Nordatlantikpakt:Balten fürchten um ihre Sicherheit

Nordatlantikpakt: Bündnis auf der Hut: Ein US-Soldat nimmt im Sommer an einem Militärmanöver in Litauen teil.

Bündnis auf der Hut: Ein US-Soldat nimmt im Sommer an einem Militärmanöver in Litauen teil.

(Foto: Mindaugas Kulbis/AP)

Nach dem Sieg von Donald Trump sorgen sich Litauen, Lettland und Estland um die Nato-Beistandsgarantien. Sie fühlen sich schutzlos gegenüber dem großen Nachbarn Russland.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war scheinbar wie immer, als die Nato am Sonntag in Litauen ihre Übung "Eisernes Schwert" begann: Bei den Manövern üben Soldaten aus elf Nato-Staaten zwei Wochen lang Angriff und Verteidigung im Baltikum. Doch Litauer, Letten und Esten sorgen sich, ob dies so bleiben wird. Denn Donald Trump, der kommende US-Präsident, hatte im Wahlkampf nicht nur Russlands Präsident Wladimir Putin gelobt. Er stellte auch die Beistandsgarantie nach Artikel 5 des Nato-Akte in Frage: Für die Staaten, die ihr Verteidigungsbudget nicht nach den Nato-Mindestvorgaben erhöht haben.

Seitdem sorgen sich die Balten, welchen Kurs die künftige US-Regierung einschlagen wird. Und das nicht nur im fernen Beistandsfall, sondern auch beim Ausbau der militärischer Kapazitäten im Baltikum. "Russland zeigt nicht nur in der Ukraine weiter eine aggressive Politik; es versteht nur Stärke und Abschreckung als Basis für echten Dialog", sagte Estlands Außenminister Jürgen Ligi, der SZ. "Wir müssen noch viel tun, bis wir eine echte Abschreckung erreicht haben."

Die drei Staaten haben zusammen nur drei Panzer

Das sieht man bei der Nato ähnlich. Während in Russland allein im grenznahen westlichen Militärdistrikt 65 000 Soldaten, 750 Panzer und 320 Kampfflugzeuge stationiert seien, verfügten Estland, Lettland und Litauen zusammen nur über 10 450 Soldaten, drei Panzer und kein einiges Kampfflugzeug, so die Nato-Zahlen vom 14. November. Am "Eisernen Schwert" nehmen gerade einmal 4000 Soldaten teil. "Natürlich gibt es keinen Grund zu Panik - es steht kein Krieg vor der Tür", sagt Litauens Außenminister Linas Linkevičius der SZ. "Aber wir haben auch keinen Grund, entspannt zu sein."

Die Balten sehen, dass Moskau seine Exklave Kaliningrad mit S-400-Langstreckenraketen oder mit Iskander-Kurzstreckenraketen aufrüstet. "Es ist ein Signal der Russen, eine Demonstration ihrer Macht in unserer Nähe - und definitiv kein Schritt zu Vertrauensbildung", sagt Linkevičius. Im Sommer hatte die Nato beschlossen, jeweils ein Bataillon einer westlichen Armee in jeder einzelnen der drei Baltenrepubliken zu stationieren - eine eher symbolische Geste. "Natürlich macht ein Bataillon in jedem unserer Länder rein militärisch keinerlei Unterschied", sagt Linkevicius. "Und es gibt auch in anderen militärischen Bereichen große Lücken, wenn wir unsere Fähigkeiten mit denen der Russen vergleichen." Amtskollege Ligi betont, dass Russlands modernisiertes Militär "mit Leichtigkeit die Nato-Nachschublinien zu uns durchtrennen könnte".

Estland war im April und Mai 2007 eines der ersten Länder, dessen Parlament, Ministerien, Banken und Medien per Internet angegriffen wurden; vorausgegangen war die Demontage sowjetische Kriegsdenkmäler im Land. "Es gibt weiterhin Cyberattacken", sagt Ligi.

Trump-Freund Gingrich: Estland ist "eine Vorstadt von St. Petersburg"

Das gilt nicht nur für Estland. Auch Litauen muss sich Außenminister Linkevičius zufolge gegen Moskau zugeschriebenen Angriffen erwehren. "Sind wir mittlerweile in der Lage, uns gegen Cyberattacken durchgehend zu schützen? Meine Antwort: negativ - noch nicht", so Linkevičius. "Wir haben noch viel zu tun - auch in Zusammenarbeit mit unseren Kollegen aus Europa oder von der Nato."

Während des US-Wahlkampfs hatte der inzwischen gewählte Trump erklärt, die Baltenländer gäben nicht genug für Verteidigung aus. "Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht", sagt der estnische Außenminister Jürgen Ligi. "Wir wenden bereits 2,2 Prozent der Wirtschaftsleistung für das Militär." Auch Lettland und Litauen stocken die Etats auf. Aber sie wissen, dass sie Washington brauchen. "Die US-Präsenz zu verlieren, hätte in vielerlei Hinsicht unerfreuliche Folgen angesichts der aggressiven russischen Manöver", sagte Lettlands Ex-Außen- und Verteidigungsminister Artis Pabriks kürzlich in Riga.

Die Balten hoffen daher auch unter einem Präsidenten Trump auf "Stabilität der US-Außenpolitik", so Estlands Chefdiplomat Ligi. "Wir haben sehr gute Kontakte zu republikanischen Politikern", betont Amtskollege Linkevičius. Senator Jeff Sessions, enger Vertrauter Trumps, kenne Litauen. New Yorks Ex-Bürgermeister Rudy Guiliani, ebenfalls ein Mann im Machtzirkel, habe sich gegenüber Linkevičius "sehr aufgeschlossen gegenüber unseren Sicherheitsfragen" gezeigt.

Vor allem aber fürchten die Balten, dass Trumps Unterstützer Newt Gingrich Einfluss nehmen könnte: Der hatte jeden Beistand für das Baltikum im Falle eines russischen Angriffs faktisch ausgeschlossen mit dem Argument, Estland sei "eine Vorstadt von Sankt Petersburg". In Estland hofft Außenminister Ligi nun, dass "Trump auch nach Tallinn kommt - und sieht, dass wir mit Sankt Petersburg nichts zu tun haben".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: