Bereits am Dienstag, als noch lange keine Ergebnisse der US-Wahl vorlagen, kursierte eine Karte im chinesischen Netz. Sie zeigte China und war ganz in rot gefärbt - alle Stimmen für Trump, keine für Biden. In der Volksrepublik hofften viele auf eine Wiederwahl von Donald Trump. Der Präsident trägt zahlreiche Spitznamen im chinesischen Netz, wenige davon sind schmeichelhaft: Boss, Baby, Covid-König, Mr. Launisch, ironisch auch Herr Wissen (seit er sagte, keiner verstehe das Virus besser als er), vor allem aber der Kamerad, der die Nation aufgebaut hat - die chinesische Nation.
Trumps Rückzug aus Bündnissen und Verträgen, sein Verhalten gegenüber Alliierten und das Totalversagen in der Corona-Pandemie, die in China zu weiten Teilen wieder unter Kontrolle ist - besser hätte es für das Land gar nicht laufen können, glauben viele. Trump hat es Peking wie kein anderer Präsident ermöglicht, seine globale Dominanz auszuweiten. Noch einmal vier Jahre des Trump'schen Irrsinns hätten viele Chinesen für ein Geschenk gehalten. Daher auch der bisherige Spitzname der chinesischen Trump-Fans für Joe Biden: der vergeblich Wartende ("Bai-Deng", angelehnt an die phonetische Übersetzung seines Namens).
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In der Wahlwoche ging es in den Staatsmedien weniger um die Wahl, als um den Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen. In Shanghai eröffnete Staats- und Parteichef Xi Jinping die wichtigste Handelsmesse des Landes. Wie auf den Seidenstraßen-Konferenzen zwingt die chinesische Regierung auch auf dieser Messe ausländische Firmen, den Kotau zu üben und ihre Begeisterung für den chinesischen Markt unter Beweis zu stellen. In einer Videobotschaft hieß Xi alle herzlich willkommen - viele waren es nicht, die es in das wegen des Coronavirus abgeschottete Land geschafft hatten - und sprach von weiteren Reformen und wirtschaftlicher Öffnung. Ohne die USA zu erwähnen, kündigte er an, Verhandlungen um Handelsabkommen in Europa, Südostasien und anderen Regionen voranzutreiben.
Peking konnte sich in den vergangenen Jahren als das bessere Washington inszenieren
Peking als rationaler Player, als kühler Kopf, als verlässlicher Partner, Unterstützer des freien Handels und des Multilateralismus: Auch wenn nur wenige von Pekings Propaganda-Botschaften etwas mit der Realität zu tun haben, war es für das Regime in den vergangenen vier Jahren sehr einfach, sich als das bessere Washington zu verkaufen.
Unter Biden dürfte das vorbei sein. Doch welchen Kandidaten sich Chinas Führungsspitze am Ende wirklich gewünscht hat, ist schwer zu sagen. Das Außenministerium erklärte, sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Weitere offizielle Reaktionen auf Bidens Wahlsieg gab es bis Sonntagmittag (Ortszeit Peking) nicht.
Wahlberichterstattung ist in China ohnehin eine delikate Sache, sollen die eigenen Staatsbürger doch auf keine falschen Ideen kommen. Und eine Auszählung, die fünf Tage dauert, könnte man (Trumps despotische Anflüge außen vor gelassen) auch als eine Dauerwerbesendung für die Demokratie verstehen. Spätestens am Wochenende wirkten zumindest viele Internetnutzer in Festlandchina vertrauter mit dem amerikanischen Wahlrecht als so mancher Kommentator im US-Fernsehen.
Die Staatsmedien bemühten sich entsprechend in den vergangenen Tagen, nicht nur keine Partei für einen der beiden Kandidaten zu ergreifen. Sie konzentrierten sich vor allem auf die Darstellung der USA als ein zerrissenes Land, geplagt vom Coronavirus und Protesten gegen Polizeigewalt, Ungleichheit und Rassismus. Die Global Times sprach davon, dass die USA zu einem gewissen Teil bereits zerfallen seien. Eine kaputte Gesellschaft, die durch das bisschen Wahl auch nicht mehr gerettet werden könnte.
In China herrscht Schadenfreude über die schlechte Verfassung der USA
Es dominierte auch nach dem Sieg Bidens die Schadenfreude über die schlechte Verfassung der USA. Das Image der Demokratie hat Trump wohl in kaum einem Staat so folgenschwer beschädigt wie in China. Internetnutzer schrieben von der "angeblichen Demokratie" in den USA und verglichen sie mit der "Volks-Demokratie" in China, die zwar keine Wahlen, dafür aber glückliche Menschen hervorbringen würde, geführt von vernünftigen Politikern, die das Coronavirus besiegt hätten und das Land zuverlässig in Richtung Weltspitze manövrierten.
In den sonst stark kontrollierten sozialen Medien lassen die Zensoren Verschwörungstheorien florieren, in denen von Gewalt, Wahlbetrug, angeblich verschwundenen Stimmzetteln und einem Komplott gegen Trump die Rede ist, die von Millionen Leuten gelesen werden. Zwischenzeitlich gehören sie immer wieder zu den meistklickten Artikeln im Netz.
Am Ende dürfte Peking der Ausgang der Wahl vielleicht gar nicht so wichtig gewesen sein. Zwei Dinge meint Chinas Führung in den vergangenen Jahren verstanden zu haben: Erstens, das Gerede der Amerikaner von Moral, Anstand und Demokratie ist nichts als leere Worte. Ein Werkzeug, um andere Staaten zu gängeln und zu unterdrücken, wenn es ihnen gerade passt. Und zweitens, egal, wer in Washington regiert, die Amerikaner werden versuchen, China an seinem Aufstieg zu hindern. Die USA sind noch Partner, um an einige Technologien zu kommen, aber vor allem ist man Konkurrent und - ja, das auch - Feind. Es gilt, sich bereit zu machen für einen andauernden, einen größeren Konflikt, womöglich auch militärisch. Xi sagt das inzwischen genauso offen.
Joe Biden wird versuchen, wieder stärker auf globale Allianzen zu setzen, auch im Umgang mit China. Das könnte es für Peking schwieriger machen, seine Interessen durchzusetzen. Doch das knappe Wahlergebnis, Trumps Widerwille, die Niederlage einzugestehen, und die Zerrissenheit zwischen Demokraten und Republikanern wird Biden viel Kraft kosten. Das Wahlergebnis ist auch ohne einen Sieg von Trump eine Chance für Peking. Xi glaubt, Chinas Zeit sei gekommen. Er wird jede Chance nutzen.