Wenn es um die Zukunft der westlichen Allianz geht, erzählt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg neuerdings gerne eine Geschichte aus seiner eigenen Vergangenheit. In seiner Heimat Norwegen sei er in den Neunzigerjahren Finanzminister gewesen, berichtet Stoltenberg dann, und habe sich in dieser Funktion leidenschaftlich dem Kürzen der Verteidigungsausgaben gewidmet.
Der oberste Sekretär der westlichen Militärallianz klingt ein bisschen wie ein Priester bei der Beichte seiner Jugendsünden, wenn er bekennt: "Ich war sehr gut darin." Die kleine Geschichte hat aus Stoltenbergs Sicht auch eine Moral: "Wenn du die Verteidigungsausgaben senkst, wenn Spannungen abnehmen, musst du auch in der Lage sein, sie zu erhöhen, wenn die Spannungen zunehmen."
Die Spannungen haben zugenommen und nicht nur das. Der Sieg von Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl in den USA hat Schockwellen durch das Bündnis geschickt. Im Wahlkampf hatte Trump höchst unterschiedliche Dinge über die Nato gesagt, auch unfreundliche.
Das meiste lief auf die Klage hinaus, dass die Europäer es sich auf Kosten der Amerikaner gut gehen ließen. Auf Beistand könnten Verbündete künftig nur hoffen, wenn sie "ihre Rechnungen bezahlt" hätten. Stoltenberg erinnerte noch vor der US-Wahl daran, dass die Beistandspflicht nach Artikel 5 des Nato-Vertrages in jedem Fall gelte, auch im Falle angeblich nicht bezahlter Rechnungen.
Auch unter Clinton wäre der Druck auf die Europäer gestiegen
Stoltenberg wusste allerdings auch: Selbst unter einer Präsidentin Hillary Clinton wäre der Druck auf die Europäer gestiegen, deutlich tiefer in die Tasche zu greifen. Schon Barack Obama hatte das verlangt. "Es ist kein Geheimnis, dass die Vereinigten Staaten die europäischen Verbündeten aufgefordert haben, mehr für Verteidigung auszugeben", sagte Stoltenberg in einer Brüsseler Grundsatzrede nach dem Trump-Sieg.
Tatsächlich herrscht in der Nato ein enormes Ungleichgewicht. 2016 werden die USA nach einer Nato-Statistik 664 Milliarden Dollar für Verteidigung ausgeben; alle 26 europäischen Nato-Staaten zusammen geben knapp 239 Milliarden US-Dollar aus. Die Klage darüber höre er nicht erst von Trump, sagt Stoltenberg, sondern "von jedem Senator und Abgeordneten, mit dem ich seit meinem Amtsantritt gesprochen habe".
Mit dem Sieg von Trump allerdings hat die Dringlichkeit deutlich zugenommen. Umso mehr, als er bislang in Nato-Dingen gelinde gesagt als unberechenbar gilt. Wenn der neue US-Präsident im kommenden Jahr zum Nato-Gipfel nach Brüssel kommt, würde ihm Stoltenberg in der Finanzfrage gerne ein europäisches "Wir haben verstanden" präsentieren. Weshalb er, wie er erzählt, in den Mitgliedstaaten nicht nur den Kontakt zu Regierungschefs und Verteidigungsministern, sondern auch zu Finanzministern suche.