 Drittligisten, vor sechs der 18 Zweitligisten und sogar vor den Bundesligisten Darmstadt und Heidenheim.

Ganz Aachen sei elektrisiert, sagt Alemannias Geschäftsführer und Sportlicher Leiter Sascha Eller: "Das ist der Wahnsinn!" Der 48 Jahre alte Wormser begann vor sechs Jahren bei der Alemannia als Jugendtrainer und übernahm 2022 die Geschäftsführung. Sein ausdrücklicher Dank gilt dem Trainer Heiner Backhaus. Der 42 Jahre alte Wittener ist erst seit sieben Monaten Alemannias Trainer, er war vorher in Berlin beim BFC Dynamo auch schon in der vierten Liga. Backhaus gilt als Motor einer fußballerischen Willensleistung, als Kitt einer verschworenen Mannschaft. Bester Torschütze der Alemannia und der Regionalliga West ist mit 16 Treffern der gebürtige Bielefelder Anton Heinz, der vorher für Verl, Lippstadt und Oberhausen gespielt hat und noch nie über die vierte Liga hinausgekommen ist.

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Für Aachen ist der Erfolg des Fußballklubs ein Segen. "Wir sind der größte Werbeträger der Stadt", sagte Alemannias Aufsichtsratsboss Marcel Moberz der Welt. Damit deutet der 41 Jahre alte gebürtige Aachener auf jenen wirtschaftlichen Faktor selbst im unterklassigen Fußball hin, der auch als Trost und Ansporn in Duisburg gelten dürfte. Bei Rot-Weiss Essen, vor zwei Jahren nach 13 Jahren Viertklassigkeit in die dritte Liga zurückgekehrt, haben sie kürzlich eine Studie in Auftrag gegeben. Die behauptete, dass der Fußballklub für Essen und Umgebung jährlich einen regionalökonomischen Effekt in Höhe von mehr als 48 Millionen Euro generiere. Zurzeit träumt Rot-Weiss sogar vom Aufstieg in die zweite Liga, kurz vor Saisonschluss hat man Kontakt zum Relegationsplatz.

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Auch in Münster herrscht in der ersten Drittligasaison nach zuvor drei Jahren vierter Liga gerade wieder beste Stimmung. Die Westfalen belegen den verheißungsvollen Relegationsplatz zur zweiten Liga. Dem schwäbischen Mit-Neuling SSV Ulm winkt gar der direkte Durchmarsch nach oben, nachdem dies in der vergangenen Saison auch schon der saarländischen SV Elversberg gelungen war. An solchen Vorbildern können sie sich in Duisburg hochhalten. Des Rückhalts bei der Stadt und relevanten Sponsoren haben sich die Meidericher bereits vor dem Vollzug des Abstiegs versichert. Auch sie wollen ihre Viertligaspiele wie Aachen in der großen Arena bestreiten. Vielleicht entsteht schon in der kommenden Saison auch hier eine neue Euphorie.

Es sieht so aus, als sollte der neue MSV-Manager Michael Preetz, einst bei Hertha BSC und seit Januar in Duisburg, den Neubeginn in der Regionalliga anführen. Er muss mit überschaubaren Mitteln (Etat künftig geschätzt bei drei Millionen Euro) einen neuen Kader zusammenstellen, bloß zwei aktuelle Spieler haben dem Vernehmen nach einen Vertrag auch für die vierte Liga. Dies böte die Möglichkeit, den Neubeginn mit unbelasteten Spielern anzugehen.

Ein Selbstläufer wird das allerdings nicht. Nicht alle NRW-Traditionsklubs haben die Rückkehr geschafft. Fortuna Köln, Rot-Weiß Oberhausen und der Wuppertaler SV hängen weiter in der vierten Liga fest. Wattenscheid 09, der KFC Uerdingen und die Sportfreunde Siegen sind in der fünften Liga verschwunden. Wattenscheid, zuletzt 1994 Bundesligist, hatte in dieser Saison sogar Abstiegssorgen. Allerdings hat der Klub aus dem Bochumer Stadtteil kommunal und regional nicht die emotionale Bedeutung von Vereinen wie Rot-Weiss Essen, Preußen Münster oder Alemannia Aachen. Auch der MSV genießt besondere Aufmerksamkeit bei Fans und Unterstützern. Und so gilt im Duisburger Fußball: Die Sonne mag untergehen, aber sie geht irgendwann auch wieder auf.

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