Wintersportorte:Skifahren alleine reicht nicht mehr

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Aprés-Ski ist in vielen Wintersportorten nur noch ein Baustein im Unterhaltungs-Sortiment. (Foto: Skiwelt Wilder-Kaiser-Brixental)

Freeride-Zonen, Popstars und sogar ein Pistenraupen-Ballet: Angesichts sinkender Gästezahlen kämpfen Wintersportorte hart um ihr Publikum.

Von Dominik Prantl

Der Winter schien noch in weiter Ferne zu sein, da warf er seine Schatten bereits voraus. Und wie! Bei mehr als 20 Grad Celsius eröffneten die Bergbahnen Kitzbühel am 13. Oktober dieses Jahres die Skisaison mit zwei Abfahrtspisten an der nicht einmal bis auf 1900 Meter reichenden Resterhöhe. Die weißen Schneisen waren mithilfe von Altschnee aus dem Vorwinter, der den Sommer über zu diesem Zweck in riesigen Depots konserviert worden war, in die sonst braungrüne Landschaft planiert worden. Umweltschützer reagierten entsetzt, in den sozialen Medien debattierten die Follower und Fans und die Feinde des Skizirkus hitzig über den auf 1,6 Kilometer ausgewalzten Schnee von gestern, während Marketingexperten wahrscheinlich heute noch damit beschäftigt sind, den Werbewert der eher grotesk anmutenden Aktion zu berechnen.

Dabei hatten die Kitzbüheler Wintermacher im Grunde nur eine Entwicklung auf die Spitze getrieben, die in Österreich - und hier vor allem in Tirol - seit Jahren im Gange ist. Diese Entwicklung hat etwas damit zu tun, dass den Skigebieten langsam die Gäste ausgehen. Mehrere Studien wie die jährlichen Erhebungen des Unternehmensberaters Laurent Vanat stellen längst einen Rückgang oder wenigstens eine Stagnation der Skifahrerzahlen in Mitteleuropa fest. Umso härter wird der Konkurrenzkampf um den Restbestand an gondelnden Gästen geführt.

Modernisierung und Skigebietserweiterungen sind da eine Möglichkeit, um noch mehr Reize zu setzen. Nur sind den Schneisenschlägern und Pistenwalzern der Skiindustrie durch Raumordnungsprogramme und Umweltprüfungsverfahren Grenzen gesetzt; wenngleich diese oft nur widerwillig akzeptiert werden und stets vom Aufweichen bedroht sind. Zum Glück gibt es weitere Tricks, den Skibetrieb auch ohne Genehmigungen und Baumaßnahmen auszuweiten, räumlich und zeitlich, in alle Richtungen.

Freeriden bedeutet de facto eine Ausweitung des Skigebietes

Die räumliche Ausdehnung läuft im Jargon des Wintersports unter dem Begriff "Freeriden". Darunter wird im weiteren Sinne das Skifahren im nicht präparierten Gelände jenseits der Pistenbegrenzung verstanden. Das gab es früher schon, ist heute durch besseres Material und den größeren Ehrgeiz vieler Skifahrer jedoch besonders gefragt. Für alle, die mit dem Skifahren Geld verdienen wollen, ist dies eine sehr angenehme und daher auch durchaus aktiv vorangetriebene Entwicklung. Anders als beispielsweise der klassische Skitourengeher löst der Freerider nämlich ein Liftticket. Gleichzeitig braucht er außer teuren Sportgeräten eine noch teurere Sicherheitsausrüstung, um sich beim Ausritt ins möglicherweise lawinengefährdete Gelände der Verantwortung der Pistenbetreiber entziehen zu können. Im Grunde handelt es sich hierbei also gewissermaßen um eine informelle Skigebietserweiterung.

Aufwendiger und herausfordernder ist die zeitliche Ausdehnung. Schon beim Ablauf eines Skitages gibt es kaum mehr Grenzen. Jedenfalls reicht der übliche Pistenbetrieb zwischen halb neun und halb fünf offenbar längst nicht mehr aus. Morgens lockt vor dem offiziellen Liftstart - natürlich gegen einen deftigen Aufpreis für sogenannte VIP-Gäste - ein Frühaufsteher-Paket namens "Early Bird", "Ski 'n' Brunch" oder "Skikeriki". Und wer nach Betriebsschluss immer noch nicht genug hat, darf sich am Ende des Skitages beim Vollmondskifahren, Flutlichtwedeln oder auch dem Fackellanglauf abarbeiten. Das oft naserümpfend beschriebene Après-Ski ist da nur noch ein kleiner Baustein im Sortiment der Skigebiete.

Wirklich ans Eingemachte geht es beim Verlängern der Saison. Denn mittlerweile werden die Saisonzeiten trotz Schneemangels so stark ausgereizt, dass nur noch Insider wissen, wo und wann Anfang und Ende sind. Der Start wird - siehe Resterhöhe - auch dann nach vorne gelegt, wenn sich der Sommer noch längst nicht verabschiedet hat, und gerne trotz eines frühen Frühlings um jeden Preis in die Länge gezogen. Die Alpen werden nicht nur inszeniert, sondern optimiert, als ginge es darum, den letzten Cent aus ihnen herauszupressen.

Jede Menge Attraktionen zum Einstand und Ausklang

Dabei braucht es gerade zum Einstand und Ausklang des Winters vielerorts jede Menge Geschmacksverstärker, um den Appetit der Gäste aufs Skifahren anzuregen. So trat kürzlich beispielsweise Jason Derulo zum mittlerweile obligatorischen Saisoneröffnungskonzert auf der Idalp in Ischgl auf. Jason Derulo hat mit den Alpen zwar ungefähr so viel zu tun wie ein Alligator aus den Everglades, aber irgendwie ist das wieder ehrlich, weil das auch für die meisten Skifahrer in Ischgl gilt. Außerdem darf Ischgl beinahe so etwas wie ein Urheberrecht auf jene Konzertkultur beanspruchen, die sich in den Skigebieten jenseits der Stoßzeiten geradezu flächendeckend breitmacht: Wanda kommt am Samstag nach Obertauern, Saalbach verspricht nur eine Woche darauf ein Bergfestival mit Feine Sahne Fischfilet und Seiler und Speer, während der Hochzeiger mit Revolverheld lockt. Wer wie Galtür nicht ganz so viel Geld investiert, hat womöglich nur Radio Ramasuri im Programm.

Der Liveact ist freilich nur ein Lockmittel. Es gibt Oktoberfeste und Sportartikel-Testtage zum Auftakt oder Full-Metal- und Electric-Mountain-Festivals zum Ausklang der Saison. In Mayrhofen verkürzt eine Sportveranstaltung namens "Rise and Fall" das Warten auf eine ohnehin Gewinn versprechende Weihnachtszeit, wogegen Saisonabschlussrennen wie der "Weiße Rausch" in St. Anton oder der "Weiße Ring" in Lech fast schon Nostalgiecharakter besitzen. Und wer einem Tanz der Pistenraupen zusehen möchte, kann im April in Sölden das Gletscherschauspiel namens Hannibal auf 3000 Metern besuchen.

Was Kitzbühel betrifft, hat die Geschichte mit den Pisten im Grünen womöglich ein Nachspiel. Den Bergbahnen droht eine Strafe von maximal 14 600 Euro, weil die naturschutzrechtliche Bewilligung für das Schneedepot fehlte. Dafür wurden an der Resterhöhe 90 000 Fahrten innerhalb der ersten sechs Wochen gezählt.

© SZ vom 30.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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