Contra Familienhotel:Raus aus dem Spielplatz-Ghetto

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Allein unter Kindern? Bloß nicht. (Foto: Kim Daniel/Unsplash)

Familienhotels bieten eigentlich alles, was Eltern und Kindern den Urlaub angenehm macht. Aber soll man da wirklich hin?

Von Gerhard Matzig

Gegen Familienhotels und überhaupt gegen betont kinderfreundliche Ferien zu sein, das ist in etwa so bizarr, ja disgusting, als würde man sich öffentlich für das Bienensterben oder die Zwangsprostitution aussprechen. Oder als zählte man Dieselabgase und Waffenschmuggel zum Weltkulturerbe. Das ist also eine offensichtlich ziemlich anfechtbare, irgendwie asoziale und gesellschaftlich höchst befremdliche Position. Möglicherweise ist so ein Denken sogar psychopathologisch auffällig.

Mehrheitsfähig ist etwas anderes. Was zum Beispiel? Da fällt einem das "lustige Einchecken" im "Baby & Kinder Bio-Resort Ulrichshof" ein. "Während die Eltern in der Lobby einchecken", verspricht die Homepage des hochgelobten Familienhotels, "rutschen die Kinder in das Schrazelland." Gemeint ist damit ein 400 Quadratmeter umfassender Spielbereich im Keller. Mit Bobbycar-Rennstrecke. Schrazel, das sind der Sage zufolge kleine Erdbewohner, die im Bayerischen Wald einst in Höhlen unter der Erde hausten.

Der Ulrichshof, auf halber Höhe zwischen Deggendorf und Regensburg sowie nah an der Grenze zu Tschechien gelegen, ist dennoch ein überirdisch schöner Ort. Wobei man jetzt vielleicht gestehen sollte, dass man den Bayerischen Wald als Niederbayer ohnehin für das lange vermisste Atlantis hält. Und sinnvoll ist an dieser Stelle wohl auch der Hinweis, dass man als Familienmensch und Vater dreier Kinder schon einige durchaus ausgeruhte Tage im Ulrichshof verbringen durfte. Man kennt das Abenteuerland, die Spielscheune, die Hüpfburg, das Piratenschiff oder den Marterpfahl. So stellt sich die Frage, warum man das Ganze trotz jeder Menge Familiengerechtigkeit auch als eine Art Marter empfinden kann.

Es gibt zunächst ein paar naheliegende Gegenargumente. Beispielsweise ist es seltsam, dass Eltern und Kinder offenbar gern getrennt sind in den Ferien. Das Wellnessareal ist den Eltern vorbehalten, die Hüpfburg den Kindern. Das alles ist fein zoniert. Dagegen ist das Buffet mancher Familienhotels ein einziger rechtsfreier All-inclusive-Raum, wo alles fröhlich dahinplätschert: Benimmregeln, Saucen, Säfte ... Schön ist das für Leute, die Tortenschlachten etwas abgewinnen können. Falls diese aber doch unterbunden werden, dann ist man von früh bis spät Zeuge diverser erzieherischer Diskurse am Nachbartisch. Insofern ist das Familienhotel etwas zwischen Tortenschlacht und Pädagogikseminar.

Es ist aber auch noch etwas Grundsätzlicheres einzuwenden. Wenn nicht alles täuscht, gibt es in der Gesellschaft nicht nur eine "soziale Segregation", eine finanziell bedingte Entmischung der Schichten, schlimm genug, sondern es gibt auch eine räumliche Drift der Milieus. Abzulesen ist das Auseinandergehen der Lebenswelten auch an der Ausdifferenzierung der Ferien-Zonen. Das ist kein Zufall, denn der Urlaub ist ja auch immer ein Sehnsuchts-Topos. Ein Ideal.

Zu diesem Ideal gehört eine Idee der Ungestörtheit und der Exklusion. Das Ideal ist ein Areal, das frei ist von Phänomenen jenseits eigener Überzeugungen. Fünfsterne-Menschen sind deshalb nur selten in Billigherbergen anzutreffen. Kulturtouristen sind keine Feriensportler und diese sind keine Wellnessjünger. Und Familienhotels sind frei von Leuten, die keine Kinder haben. Von spezifischen Marktsegmenten flötet die Branche. Man könnte aber auch "Urlaubsseparatismus" dazu sagen.

Gerichte in Deutschland, die sich mit Klagen von Anwohnern auseinandersetzen, die sich gegen den Bolzplatz oder den Lärm aus der Grundschule wehren, wissen, dass Kinder nicht mehr als selbstverständlich wahrgenommen werden in der Normalität einer an Überalterung leidenden Gesellschaft. Familien und Nichtfamilien, kleine und große, alte und junge Menschen gehören aber in unseren Alltag hinein. Der ist es, der nicht nur familiengerecht, sondern vor allem menschenfreundlich zu sein hat. Schön, wenn es auch Familienresorts gibt. Doch letztlich sind das Reservate. Schrazel sollten nicht im Untergrund oder gut bewacht leben müssen.

Man kann auch ganz normale Hotels mögen, weil das einmal Orte waren, an denen sich Fremde begegnet sind. Im Familienhotel macht man nicht nur Urlaub mit-, sondern leider auch voneinander.

© SZ vom 30.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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